Die Sichtbare Mit ihrem Buch „Farbe bekennen“ hat Katharina Oguntoye schon früh auf die Probleme schwarzer Deutscher hingewiesen. Heute begegnen sich in ihrem Verein Joliba e. V. afrodeutsche und afrikanische Familien. Ein Gespräch über Mangel an Gleichberechtigung, deutschen Kolonialismus und die Lust, trotz allem ein erfülltes Leben zu führen: „Schwarze Menschen sind immer noch unsichtbar“
Interview Susanne MessmerFotos Julia Baier
taz: Frau Oguntoye, Ihr Buch „Farbe bekennen“ über die Situation Afrodeutscher in Deutschland ist 30 Jahre alt, und trotzdem liest es sich aktueller denn je. Warum ist das so?
Katharina Oguntoye: Ich werde in zwei Jahren sechzig, ich dachte, ich könnte mich nun endlich mal der Kunst widmen. Aber jetzt haben wir plötzlich wieder diese Leute, die überall ihre Stinkbomben reinwerfen, wo wir etwas erreicht haben.
Was haben Sie erreicht?
Wir sind aus einer Tabusituation herausgekommen. In diesem Land konnte man in den achtziger Jahren in der breiten Öffentlichkeit weder über Rassismus noch über schwarze Menschen sprechen. Erst 2013, als wir bei der Ausstellung „Zerstörte Vielfalt“ mitgemacht haben, habe ich zum ersten Mal interessiertes Feedback bekommen. Davor habe ich eher zu hören bekommen: Gibt es überhaupt eine afrodeutsche Community? Ist das überhaupt nötig, sich so zu engagieren?
Ihre damalige Mitstreiterin May Ayim, die 1996 verstorben ist, hat im Buch ihre Diplomarbeit zum Afrikabild der Deutschen abgedruckt. Die Arbeit war kurz zuvor, also Anfang der Achtziger, von ihrem Professor mit dem Kommentar abgelehnt worden, es gebe keinen Rassismus in Deutschland.
Damals wurde nur von Antisemitismus und sogenannter Ausländerfeindlichkeit gegen die sogenannten Gastarbeiter gesprochen.
Afrodeutsche sind keine Ausländer.
Eben. Deshalb wurde immer gesagt, man sei zu empfindlich, wenn man über rassistische Alltagserfahrungen gesprochen hat.
Ein Schlag ins Gesicht?
Es war eher, als ob man gesagt bekommt, man sei gar nicht da.
Was geschah nach der Veröffentlichung Ihres Buchs?
In den ersten zehn Jahren haben wir vor allem mit der Sprache gekämpft. Dass das N-Wort oder andere herabwürdigende oder stigmatisierenden Fremdbezeichnungen nicht mehr benutzt werden, sondern unsere Selbstbezeichnungen: Afrodeutsche oder schwarze Deutsche.
Was hat ihr Buch ausgelöst?
Das Buch hat eine ganze Bewegung in Gang gesetzt. Es gründete sich die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und die Afrodeutsche Frauengruppe – ebenso begann das jährliche Bundestreffen. So kamen zum ersten Mal schwarze Menschen in Deutschland miteinander in Kontakt, die sich vorher nie getroffen hätten. Erstmals kamen dann auch Kinder in einer Community zur Welt – eine Generation, die übrigens jetzt gerade erwachsen wird. Die haben ein ganz anderes Starterpaket als die Generationen davor.
Gibt es Angaben darüber, wie groß die afrodeutsche Community ist?
In der Statistik werden nur Menschen mit afrikanischen Nationalitäten gezählt. Man könnte abfragen, wie viele Kinder in interkulturellen Ehen geboren wurden, aber bislang gab es keine Studie, die das getan hat.
Ist die deutsche Gesellschaft in Bezug auf Rassismus heute aufgewacht?
Über Rassismus wurde lange nur in den alternativen Zusammenhängen gesprochen. Erst 2012 und 2013 ist das im Mainstream angekommen. Ich mache das an drei Diskussionen fest. Erstens an der übers Blackfacing an den deutschen Theatern, woraufhin der Zusammenschluss Bühnenwatch entstand. Dort gab es plötzlich eine Generation von jungen schwarzen und weißen Leuten, die sich der Rassismustheorie bewusst waren und die Theaterleute aufgefordert haben, Workshops zu machen, was dann ja auch tatsächlich am Deutschen Theater geklappt hat. Die zweite Diskussion war die über das N-Wort in den Kinderbüchern. Und drittens gab es die übers Racial Profiling. In allen drei Diskussionen gab es dann dieselbe krude Abwehr – wie es sie halt immer gibt, wenn etwas nicht bearbeitet ist. Und alle drei Diskussionen haben es ermöglicht, dass jetzt in einer Institution wie dem Deutschen Historischen Museum eine Kolonialismusausstellung gezeigt werden kann.
Eine Ausstellung, in der Sie für ein Projekt namens „Giftschrank“ interviewt wurden – also im Rahmen einer Art Sprachkritik.
Richtig.
Im „Giftschrank“ liegt neben dem „N-Wort“ und dem Wort „Mischling“ auch das Wort „Farbige“. Wo ist der Unterschied zwischen „Farbige“ und „People of Colour“, wofür Sie stattdessen plädieren?
Das Wort „Farbige“ klingt lächerlich. „People of Colour“ dagegen bezieht Menschen verschiedener Herkunft ein.
Wie gefällt Ihnen die Ausstellung „Deutscher Kolonialismus“ im Deutschen Historischen Museum?
Sie ist gut geworden.
Ausgewogen?
Der Mensch: 1959 in Zwickau geboren, ist in Leipzig, Nigeria und Heidelberg aufgewachsen. 1982 ging Oguntoye nach Berlin und studierte an der TU Geschichte. Ihre Magisterarbeit „Eine afro-deutsche Geschichte: Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950“ erschien 1997.Das Buch: „Farbe bekennen“, das Oguntoye 1986 mit May Ayim und Dagmar Schultz herausgab, war das erste Buch, das rassistische Alltagserfahrungen Afrodeutscher in diesem Land beschrieb.
Der Verein: 1997 gründete Oguntoye das interkulturelle Netzwerk Joliba e. V., das vor allem Familien afrikanischer, afrodeutscher und afroamerikanischer Herkunft Angebote macht. Neben Kinderfesten und Eltern-Kind-Gruppen gibt es Ausstellungen, Lesungen und Seminare (www.joliba-online.de). (sm)
Es geht ja um „Fragmente der Geschichte und Gegenwart“ des Kolonialismus. Dafür, dass die Ausstellung für ein hiesiges Publikum konzipiert wurde, kommen die Kolonisierten deutlich zu Wort. Mir fehlt nur, dass es keinen Forschungsauftrag zum Thema gibt.
Der Kolonialismus wurde in der deutschen Erinnerungskultur lange verdrängt. Es beginnt gerade erst, dass er ins öffentliche Bewusstsein rückt.
Eine Kollegin macht Führungen durch die Ausstellung, und sie hat immer wieder mit überforderten Besuchern zu tun. Die Erkenntnis, dass selbst Robert Koch – der Mann, der ein Heilmittel gegen Tuberkulose entwickelt und den Nobelpreis bekommen hat – Menschen aus Afrika vermessen ließ, ist nach wie vor für viele sehr schmerzhaft.
Das Deutsche Historische Museum liegt direkt gegenüber vom Humboldt-Forum. Dort werden auch Objekte aus Afrika zu sehen sein. Teilen Sie die Kritik von Initiativen wie Berlin Postkolonial, die keine gestohlenen Ausstellungsstücke an so einem preußisch besetzten Ort sehen wollen?
Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum war nur aufgrund der Radikalität solcher Initiativen möglich. Manchmal muss man so laut klagen, um Bewegung zu erzeugen. Ich selbst habe ein anderes Konzept. Meine Antwort war eher, trotz allem ein erfülltes Leben mit einer positiven Einstellung zu führen.
Sie betreiben seit 1997 mit Joliba e. V. einen interkulturellen Verein für afrikanische und afrodeutsche Familien. Sie haben mit den Drogendealern im Görlitzer Park gearbeitet . . .
Es gab nur eine kleine Anschubfinanzierung vom Bezirk, aber dann kein Geld mehr, was ich bis heute nicht verstehe. Ich habe gehört, dass sie erst jetzt, also drei, vier Jahre nachdem dort die Probleme begonnen haben, einen afrikanischen Sozialarbeiter eingesetzt haben.
Was genau haben Sie mit Ihrem Verein dort gemacht?
Wir hatten den Auftrag, den jungen Männern, die oft in Afrika verwurzelt sind, Benimmregeln zu übermitteln, und haben lange Texte von den Kollegen im Bezirk dazu bekommen. Also haben wir wenige Sätze aus diesen Texten herausdestilliert, einen viersprachigen Flyer gemacht – und auf der Rückseite unsere Angebote beschrieben. Wir hätten es seltsam gefunden, einfach nur Forderungen an diese Männer zu stellen.
Haben die Männer Ihre Angebote genutzt?
Viele Männer haben Deutsch- und Computerkurse gemacht bei uns. Wir hatten auch ehrenamtliche Helfer, die die Männer aufs Amt, bei der Wohnungssuche oder zum Vorstellungsgespräch begleitet haben. Ich denke, wir haben in unseren Auftrag einen menschlichen Aspekt reingebracht, weil wir versucht haben, den Leuten ohne Vorurteile und so höflich zu begegnen wie jedem anderen auch, also nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.
Was sind das für Leute?
Viele der Männer sind Arbeitsmigranten, waren in Libyen, wurden vertrieben oder haben bereits Jahre in Spanien oder Italien gearbeitet, oft auf dem Bau. Und weil sie dann auch hier illegal leben, werden sie in ihren Jobs oft unterirdisch bezahlt. Die sind auf der Suche. Sie wollen das Leben zu Hause verbessern. Oft trauen sie sich dann nicht zurück, weil sie nicht das große Los gezogen haben. Das ist bedrückend.
Haben Sie noch Kontakte zu den Männern?
Ja, da haben einige angedockt. Wir haben hier eine Homebase geschaffen, wo man erst einmal ankommen und sich erholen, seine Fühler in die afrikanische und deutschafrikanische Community ausstrecken kann. Gerade haben wir die Vernissage einer Fotoausstellung von Muhammed Lamin Jadama gefeiert, den wir im Park kennengelernt haben. Er hat die Aktionen der Flüchtlinge auf dem Oranienplatz dokumentiert. Dort war er damals sehr aktiv.
Hatten Sie mit den Flüchtlingen auf dem O-Platz zu tun?
Wir hatten 2014 einen Auftrag in der Gerhart-Hauptmann-Schule. Aber dann ist dort gleich dieser Mord passiert. Da habe ich meine Leute schnell wieder abgezogen. Ich kann die ja nicht in so ein Chaos hineinschicken. Es war wirklich schlimm dort, wie in einer Favela. Da habe ich wirklich gedacht, wie das sein kann, dass wir so etwas zulassen. Es war schrecklich, den Flüchtlingen die „wohlwollende Einzelfallprüfung“ ihrer Asylanträge zu versprechen und dann gerade mal drei von Hunderten den Aufenthalt zu geben.
Sie bieten soziale, aber auch kulturelle Arbeit an. Warum?
Bei uns gab es Steinmetzkurse, Bronzekurse, es gibt einen Medienworkshop, in dem Flüchtlinge Fernsehen und Theater machen. Es geht darum, die Leute durch positive Impulse zu erreichen. Über die gemeinsame Arbeit kommen viel mehr Dinge zur Sprache, als wenn man sie direkt nach ihren Erlebnissen fragen würde.
Außerdem arbeiten Sie mit Familien. Warum?
Schwarze Kinder werden oft aussortiert, sie werden als zu lebhaft eingeordnet. Sie sollen in Sonderschulen abgeschoben werden. Das kann ganz oft verhindert werden.
Wie?
Oft wissen die Eltern einfach nicht, wie das deutsche Schulsystem funktioniert. Im afrikanischen System gibt man seine Kinder in der Schule ab. Man hat sich nicht einzumischen. Ich kenne Menschen aus Afrika, die ihre Grundschullehrer als Erziehungsberechtigte empfunden haben. Viele hatten in ihrer Kindheit zwei Schulhefte und zwei Bleistifte in einer Plastiktüte dabei, wenn sie zur Schule gingen.
Und hier?
Hier wird erwartet, dass sich die Eltern kümmern, ständig in Kontakt bleiben. Sie sollen Rucksäcke packen und Schulbrote schmieren. So etwas muss sehr sensibel vermittelt werden.
Verraten Sie mir ein wenig, wie Ihre eigene Familiengeschichte verlaufen ist?
Meine Mutter ist Sudetendeutsche und landete in Leipzig, wo sie an der Uni meinen Vater kennengelernt hat. Dort haben viele Afrikaner studiert, weil es einfach war, in der DDR ein Stipendium zu bekommen. Es war also auch für ärmere Familien eine Möglichkeit, ein Kind zum Studium nach Europa zu schicken. Mein Vater ist allerdings aus London nach Leipzig gekommen, weil er Sozialist war.
Wie erinnern Sie ihre Kindheit in Leipzig?
Toll. Leipzig ist bis heute meine Herzensstadt.
Was kam nach Leipzig?
Als ich sechs war, ist mein Vater zurück nach Nigeria gegangen, wo er später seine Professur bekommen hat. Und meine Mutter, mein jüngerer Bruder und ich sind ihm ein Jahr später über Rostock mit dem Frachtschiff gefolgt.
Wie war das für Sie?
Meine afrikanische Großmutter, die aus einer gebildeten Familie kam, hatte fünf Söhne, und ich war eine ihrer ersten Enkeltöchter. Dementsprechend herzlich wurde ich aufgenommen. Ich war zwei Jahre lang in Nigeria, das war sehr schön. Wir haben auf dem Campus gelebt, die Community war international. Daher hatte ich nie das Gefühl, zu hell und eine Außenseiterin zu sein.
Warum kamen Sie zurück?
1967 brach der Biafra-Krieg aus, da wollte meine Mutter zurück. Sie ging mit mir zu ihrer Schwester nach Heidelberg, die „rübergemacht“ hatte. Mein Bruder sollte bei meinem Vater in Nigeria bleiben. Ich habe ihn sehr vermisst, denn ich kannte keine anderen schwarzen Kinder in Heidelberg.
War die Trennung der Eltern traumatisch?
Ja, schon. Unser Vater hat sich ja in Leipzig als Student viel mehr um uns gekümmert als unsere Mutter, die arbeiten ging. Als es zur Ausreise aus Nigeria kam, wollte mein Vater meinen Bruder nicht weglassen. Sie entschieden sich dafür, dass jeder ein Kind bekommt.
Wie ging es weiter mit Nigeria und Ihnen?
Erst 1984 bin ich wieder hingefahren, ganz spontan, ohne mich anzumelden. Ich bin zum Haus meiner Oma in Lagos gefahren und habe dann erst erfahren, dass sie bereits ein Jahr zuvor verstorben war. Das war schlimm. Mein Vater war gar nicht da, er war damals in England. Dann bin ich zu meinem Onkel gefahren und erfuhr, dass er ebenfalls eine Deutsche geheiratet hatte. Mein Cousin und meine Cousine waren so alt wie ich, als ich zum ersten Mal in Nigeria war. Ich hatte das Gefühl, mich in einer Wiederholungsschleife zu befinden. Mit meinem Vater konnte ich mich nur im Traum versöhnen, ich habe ihn nie wiedergesehen. Aber zu meinem Cousin und meiner Cousine halte ich Kontakt. Sie sind Anfang der Neunziger, als es in Nigeria ökonomisch bergab ging, nach Deutschland gekommen. Aber sie wurden hier nicht heimisch. Heute leben sie in den USA und in England.
Was war das Problem?
In Deutschland sind schwarze Menschen immer noch unsichtbar. Sie werden nicht als gleichberechtigt wahrgenommen. Wir haben zwar den einen oder anderen Sportler oder Popstar, die sind aber dann die Ausnahme. In anderen Bereichen werden sie nicht als selbstverständlich wahrgenommen, sei es im Wissenschaftsbetrieb oder als Lehrer oder auch als Fachverkäuferin bei Karstadt. Oder kennen Sie vielleicht einen schwarzen Lehrer?
Nein.
Sehen Sie. An dieser Unsichtbarkeit verzweifeln viele in meinem Umfeld.
Warum verzweifeln Sie eigentlich nicht?
Ich habe viel erreicht. Außerdem denke ich, dass der Rassismus in anderen Ländern nicht weniger schlimm ist. Er ist nur einfach anders. Und schließlich bin ich ja auch Deutsche. Hier bin ich verortet. Hier kenne ich mich aus.
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