: Tapfer im Modemuffelnest
Mode Hier geht es nicht um süß, sondern um gewappnet sein. Die Show von Marina Hoermanseder, Designerin mit Atelier in Kreuzberg, auf der Fashion Week Berlin
von Jenni Zylka
Das Wesen ist halb Frau, halb Schaufensterpuppe. Oben schaut ein echter Kopf heraus, dessen Haare in Zöpfchen geflochten wurden, aber darunter ein halber Puppentorso aus glatt beschichtetem Leder, hart wie ein Lampenschirm aus den 50ern. Er glänzt in einem satten, dunklen Lila, aus den betonten Schultern baumeln Arme, der bauchige Rockteil, der den Unterleib knapp bedeckt, ist mit schimmernden dicken Perlen besetzt. Von den langen Beinen in den noch längeren Lack-Overknees sieht man nur eine Handbreit Haut.
Setzen kann sich das Wesen vermutlich nicht. Doch es kann stehen, gehen – und catwalken, ein Glück. Das Mannequin im Puppenpanzer ist Teil der neuen Herbst-Winter-Kollektion von Marina Hoermanseder, die die 30-jährige Wahlberlinerin am Donnerstag im Rahmen der Fashion Week zeigte. Es wurde lange ersehnt, das Defilee, nach Hoermanseders knalligem ersten Auftritt vor drei Jahren mit orthopädisch anmutenden Lederkorsagen – der gleich modemutige Poparbeiterinnen wie Lady Gaga und Rihanna auf ihre Spur brachte.
Die Fashion Week, die diesen Freitag zu Ende ging, braucht diese klar strukturierte Designkunst. Denn sie ringt jedes Jahr ein wenig mehr um ihre Bedeutung: Die Zeitungen schicken zwar Fotografen, die U-Bahn-Stationen hängen voll von Plakate, sogar im Berliner Fenster staksen die schlanken, ausdruckslosen Damen über die Bildschirme. Dennoch schauen die HauptstädterInnen gern und betont weg, wenn es um Mode geht – trotz der ansässigen Modeschulen, trotz einiger durchaus erfolgreicher ortsansässiger Labels wie „Kaviar Gauche“, „Lala Berlin“ und „Esther Perbandt“ ist die Stadt stolz auf ihren Ruf als Modemuffelnest. Und rückt das Thema von Kunst und Relevanz weit weg zu Oberflächlichkeit und Seichtigkeit. Undenkbar, dass der unter „Kunstgewerbe“ fungierenden kleinen Berliner „Sammlung Mode und Textilien“ in den Staatlichen Museen die gleiche Bedeutung wie dem „Victoria and Albert“ in London zugewiesen würde.
„Wann soll man das denn tragen?“, murmelt einer der Fotografen bei Hoermanseder kopfschüttelnd angesichts des lila Puppenpanzers und bringt es damit auf den Punkt. Denn man soll es schließlich gar nicht tragen: Hoermanseder zelebriert auf dem Laufsteg eine Show, keine Verkaufsveranstaltung mit Tipps für das Ausgeh-Outfit. Ganz selbstverständlich stellt sie damit Kunst und Handwerk nebeneinander, kommentiert Modekunst. Damit unterscheidet sie sich von DesignerInnen, für die Tragbarkeit elementar ist – oder die, auf der anderen, der Haute-Couture-Seite, vor Künstlertum auch mal die Bodenhaftung verlieren.
Gut geschnallt
Am Tag vor dem Defilee hängen an den Türen von Hoermanseders Kreuzberger Loft-Ateliers, das über 20 fleißige MitarbeiterInnen hat, noch Zettel für das gerade abgeschlossene Modelcasting. Die Models haben inzwischen alle bewiesen, dass sie auf den meterhohen Louboutins stöckeln können, die vom Kooperationspartner gestellt wurden – farblich customized, sagt Hoermanseder stolz. Sie selbst könne auf den High Heels keine zwei Schritte gehen – „aber da müssen die Models durch, das ist ihr Tagesgeschäft!“
Die gebürtige Wienerin ist mittelgroß, wach, und so energiegeladen, dass man ihr zutraut, jede einzelne der Perlen auf dem Puppenpanzer, jede Niete im Schnallenrock eigenhändig eingeklopft zu haben. Was sie genau vor drei Jahren, für ihre Abschlusskollektion an der Berliner Esmod-Schule im Januar 2014 tatsächlich getan hat: „Für meine erste Kollektion war ich eine Woche in einem Ledershop in der Seestraße und hab mir jedes Werkzeug erklären lassen. Und saß dann dort einen Nachmittag auf dem Boden an der Nietmaschine, um einen Mantel zu nieten, während um mich herum die Harvey-Davidson-Fans ein und aus gingen.“
Hoermanseder fand in der Beschäftigung mit Leder ihr Alleinstellungsmerkmal, die Lederschnalle, die seitdem auf fast allen Kleidungsstücken der Designerin eingearbeitet wird –für die neue Kollektion bei der Kooperation mit einem österreichischen Strumpfhersteller wurde sie sogar als Muster in zarte Nylons eingewebt. Das Leder als Grundmaterial und Accessoires wie Nieten geben Hoermanseders Entwürfen trotz der klaren weiblichen Schnitte – Bleistift- oder Glockenröcke, Korsagen – eine Stärke, die Tussi-Assoziationen im Keim erstickt. Hier geht es nicht um süß, sondern um gewappnet sein, um den spannungsreichen Kontrast zwischen der Haptik des Materials und der Form, in das es gepresst wird.
Dass Leder jedoch auch problematisch ist, weiß die Designerin, die vor ihrem Modestudium auf Wunsch ihrer Eltern erst ein Wirtschaftsstudium abschloss: „Als Label sind wir zu klein, um die großen Nachhaltigkeitsthemen zu beeinflussen, ich kann nicht gegen Sweat Shops ankämpfen. Ich kann aber auf meiner kleinen Scale etwas erreichen, ich kenne meine Lederlieferanten – das Leder kommt zu 100 Prozent aus der Fleischproduktion. Ich würde nie Leder für die Hälfte in Indien kaufen, wo nur 60 Prozent der Bevölkerung Rind essen.“
Dennoch: In diesem Jahr platzt das Give-away-Bag, welche die ShowbesucherInnen auf ihren Plätzen vorfinden, fast vor Koop-Produkten, bei denen es eher weniger um Nachhaltigkeit oder Fairness zu gehen scheint. Sogar auf einem Safttetrapack prangen (in ungesundem Nudeton) verloren ein paar Hoermanseder-Schnallen – und sorgen dafür, dass die schiere Menge der Kooperationen langsam eine gewisse Beliebigkeit bekommt.
Dass sie nicht an Produzenten interessiert sei, die Tierversuche durchführen, habe sie beim Gespräch mit einem Kosmetikpartner angesprochen, erzählt Hoermanseder zwar. Vor allem aber, dass sie selbstverständlich zu allen Partnern stehe, sie liebe zum Beispiel die Koop mit „Hello Kitty“. Davon sind ihre mondänen und beeindruckenden Entwürfe bei dieser Show weit entfernt – vor allem durch die düstere, schwarz- und violettlastige Farbgebung. Doch eventuell kriegt Hoermanseder es sogar hin, eine knopfäugige Kitschkatze erwachsen aussehen zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen