: Barrierefreiheit lohnt sich nicht
Alltag Behinderte Menschen stoßen beim Arztbesuch häufig auf Hürden
Wenn Birgit Brink einen Facharzt sucht, wird es kompliziert. Brink hat multiple Sklerose und ist im Rollstuhl unterwegs. Sie muss wissen, ob die Praxis einen Fahrstuhl hat. Die Recherche ist nicht leicht. Häufig fehlen auf Websites Infos zur Barrierefreiheit oder die Angaben sind unvollständig. Dass man nur zum Fahrstuhl gelangt, wenn man zuvor ein paar Stufen überwindet, verraten viele Websites nicht.
Birgit Brink ist als Barrierescout für die Patienten-Initiative unterwegs. Der Verein präsentierte am Montag bei einer Podiumsdiskussion im Ernst-Deutsch-Theater den Zwischenstand seines Projekts „Barrierefreie Arztpraxen“. Hierbei besuchen die Scouts Praxen in Hamburg und arbeiten eine Checkliste mit bis zu 270 Fragen ab.
Barrierefrei meint nicht nur rollstuhlgerecht. Es geht auch um eine kontrastreiche Gestaltung für sehbehinderte Menschen, die Möglichkeit für gehörlose Menschen, per SMS einen Termin zu machen, oder um Informationen in leichter Sprache für kognitiv eingeschränkte Patientinnen und Patienten.
Dass bei den Ärztinnen und Ärzten enormer Nachholbedarf besteht, machte Kerstin Hagemann, Geschäftsführerin der Patienten-Initiative, deutlich. Sie berichtete, dass etliche Medizinerinnen und Mediziner eine Begutachtung abgelehnt hätten: „Viele haben gesagt: Nein, wir möchten nicht, dass sie uns in der Praxis besuchen, weil wir einen so eng getakteten Alltag haben. Und wir möchten ja auch keine Behinderten in der Praxis, denn die Behandlung ist zeitintensiv, und im Wartezimmer wollen wir sie eigentlich auch nicht sehen.“
Silke Koppermann, Gynäkologin, behandelt viele Patientinnen mit Behinderung, gab aber zu, dass sich Investitionen in die Barrierefreiheit und das Behandeln von Menschen mit Behinderung nicht rechneten. „Es ist schade, dass es am guten Willen des Arztes hängt. Es sollte Programme geben, die uns unterstützen“, findet Koppermann.
Ingrid Körner, Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen, betonte, dass die Politik Barrierefreiheit nicht verordnen könne, zumindest nicht nach heutiger Rechtslage. „Wir können uns aber natürlich ein Gleichstellungsgesetz vorstellen, das den privaten Sektor mit erfasst und sagt, es ist eine Verpflichtung für alle diejenigen, die öffentlich zugängliche Dienstleistungen anbieten, sich barrierefrei aufzustellen.“
Die Projektfinanzierung ist für zwei weitere Jahre gesichert. Ziel der Patienten-Initiative ist, dass deutlich mehr Praxen unter die Lupe genommen werden als bisher und die erhobenen Daten online zugänglich gemacht werden. Heiko Kunert
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