: Viele Kinder im Polizei-Computer
SCHULGEWALT 180 Kinder, die neun Jahre alt oder jünger sind, sind in der Polas-Datei gespeichert
Der Fall des 9-jährigen Leo*, der von seiner Schule eine Strafanzeige wegen Körperverletzung erhielt und zum Gespräch zur Wache sollte, ist kein Einzelfall. Wie nun durch eine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Sabine Boeddinghaus (Linke) herauskam, befinden sich aktuell 180 Kinder im Alter von neun Jahren oder darunter im „Polizeilichen Aufklärungssystem“ (Polas). Die Daten würden dort so lange gespeichert, „wie es für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist“, antwortete der Senat.
Wie die taz berichtete, sind Schulen in Hamburg verpflichtet, gewisse Vorfälle auch bei der Polizei zu melden. Diese bereits 2009 eingeführte Regel wurde kürzlich auf weniger Delikte eingegrenzt, aber in ihrer Verbindlichkeit verschärft: Obwohl Kinder nicht strafmündig sind, haben Schulen keinen Ermessensspielraum mehr, ob sie eine gefährliche Körperverletzung zur Anzeige bringen. Die Melderichtlinie ist umstritten, weil schon Schläge mit einem Gegenstand wie einem Stock oder Stift in der Hand als gefährliche Körperverletzung zu melden sind. Dies führte häufig zu schulischen Strafanzeigen, die selbst die Polizei als übertrieben einstufte.
Auch Leos Mutter war über die Anzeige gegen ihren Sohn empört, da es sich in seinem Fall eher um eine Art Unfall gehandelt habe, bei dem zufällig ein Gegenstand im Spiel war. Bei der Polizei erfuhr sie, dass die Daten ihres Sohnes mehrere Jahre gespeichert blieben.
Insgesamt sind sogar über 936 strafunmündige Kinder in Polas gespeichert, wenn man die 756 zehn- bis 14-Jährigen mitzählt. Die Polizei speichert die Daten auch in vier weiteren Systemen, dort würden die Daten der Kinder zwei Jahre aufbewahrt, berichtet der Senat.
„Erschreckend“, findet Boeddinghaus diese Zahlen. „Strafanzeigen gegen Kinder sind grundsätzlich nicht akzeptabel.“ Kinder seien nicht ohne Grund strafunmündig. Hier sei Pädagogik gefordert. kaj
*Name geändert
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