: Aufwachsen auf Beton
THEATER Fußball getanzt: „Peng! Peng! Boateng“ eine Familiensaga inklusive Fußball-Streetdance und HipHop-Sound über drei echte Berliner Brüder ist im Pier 9, der Probebühne des Heimathafens Neukölln, zu sehen
von Jens Uthoff
Breakin’. Poppin’. Lockin’. Beatboxing. Liest man zu Beginn dieses Theaterabends im Programmheft zum Stück „Peng! Peng! Boateng“, werden diese vier Begriffe gleich erklärt. Die ersten drei sind urbane Tanzstile aus der HipHop-Kultur, entstanden in den siebziger Jahren in den USA. Beatboxing wiederum ist eine Gesangstechnik, bei der man Beats mit Lautmalerei am Mikrofon imitiert. Fast könnte man dadurch auf die Idee kommen, das Stück solle gar nicht vom Fußball handeln, wie der Titel dies nahelegt.
Doch, doch. Natürlich erzählt das Stück die Biografie der drei Brüder Jérôme, Kevin-Prince und George Boateng, von denen zwei weltberühmte Fußballprofis wurden und einer heute Hundezüchter und Rapper ist. Auf Grundlage des von FAZ-Sportredakteur Michael Horeni verfassten Buchs „Die Brüder Boateng“ (2012) hat der Heimathafen Neukölln ein Theaterstück entwickelt, das am Sonntagabend im Pier 9 Premiere feierte. Dass die eingangs erwähnten Street-Tanzstile hier eine prominente Rolle spielen, wirkt konsequent, über weite Strecken wird in „Peng! Peng! Boateng“ Fußball getanzt.
Übersteiger-Choreografie
Die vier Protagonisten Kevin-Prince (Tamer Arslan), Jérôme (Nyamandi Mushayavanhu), George (Daniel Mandolini) und der Coach (Raphael Hillebrand) halten ihre Trainingseinheiten mit zackigen Locking-Bewegungen ab, tanzen den Übersteiger im Gleichschritt und tragen ihre Konflikte auf dem Bolzplatz – also hier im Berliner Gitterkäfig – in Formationen aus. Dass die Familiensaga als Erzählstoff perfekt ist, war zu ahnen. Drei Brüder, ein Vater, zwei Mütter – George und Kevin-Prince wachsen „auf Beton“ im Wedding auf, Jérôme in Wilmersdorf bei seiner Mutter.
George gilt zunächst als das größte Fußballtalent, kann sich aber in den höheren Jugendmannschaften nicht durchsetzen. Von den anderen beiden wird der eine – Jérôme – ohne ganz großen Karriereknick zum Weltstar und Liebling der Deutschen (mal abgesehen von AfD-Dobermann Alexander Gauland). Der andere – Kevin-Prince – wird erst zum Hassobjekt, als er 2010 kurz vor der WM Michael Ballack foult und ihn um die WM-Teilnahme bringt, ansonsten erlebt er die üblichen Ups and Downs einer internationalen Fußballkarriere. Einer kommt ruhig und langsam daher, der andere trägt das Getto im Habitus.
Die Frage war daher eher: Ist der Stoff nicht langsam auserzählt? Kann man den Bildern noch Neues hinzufügen? Kann man nicht, aber muss man auch nicht, lautet die Antwort, die Regisseurin Nicole Oder auf der Probebühne des Heimathafens gibt. Sie konzentriert sich darauf, die Geschichte – endloses Fußballspielen im Käfig, bei der Hertha kicken, mit Rassismus konfrontiert werden, unterschiedliche Lebenswege einschlagen – in eine rasante Form zu bringen. Und das gelingt sehr gut. Das Bühnenbild besteht vor allem aus Lautsprecherboxen, in einer Ecke zum Turm aufeinandergestapelt und im Raum verteilt. Nur wenige zarte Linien deuten ein Fußballfeld an, Bälle kommen kaum ins Spiel. Ein DJ-Pult ist aufgebaut, Daniel Mandolini steht dahinter und spielt HipHop-Tracks oder begleitet die Tanzformationen mit Beatboxing. Tamer Arslan ragt mit seiner Rolle des Kevin-Prince hervor, Szenenapplaus gibt es bei einem spektakulären Breakdance-Part von Raphael Hillenbrand.
Insgesamt ist ständig etwas in Bewegung, die erzählerischen Passagen sind auf das Nötigste reduziert. Sie haben Witz, weil sie sehr real sind, wie man im HipHop sagen würde. So begrüßt Kevin-Prince seinen Bruder Jérôme im Käfig mit den Worten: „Du bist eine Kunstrasenpussy, wir sind Käfigtiger.“ Ein angenehmer, nicht zu stark ans Getto anbiedernder Humor zieht sich durch das gesamte Stück. Als die Brüder darüber sprechen, ob sie die deutsche Nationalhymne mitsingen würden, sollten sie in der Auswahl kicken, bekundet Jérôme: „Nee. Ist nicht soulig genug.“
Der eine Bruder soll bekanntlich für Ghana (das Heimatland des Vaters) spielen, der andere mit Deutschland Weltmeister werden. Das Stück endet schließlich damit, dass die beiden Fußballprofis ihre Marktwertentwicklung der vergangenen Jahre vortragen. Eine glaubwürdige Art, heutige Sportlerkarrieren Revue passieren zu lassen.
Glücklicherweise hat das Heimathafen-Ensemble nicht den Fehler gemacht, die Geschichte zu überfrachten (bei all dem, wofür sie bis in die Gegenwart steht, vielleicht die größte Gefahr), sondern eine zu jeder Zeit leichtfüßige Inszenierung auf die Bühne gebracht. Der Klang im Pier 9 war bei einigen HipHop-Tracks etwas dumpf – damit wären die Probleme des Premierenabends aber auch schon im Wesentlichen benannt. Unter lang anhaltendem Applaus kam am Ende auch Buchautor Michael Horeni zur Verbeugung auf die Bühne. Auch er sah ganz zufrieden aus.
Pier 9, Hasenheide 9; weitere Aufführungen: 5. 1. bis 7. 1., 11. 1. bis 13. 1., 19. 1. bis 21. 1., jeweils 19.30 Uhr
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