Ausstellung im Bucerius Kunst Forum: Venedig war immer das andere
Seit Jahrhunderten arbeiten Künstler daran mit, Venedig zu einem vermarktbaren Gesamtkunstwerk zu machen. Das hat etwas von Selbstvergottung
HAMBURG taz | Niemand hatte in über tausend Jahren vermocht, von Land aus Kanonen auf den Dogenpalast in Venedig zu richten. Aber 1797 war alles vorbei. Nach Napoleons Ultimatum feierte die Stadtrepublik 24 Stunden lang ihr eigenes Ende. Dann plünderte eine der bisher am schärfsten überwachten Bürgerschaften die Paläste, verbrannte das Tor des ersten jüdischen Ghettos und tanzte um den blau-weiß-rot geschmückten Freiheitsbaum. Eines der einst mächtigsten und vielleicht kompliziertest verfassten Staatswesen der Geschichte versank in die Belanglosigkeit.
Aber wer jahrhundertelang in Kunst und Musik an seiner Selbstvergottung gearbeitet hatte, konnte nicht vergessen werden. 1816 kommt der romantische Dichter Lord Byron, 1819 der Maler Joseph Mallord William Turner nach Venedig, ab 1835 immer wieder der poetische Kunstforscher, Künstler und Philosoph John Ruskin. 1851 erscheint in London sein dreibändiges Buch „The Stones of Venice“, zugleich spezielle Kunstgeschichte und frühes Plädoyer für den Denkmalschutz. Hauptsächlich Engländer ließen aus den salzzerfressenen Palästen am Wasser den Mythos des ewig versinkenden, zwischen Liebe und Tod schwebenden Traumbildes wachsen. Und diese schöne Idee kann sich bis heute behaupten, trotz aller unvorstellbar grässlichen touristischen Auswüchse.
Vier Städte sind im zentralen Turmsaal des Hamburger Rathauses als Vorbild der Freien und Hansestadt zitiert: Neben Athen und Rom sowie Amsterdam ist es selbstverständlich Venedig. Und ein Gebäude weiter am Rathausmarkt, im Bucerius Kunst Forum, sind jetzt rund 100 Exponate zu Gast, die Venedig in der Kunst zeigen. Zwar auch Kunst aus Venedig, vor allem aber solche über Venedig. Und auch ohne viel Vorwissen – aber das hat bei dem Thema ohnehin fast jeder – kann nachvollzogen werden, wie die Künstler an der Marke Venedig gearbeitet haben. Eine tatsächlich sehr einzigartige und kulissenhafte Stadtgestalt wird zum höchst erfolgreichen Branding.
Mit der „Entdeckung“ Amerikas und des Seeweges nach Indien bricht mit dem Monopol auf den Orienthandel die traditionelle ökonomische Basis Venedigs weg. Der angehäufte Reichtum wird in Kultur und Werbung investiert. Seit rund 500 Jahren hat nichts in dieser Stadt irgendeinen anderen Sinn als den, Teil des vermarktbaren Gesamtkunstwerks zu sein. Es werden nicht mehr die Händler angelockt, sondern Reisende. Ihnen wird so viel Vergnügen wie möglich garantiert, am Ende dauerte der Karneval fast acht Monate. Und so eine Stadt muss beworben werden.
Stark idealisierende Ansichten
Erst sind die Stadtansichten nur der Hintergrund der offiziellen Dogenbilder, dann werden dokumentierende Bilder von prunkenden Staatszeremonien und die Veduten der Gebäude am Wasser ein eigenes Genre. Bilder von Canaletto und Francesco Guardi zeigen im 18. Jahrhundert die Pracht und die Schönheit der Lagunenstadt, sie werden nach ganz Europa exportiert.
Doch sie sind bei allem scheinbaren Realismus stark idealisiert, zeigen präzise Ansichten von fiktiven Standpunkten aus. Im 19. Jahrhundert wird Venedig für die europäischen Künstler immer interessanter, sie malen das besondere Licht, die Spiegelungen der Architektur im Wasser und die eigenen Visionen einer so kaum gewesenen Glorie. Und dann wurde 1895 mit der Erfindung der ersten Kunst-Biennale der Welt auch noch der Anschluss der überzeitlich gewordenen Stadt an die globalisierte Moderne geschafft – jedenfalls wenn man nicht auch das nur als Entertainment betrachtet.
Venedig war immer das andere: Straßen aus Wasser und eine mit Orientalismen pralle Architektur außerhalb der klassischen Normen. Aber dort gab es auch eine relativ weitgehende Freiheit des Lebens und Denkens, jedenfalls solange die politische Macht der wenigen in kompliziert organisiertem Gleichgewicht herrschenden Familien nicht angetastet wurde. So zeigt die Ausstellung nicht nur Gebäude und Lichtreflexe, sondern auch das pralle Leben bis hin zur Karikatur. Besonders überraschend vielleicht ein großes Bild von Glücksspielern um 1752 vom Kassler Klassizisten Johann Heinrich Tischbein dem Älteren.
Ein an Bilderflut ertrinkender Sehnsuchtsort
Auch frühe Fotografien wie John Ruskins Architekturdokumentationen werden präsentiert und Großfotos der heutigen Stars: Bei Thomas Struth verschwinden die Besucher in der Kirche San Zacceria fast in der jeden Zentimeter füllenden Ausmalung und werden selbst zu einer Inszenierung von Farbbezügen. Candida Höfers Foto des nach Bränden zum zweiten Mal wiederaufgebauten Opernhauses „Teatro La Fenice“ zeigt mit leerer, weiß strahlender Bühne: Alles ist hier möglich und alles ist immer theatralisch. Bei einem immer wieder gerne abgebildeten Baudetail veränderte sich sogar der Name: Aus dem praktischen Verbindungsgang zwischen Dogenpalast und Staatsgefängnis wurde romantisch ganz offiziell die Seufzerbrücke.
Es ist eine Ausstellung zum Schwelgen in Bildern und Erinnerungen. Und doch: Über Venedig ist schon alles gesagt – hat schon Goethe gesagt. Tatsächlich versagt hier die übliche Taktik des Bucerius Kunst Forums, über Populäres und Bekanntes stets neue Filter der Wahrnehmung zu legen. Das Branding Venedigs ist zu stark. Zwar ist gut nachzuvollziehen, wie systematisch dieses Image aufgebaut wurde, aber als flirrender Schatten seiner selbst ist es so wenig wirklich zu fassen, wie der schwindende Klang eines fernen Adagiettos.
So bleibt inmitten des zentralen Bilderpantheons, zwischen venezianischen Visionen, zwischen Turners wunderbar ätherischen Aquarellen und kaum weniger vagen Ölbildern oder Monets leuchtenden Lichtern der respektlose Kommentar von Kippenbergers „Sozialkistentransporter“, einer bunt favelahaft zusammengezimmerten Sperrholzgondel, doch ein seltsamer Fremdkörper in dieser virtuellen Reise an einen unter einer unendlichen Bilderflut ertrinkenden Sehnsuchtsort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!