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Weltgeschichte im Wohnzimmer

Geburtstag Wolf Biermann wird heute 80. Er war großartig, bis er sich an sich selbst berauschte

Berlin 1972, Wolf Biermann in seiner Wohnung in der Chausseestraße. Das Bild wurde zum Plattencover, „Warte nicht auf bessre Zeiten“, 1973 Foto: Roger Melis

„Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit.“ Wolf Biermanns Stimme gurgelte aus dem Stern-Radiorekorder. Das Magnetband war dutzendfach kopiert worden – ich musste schon sehr genau hinhören, was da verschliffen aus dem Lautsprecher waberte. „Die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich.“

Es war Ende der siebziger Jahre in Ostberlin, ich war ein pubertierendes Mädchen und zu Besuch bei Micha aus der Zehnten. Wir taten in seinem Zimmer etwas Verbotenes: Wir hörten Biermann.

Wenige Jahre zuvor war dieser Wolf Biermann „ausgebürgert“ worden. Unsere Lehrer sagten „rausgeschmissen“. Bis Biermann von der dauerbeleidigten Politikerkaste der DDR zum offiziellen Klassenfeind gemacht worden war, kannte ich ihn eigentlich nicht – das Wort „ausbürgern“ aber sehr wohl. Die Nazis hatten Bertolt Brecht, Thomas Mann, ja sogar Albert Einstein ausgebürgert. Fast 40.000 Menschen hatten sie die Staatsbürgerschaft entzogen, ihre Exilschicksale füllten unsere Deutsch- und Geschichtslehrbücher. Biermann musste etwas ganz, ganz Furchtbares getan haben. Sonst wäre er nicht ausgebürgert worden.

Schon allein um das zu verstehen, hörte ich genau hin. Und was ich hörte, war poetisch. Da war eine deutliche Nähe zu Brecht zu spüren, auch zu Hanns Eisler und Kurt Weill. Ich hörte Rhythmen, die aus der Singe-Bewegung rührten, dabei aber schräg gebrochen wurden. Texte, die zart sein konnten, aber auch so agitatorisch, dass ich verlegen grinste. Vorgetragen mit sehr viel Atem, Pausen, Seufzen, auch Quieken. Biermann konnte eigentlich nicht singen – aber das grandios. Ich mochte die Liebeslieder, mich nervte das Geschrei. Aber insgesamt: Ja, großartig.

Biermann blieb genauso lange großartig für mich, wie ich ihn nicht als Person kannte. Nach dem Fall der Mauer saß er allenthalben in Fernsehtalkshows. Ich sah dort: einen Egomanen. Einen Hysteriker, der den fundamentalen Fehler ­begangen hatte, seine unbestritten große Wirkung auf seine ­eigene Person zu übertragen. Ein Mann, dem Eitelkeit und Besserwisserei aus allen Poren traten.

Ich dachte immer noch: Na gut, das haben die aus ihm gemacht, die ihn damals „rausgeschmissen“ haben. Biermann tat mir leid.

Das ging so bis vor zwei Jahren. Zum 25. Jahrestag des Mauerfalls hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert Biermann in den Bundestag eingeladen. Er sang dort die „Ermutigung“, jenes Lied, dem ich Jahrzehnte zuvor andächtig gelauscht hatte. Biermann machte aus seinen zehn Minuten im Parlament eine persönliche Abrechnung mit der vollzählig versammelten Linke-Fraktion. „Es ist Strafe genug, dass sie hier sitzen müssen, mich anhören müssen“, grantelte er. Als jemand erwiderte, man sei immerhin gewählt, grollte Biermann: „Gewählt! Sei nicht zu clever!“ Jene, die sich links nennten, seien bekanntlich weder links noch rechts, sondern reaktionär. „Ich habe euch zersungen, als ihr noch an der Macht wart.“

Ich. Euch. Zersungen. In der ersten Reihe ruckelte Angela Merkel auf ihrem lila Chefstuhl entzückt vor und zurück.

Ich saß oben auf der Pressetribüne, verstand jedes Wort, jeden Ton. Ich sah Biermann, wie er spielte und atmete. Ich sah einen an sich selbst berauschten Sänger. Ich hörte sein großes Lied. Aber es war vorbei. Anja Maier

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