vereinigungsgedanken (Teil 10 und schluss): „Die Wende war ein Triumph der Friedensforschung“
Theodor Ebert, Jahrgang 1937, war 1990 Friedensforscher an der FU. Für ihn liegen im Ende des Kalten Krieges Chancen für gewaltfreie Konfliktlösungen
Vor 15 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt – so der offizielle Terminus. Viele jubelten, einige trauerten, und manche ängstigte, was aus diesem Land werden könnte. Die taz lässt rund um den 3. Oktober Menschen zu Wort kommen, die damals in Berlin waren und die Atmosphäre in der Stadt beschreiben.
„Die Entwicklung in Ostdeutschland überraschte viele Studenten und Professoren am Otto-Suhr-Institut. Ein Beispiel: Spontan baute ich im Sommersemester 1989 in meine Vorlesung über zivilen Ungehorsam auch Überlegungen zu den Entwicklungen in Ostberlin und Moskau ein – aber den FU-Studenten fehlte das Gespür für den sich anbahnenden Wandel.
Einige Kollegen standen der Wiedervereinigung sehr kritisch gegenüber. Mancher sah darin sogar fast einen neokolonialen Akt. Aber wie die allermeisten hielt ich die Vereinigung für unvermeidlich. Während viele pazifistische Kollegen in Westdeutschland auf eine neue, demokratische DDR hofften, hielt ich das aus Westberliner Sicht für eine Illusion. Ich war davon überzeugt, dass wir in einem geeinten Deutschland miteinander klarkommen müssen. Darin bestärkten mich auch meine Kontakte zu Kriegsdienstverweigerern in der DDR, die ich schon vor der Wendezeit unterhielt. Auch sie setzten auf Gewaltfreiheit beim Wandel in Ostdeutschland. Ihnen fühlte ich mich sehr verbunden.
Als der Ostblock zusammenbrach, war ich enttäuscht, wie wenige Menschen begriffen, welche Chancen auch künftig in der Anwendung gewaltfreier Methoden lagen. Der Umbruch in Osteuropa war ja Folge einer Reihe von gewaltfreien Aufständen, die bei den sowjetischen Machthabern zu der Einsicht führte, dass sich das rote Imperium nicht aufrechterhalten lasse. Dass sich die meisten kommunistischen Diktaturen gewaltfrei überwinden ließen, war eigentlich ein Triumph von Ideen der Friedensforschung. Konsequenterweise hätten die Regierungen deshalb die Existenz der Nato infrage stellen müssen. Dazu kam es bekanntlich nicht. Insbesondere die USA waren dazu nicht bereit.
Als Mitglied der Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg trat ich für die Schaffung eines zivilen Friedensdienstes ein. Er sollte eine Alternative zur militärischen Ausbildung und zum Ersatzdienst sein. In diesem Dienst sollten junge Menschen lernen können, wie sich Konflikte gewaltfrei lösen lassen. Zwar gibt es heute ein paar Erfolge: Die rot-grüne Bundesregierung hat einige Projekte gefördert und sich geweigert, sich an dem Krieg gegen den Irak zu beteiligen. Darin sehe ich auch eine Auswirkung der Friedensforschung. Doch im Großen und Ganzen sind die Deutschen zu bequem geworden, sie suchen seit dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht mehr nach radikalen Wegen zum Frieden. Dabei ist die Gefahr, dass es in den nächsten Jahrzehnten zum Einsatz von Atomwaffen kommen wird, gefährlich gewachsen. Wir hätten allen Grund, nach unbewaffneten Formen der internationalen Konfliktbearbeitung zu suchen. Doch wir geben weiter ungeheure Summen für das Militär aus und investieren nur minimal in die Ausbildung in gewaltfreier Konfliktaustragung.
Das Datum des 3. Oktober 1990 selbst bedeutet mir nicht viel. Was ich an diesem Tag gemacht habe, weiß ich nicht mehr genau. Ich hörte die Rede von de Maizière. Ich geriet jedenfalls nicht vor lauter Begeisterung aus dem Häuschen. Trotz seiner Unterdrückung war mir der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 immer viel näher. Dieser unbewaffnete Aufstand war ein Signal für die Zukunft. Über die Wiedervereinigung habe ich mich aber gefreut. Seither verbringe ich meine Ferien regelmäßig in der früheren DDR, um ein unbekanntes Stück Heimat kennen zu lernen. Heute habe ich nicht mehr das Gefühl, dort ein Fremder zu sein.“
PROTOKOLL: MATTHIAS LOHRE
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