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Die Windkraft-Connection

Filz Von 5.700 Windrädern in Niedersachsen drehen sich über 2.000 in Ostfriesland. Sie sind Gelddruckmaschinen – und das weckt Begierden

Nach der Vorgabe des niedersächsischen Entwicklungsplanes für Windenergie hat die ostfriesische Küste ihr Soll um das Sechsfache übertroffen. Trotzdem werden neue Windanlagen gebaut

Von Thomas Schumacher

Der niedersächsische FDP-Abgeordnete Gero Hocker ist nicht gerade für wirtschaftsfeindliche Äußerungen bekannt, doch ein Besuch mit dem Umweltausschuss in Ostfriesland hatte ihn fuchtig gemacht: „Filz, keine Kontrolle, kein Rechtsstadt“, so geißelte er nach dem Besuch die dortigen Praxis zur Genehmigung von Windparks.

Vor Ort hatten Christiane Böök und Kerstin Harms, Windkraftkritikerinnen der BI Roggenstede/Landkreis Aurich und des Vereins „Vernunftkraft Niedersachsen e. V.“ aus dem Landkreis Wittmund, den Umweltausschuss informiert. Beide Frauen haben mit den Windrädern ganz persönliche Erfahrungen. Harms kann nicht schlafen. „Der Lärm macht uns krank. Unsere Kinder stehen nachts im Bett und weinen. Die Leute hier haben Ohrensausen.“ Böök erzählt, dass ein Nachbar ihr auf der Straße die Vergasung angedroht habe, als sie sich vor Jahren gegen die Aufstellung eines Windrades direkt vor ihrem Haus wehrte. Sie zog um.

Das Dorf Roggenstede liegt im toten Winkel von drei Gemeinden. Die wiesen ihre Windparks am Gemeinderand aus – eben vor Roggenstede. „Jetzt stehen da über 200 Anlagen und terrorisieren das Dorf“, sagt Harms. Die verantwortlichen Lokalpolitiker hätten ihr Geld selbst in die Stromgewinnung gesteckt.: „Von denen können wir keine Hilfe erwarten.“

Tatsächlich ist die Genehmigung von neuen Windanlagen in Ostfriesland manchmal abenteuerlich. So gibt es ein Dorf bei Aurich, in dem der Produktionsleiter von Deutschlands größtem Windanlagenbauer Enercon, einige Banker der Enercon-Hausbank Oldenburgischen Landbank und der Finanzier Johann Eisenhauer vom Windanlageninvestor Norderland GmbH Tür an Tür wohnen. Der Investor Eisenhauer fordert Kommanditisten seiner Projekte zur Kandidatur für die umliegenden Gemeinderäte auf, so erzählen es die Dorfbewohner. Diese Räte, zuständig für Baupläne, Flächennutzungspläne und Genehmigungen, sind denn auch gespickt mit Miteigentümern von Windrädern.

Christiane Böök und Kerstin Harms erheben ihre Vorwürfe aufgrund langwieriger Recherche: „Wir haben akribisch die Handelsregister durchforstet. Wir wollten wissen, wer in der Region an der Windkraft verdient und wer politisch über neue Anlagen entscheidet“, sagen die Frauen. Ergebnis: In fast allen Gemeinderäten der Landkreise Aurich und Wittmund sitzen Kommanditisten von Windparkanlagen, die im Prinzip von Norderland und einem zweiten Großinvestor betrieben werden.

Böök und Harms illustrieren das am Beispiel ihrer Nachbargemeinde Holtriem. Bereits 2013 sei den Ratsmitgliedern bekannt gewesen, dass die Investoren der Norderland-Gruppe weitere Flächen für neue Windparks benötigten. 2014 stimmten die Kommunalpolitiker über diese neuen Flächen ab, unter ihnen die Kommanditisten Jochen Ahrends (CDU), der ehemalige Samtgemeindedirektor Harm Poppen (CDU), die Ortsbürgermeisterin der Mitgliedsgemeinde Utarp, Harmine Bents (SPD), Erwien Niehuisen (SPD) und der Ortsbürgermeister der Mitgliedsgemeinde Eversmeer, Egon Kunze (SPD). Kunze stand sogar bis zum 20. Juli 2016 auf der Gehaltsliste einer der zahlreichen Norderland-Windkraftfirmen: Er war Geschäftsführer und einziger Gesellschafter mit einer fünfstelligen Einlage (Aurich, HRB 200748: E&B Beteiligungs GmbH).

Das Eigeninteresse wird dadurch nicht kleiner, dass Kommunen, aber auch Landkreise wie etwa der in Aurich, oft selbst Stromproduzenten sind. Nach einer Änderung des entsprechenden Landesgesetzes ist das inzwischen rechtens.

Nach der Vorgabe des niedersächsischen Entwicklungsplanes für Windenergie hat die ostfriesische Küste ihr Soll derzeit um das Sechsfache übertroffen. Trotzdem werden neue Windanlagen gebaut oder ältere Windparks „repowert“. Mittlerweile ist die Küste zwischen Norden und Neuharlingersiel mit mehr als 2.000 Anlagen abgeriegelt.

Selbst in Vogelschutzgebieten und an deren Rand sind Anlagen installiert. Einer der Betreiber, Tido Graf zu Inn-und Knyp­hausen, hatte Pech: Sein vorher als „unbedenklich“ eingestufter Windpark in der Nähe von Norden entpuppte sich als Vogelschredderanlage, Umweltschützer fanden massenhaft zerschlagene Vögel. Die Anlage hätte nie genehmigt werden dürfen. Die untere Umweltbehörde des Landkreises Aurich musste reagieren und drückte dem Grafen unabhängige Gutachter zu seinen Kosten aufs Auge.

Kurios bei der Windenergie in Ostfriesland ist, dass es nicht genügend Kapazitäten gibt, um den Windstrom auch abzutransportieren. Eigentlich müsste Netzbetreiber Tennet deswegen eine Strafe zahlen – das braucht er aber nicht wirklich. Aufgrund eines Gesetzes, das der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Parteifreund von Gero Hocker, Philipp Rösner (FDP), durchdrückte, dürfen die Netzbetreiber die Strafen bei den Preisen draufschlagen – und so den VerbraucherInnen aufs Auge drücken.

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