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Wir brauchen Vielfalt im Journalismus

Perspektive In der „Zeit“ heißt es, Journalisten hätten die unteren Milieus aus dem Blick verloren und müssten wieder „das große Bild“ zeichnen. Eine Erwiderung

Kommt nicht vor und schreibt auch nicht: der Arbeiter Foto: Sebastian Wells

von Anne Fromm

Seit Donald Trump die Wahl gewonnen hat, fragen sich Journalisten hier und jenseits des Atlantiks, was sie falsch gemacht haben. Warum haben sie Trump nicht triumphieren sehen, sondern ihn stattdessen monatelang als Clown gezeichnet, der so lächerlich ist, dass er eh keine Chance auf einen Sieg hat? Warum haben sie nicht einschätzen können, dass es genug Leute gibt, die einen Rassisten, Frauen-, Homohasser und Lügner zum Präsidenten machen? Die Lösung, so liest es sich derzeit auf vielen Debatten- und Medienseiten heißt: weil wir genau diese Menschen aus dem Blick verloren haben.

Das schreibt in der aktuellen Zeit auch Stephan Lebert, Redakteur der Wochenzeitung. Lebert ist 1961 geboren, hat beim Tagesspiegel, dem Spiegel und der SZ gearbeitet. Schon seine Eltern waren Journalisten, als Kind hat er gern den Freunden und Kollegen seiner Eltern zugehört, wenn sie von ihrem Job gesprochen haben.

Aber seit den 90ern beobachte er, dass Journalisten lieber auf den Geburtstagspartys der Mächtigen tanzen, als sie zu kontrollieren. Dabei haben sie die unteren Milieus aus dem Blick verloren, haben „die sogenannten Sozialreportagen“ abgeschafft, „die Geschichten, die soziale Missstände anprangern“.

In den 90ern bin ich eingeschult worden. Ich kann nicht einschätzen, ob Lebert recht hat, glaube ihm aber. Denn seine Analyse, dass Journalisten oft zu nah an den Mächtigen sind, teile ich, genauso wie die Beobachtung, dass heute oft genauer auf jedes Zwinkern von Merkel als auf die Hartz-IV-Familie aus Cottbus-Schmellwitz geschaut wird. Dass das gefährlich ist, wissen wir nicht erst seit dem Brexit und seit Trump, sondern seit dem Aufkommen der „Lügenpresse“-Debatte. Und damit meine ich nicht nur jene irrlichternden Pegida-, Querfront- und Nazianhänger, die den Medien nicht mehr vertrauen. Ich meine dieses diffuse Misstrauen, was einem als Journalistin heute immer wieder entgegenschlägt, sei es auf Familienfeiern, im Bekanntenkreis oder von Wildfremden: Ihr steckt doch alle mit den Mächtigen unter einer Decke.

Lebert schreibt, Journalisten müssen sich daranmachen, „das große Bild zu zeichnen“. Das stimmt. Was aber nicht stimmt, ist, dass das mit Recherchieren und Schreiben getan wäre, wie Lebert behauptet. Das Problem ist nicht, dass Journalisten nicht das große Bild zeichnen. Das Problem sind die Zeichner selbst.

2012 hat Klarissa Lueg, Doktorandin der TH Darmstadt, für ihre Dissertation untersucht, woher der journalistische Nachwuchs stammt. „Herkunft und Positionierung: Die Logik des journalistischen Feldes“, heißt ihre Arbeit, für die sie Schüler dreier Journalistenschulen und deren Schulleiter befragt hat.

Ihr Ergebnis: Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) stammen aus einem „hohen“ Herkunftsmilieu. Deren Eltern sind in der Regel Akademiker, deren Väter überdurchschnittlich oft promoviert oder habilitiert.

An Unis und Fachhochschulen kamen 2012 etwa 60 Prozent der Studierenden aus einem Akademikerhaushalt. Die Journalistenausbildung in Deutschland, zumindest die schulische, ist also noch elitärer als die Hochschulausbildung. Woher sollen die guten Sozialreportagen denn kommen?

In meiner Journalistenschulklasse hatten alle meine 14 MitschülerInnen studiert oder sie studieren jetzt. Ich war die einzige Ostdeutsche, zwei Mitschülerinnen hatten Migrationshintergrund. Und der soziale Ausschluss funktioniert nicht nur über die Schulen, er beginnt schon bei den unbezahlten Praktika und den schlecht bezahlten Volontariaten. Die kann sich oft nur leisten, wer Geld von Mama und Papa bekommt. Recherchieren reicht nicht.

Klar könnte man jetzt einwenden: Journalistisches Handwerk ist das Recherchieren. Wer sich in den unteren Milieus nicht auskennt, der muss dort eben eintauchen. Politikjournalisten sind ja auch keine Politiker, berichten aber über Politiker. Der Unterschied ist nur: Die Sozialreportagen, die Lebert zu recht fordert, müssen, damit sie gut sind, über die bloße Beobachtung hinausgehen.

Wer nie in Cottbus-Schmellwitz von Hartz IV gelebt hat, weiß nicht, wo er anfangen soll zu recherchieren

Die unteren Milieus – Arbeitslose, Arme, Abgehängte – sind kein Zoo, in dem wir als Journalisten uns mal an einem Sonntagnachmittag umschauen und darüber berichten. Mir zumindest fallen nur wenige Texte ein über Menschen am Rande der Gesellschaft, die einfühlsam und so berichten, dass ich deren Lebenswelt verstehe. Die meisten Berichte über diese Menschen waren, vor allem im Vorfeld der Trump-Wahl, eine Mischung aus Freakshow und Abkanzeln unbekannter Lebensstile. Dazu kommt: Wer nie in Cottbus-Schmellwitz von Hartz IV gelebt hat, weiß nicht, wo er anfangen soll zu recherchieren. Wenn man die unteren Milieus nur aus der U-Bahn kennt, woher soll man wissen, was die Themen dieser Leute sind?

Vor knapp drei Jahren erschien in der Zeit der Text „Ich Arbeiterkind“ von Marco Maurer. Maurer, Sohn einer Friseurin und eines Kaminkehrers schreibt darin, wie schwer sein Aufstieg zum Journalisten war – gerade weil er Arbeiterkind ist. Der Text wurde viel diskutiert, Maurer hat für ihn Preise gewonnen, hat daraus ein Radiofeature gemacht und ein Buch geschrieben. Warum? Weil solche Geschichten fehlen.

Nein, Recherche reicht nicht, den Blickwinkel der Berichterstatter wieder zu weiten. Der Journalismus verändert sich erst, wenn sich seine MacherInnen verändern. Dazu braucht es heterogenere Journalistenschulklassen – nicht nur, was die soziale Herkunft betrifft. In den Redaktionen müssen mehr Leute mit Migrationshintergrund sitzen, schreiben und berichten, mehr Behinderte, mehr Menschen mit verzweigten Biografien.

Wie das klappen soll? Zum Beispiel mit Recherche – wo und wie erreichen wir als Redaktion die Nichtakademikerkinder? – und positiver Diskriminierung. Genauso, wie es auf Stellenausschreibungen manchmal heißt, Frauen würden „bei gleicher Qualifikation bevorzugt“, ließe sich diese Formulierung weiterdenken. Das wäre kein ungerechtes Identitäts-Klein-Klein, sondern die einzige Möglichkeit, den Journalismus zu dem zu machen, was er sein sollte: ein Abbild der Gesellschaft.

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