Fünf Jahre Christian Streich in Freiburg: Der mit den Spielern redet
Er wirkt noch immer fremd in der Profifußballbranche. Doch Christian Streich ist mit fünf Jahren Amtszeit der dienstälteste Bundesligatrainer.
Wenn die Freiburger Pressestelle auf Geheiß des Trainers schon vor Wochen jede Interviewanfrage abwies, liegt das allerdings auch daran, dass sie beim SC seit jeher schnell panisch werden, wenn das Interesse der Öffentlichkeit den gewohnten 50-Kilometer-Radius überschreitet. Als nach Streichs Äußerungen über Facebook, Flüchtlinge und die AfD („Man muss sich jetzt bekennen“) mehrere Dutzend Interviewanfragen aufliefen, ließ man deshalb die Jalousien runter. Auf Geheiß von Streich, dem zuletzt einige Menschen einen Hang zur Selbstdarstellung andichteten.
Und die damit ziemlich danebenlagen. Streich, der früher mit Sportdirektor Klemens Hartenbach in einer WG wohnte, ist vor 30 Jahren in der Freiburger Studentenszene politisch sozialisiert worden. Eine Meinung zu haben, gilt da nicht als Verhaltensauffälligkeit.
Wer sieht, wie er bei seinen öffentlichen Aussagen nach Worten rang, wie sein Blick hin und her wanderte, kann sowieso nicht auf die Idee kommen, dass sich da jemand inszeniert. Wenn Streich sich wohlfühlt, er das Gefühl hat, frei reden zu können (und vielleicht sogar eine Zigarette in der Nähe ist), dann ist seine Körpersprache genauso entspannt wie sein Redefluss. Er gewinnt in dem Maße an Souveränität, in dem das Publikum privater wird. Es ist die Frage, ob die große Bühne einen wie Streich mag. Ihr Freund ist er jedenfalls nicht.
Gelassenheit ist nicht sein Ding
Dass es ihm rund um die Spieltage so schwer gelingt, gelassen zu werden und zu bleiben, ist hingegen ein wirkliches Problem. Wenn Streich sich provoziert fühlt – sei es von Trainern wie Gertjan Verbeek, Hoffenheims Manager Alexander Rosen oder auch mal einer banalen Zeitungsüberschrift – geht ihm das noch Monate nach. Nervenschonend kann es nicht sein, wenn man noch mit 51 Jahren solche Dinge so schlecht abhaken kann.
Immerhin, ein paar Worte in eigener Sache hat Streich zuletzt fallen lassen. Er sei dem SC „dankbar, dass sie nicht gleich anfangen zu spinnen, wenn man mal ein Spiel verloren hat“, hat er gesagt und dabei sicher an den Abstieg im Sommer 2015 gedacht. Denn ansonsten hätte die Ägide Streich kaum erfolgreicher verlaufen können. Als er am 29. Dezember 2011 das Traineramt vom überforderten Marcus Sorg übernahm, führte er einen entmutigten Tabellenletzten auf Rang 12.
In der folgenden Spielzeit qualifizierte sich der Sportclub fürs internationale Geschäft, ehe man nach einem 14. Platz 2013/2014 in der darauffolgenden Saison abstieg, um eine Klasse tiefer den sofortigen Wiederaufstieg zu schaffen – als Erster vor RB Leipzig. Auch diese Spielzeit könnte frühzeitig zu einem guten Ende kommen. Der SC hat mit 23 Punkten zur Winterpause zehn Zähler Vorsprung auf den Relegationsrang.
Euphorische Kommentare der Spieler
Auf Ballbesitz und Kombinationsfußball wird jede Mannschaft Wert legen müssen, die von Streich trainiert wird, doch seit gut einem Jahr spielt der SC pragmatischer, ergebnisorientierter und auch deutlich robuster. Es waren notwendige Anpassungen, die dem SC Erfolg brachten. Doch Streichs Stärken erschöpfen sich nicht im Fußballtaktischen. Zwar gab es auch in Freiburg Profis, die mit Streich nicht klarkamen, doch es überrascht immer wieder, dass auch extrem unterschiedliche Spielertypen geradezu euphorisch über seine Menschenführung reden.
Schlichtere Gemüter, aber auch auffallend reflektierte Spieler wie Nils Petersen, Julian Schuster oder Jan Rosenthal. Streich ist dann am stärksten, wenn er mit seinen Spielern arbeiten kann und wenn es um Fußball geht. Mit seiner Art und manchen Aussagen, die in einer nichtssagenden Branche auffallen müssen, ist er zudem längst das Gesicht des SC Freiburg geworden. Ob ihnen das dort nun gefällt oder nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“