Abschiebeknast in Eisenhüttenstadt: Geh mir aus dem Land
In Eisenhüttenstadt steht die einzige Abschiebehaftanstalt Ostdeutschlands. Ein Besuch bei fünf Insassen und zwei deutschen Juristen.
Fünf Männer sitzen in der Abschiebehaft Eisenhüttenstadt. Ein Mann mit Bart und Musik auf den Ohren dreht seine Runden auf den alten Betonplatten, die in das nur spärlich gewachsene Gras eingelassen sind. Er starrt auf den Boden, läuft und dreht nach wenigen Metern wieder um. Und wieder von vorn. Rund zwanzig auf sechzig Meter unter freiem Himmel bleiben den Häftlingen, täglich neunzig Minuten. Der Zaun um den Hof ist doppelt mit Stacheldraht umwickelt. Dahinter bleibt in einiger Entfernung der Blick auf in die Jahre gekommene Plattenbauten, zwischen denen das Herbstgrau aufs Gemüt drückt.
Auf der linken Seite des Hofs wird Federball gespielt. Das zerrissene Netz hängt tief, der Ball bleibt nicht lange in der Luft. Ein breitschultriger Mann mit kantigem Gesicht und einer alten Winterjacke aus Leder folgt dem Treiben von der Seite. Ein anderer, schmächtiger, sitzt vor dem Spielfeld auf der Lehne einer Bank, an der die Hälfte der Latten fehlt. Er trägt einen Trainingsanzug, auf seinen nackten Füße stecken nur Flip-Flops.
Marzuq ist der Mann. Er hat ein schmales Gesicht, kurze lockige Haare und tippt auf seinem Telefon herum, während er spricht. Eigentlich heißt Marzuq anders, seinen echten Namen soll niemand wissen. Schließlich weiß nicht einmal seine Familie in Marokko, dass er hier ist. Sie denken, er arbeite in Schweden, wo er das letzte Jahr verbracht hat. Seine Bekannten dort wähnen ihn in Italien. Da wollte er den Winter über arbeiten. Doch auf der Durchreise zog ihn die Bundespolizei in Rostock aus dem Bus und schickte ihn in Abschiebehaft.
Durch Gittertüren zur Toilette
„Wenn du nach Marokko kommst, lade ich dich in mein Haus ein. Nicht ins Gefängnis“, sagt er auf Englisch und lacht. „Sie sagen ja, es sei kein Gefängnis. Aber das ist eins.“ Er deutet auf die Fassade hinter sich. Auf zwei Etagen behindern Gitter den Blick durch die Fenster. „Wenn ich hier draußen aufs Klo muss“, erzählt Marzuq, „dann laufe ich nicht einfach rein. Ich sage dem Mann am Zaun Bescheid, der funkt nach drinnen, und die machen dann die Türen auf.“ Marzuq schüttelt den Kopf.
Vier Kinder und seine Frau warten seit über einem Jahr in Marokkos Hauptstadt Rabat auf den 45-Jährigen. Er hatte mal einen Schuhladen. Der ging pleite, während Marzuq einem privaten Kreditgeber noch 3.000 Euro schuldete. „Wenn ich jetzt zurückgehe, werde ich am Flughafen verhaftet“, meint er. In Schweden verkaufte er gebrannte Mandeln. Weil er dort illegal war, bekam er keine Sozialhilfe. Sein Gehalt ging für sein Zimmer drauf. „Wie sollte ich denn nach Hause kommen, ohne irgendetwas in der Tasche?“ Abgeschoben wird er Mitte November nach Schweden. Dort muss er Asyl beantragen. Arbeiten kann er so erst einmal nicht.
Marzuq, Abschiebehäftling
Hier auf dem trostlosen Hof bei den Männern spürt man, wie ernst es einer Gesellschaft mit dem Konzept eines Staates sein muss, auf dessen Territorium nicht jeder willkommen ist. Auf der Straße vermutet man Illegalität höchstens, wo fremd aussehenden Menschen nichts anderes bleibt, als mit Drogen zu handeln. Hier drinnen aber fühlt der die Konsequenzen, der nicht in dieses Land gehören darf. Auch draußen mag die Arbeitserlaubnis gefehlt haben, das Gefühl, akzeptiert zu sein. Hier aber fehlt die Freiheit, eine Toilette aufzusuchen.
Ein Jurist voller Verantwortung
Während draußen Federball gespielt wird, führen Peter Wasim und der Leiter der Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt, Frank Nürnberger, durch die Hafträume. Wasim ist ein großer Mann mit kleinen Augen und rundem Gesicht. Aus seinem Jackett ragt ein Einstecktuch. Weil die Auswirkungen der Flüchtlingskrise das Asylrecht bedroht hätten, sagt der Jurist Wasim, hat er Anfang des Jahres die Leitung hier übernommen. „Das Grundrecht auf Asyl ist wichtig. Aber es funktioniert nur, wenn auch abgeschoben wird, wer kein Anrecht darauf hat.“
„Na ja, oder man schafft ein Einwanderungsgesetz, damit gar nicht jeder Asyl beantragen muss“, widerspricht ihm prompt sein Vorgesetzter Nürnberger, ebenfalls Jurist. Nürnberger hat eine Glatze, ist kleiner und schmächtiger als Wasim. Wenn er spricht, stemmt er die Hände in die Hüften und setzt zu langen Monologen an. „Sendungsbewusstsein“ nennt er das. Der Wortschatz der beiden ist geprägt von ihrem Beruf. Rückführungsanordnungen werden hier bearbeitet, Flugunwilligkeit festgestellt oder Gepäcknachsendeanträge ausgefüllt.
Noch vor Betreten der Anlage hatte Nürnberger ihre Sinnhaftigkeit bereits in Zweifel gezogen. „Mit Abschiebehaft kann man Migration nicht steuern. So ein Makrophänomen kann ich nicht auf der Mikroebene lösen“, hatte er gesagt, als wollte er kritischen Fragen Vorschub leisten. „Oft genug ist das ein Spiel. Wir schieben ab, und die Leute sind kurz darauf schon wieder hier.“ Man dürfe ihn aber nicht falsch verstehen, Abschiebungen seien nötig. Und für schwere Fälle auch Abschiebungshaft.
Ein juristisch komplizierter Vorgang
Im Schnitt saßen dieses Jahr nur sechs Menschen gleichzeitig und durchschnittlich 16 Tage lang hier ein. Die Zahlen sind rückläufig. Weil die meisten freiwillig oder begleitet ausreisen und weil die Rechtsprechung „restriktiver“ geworden sei, wie Wasim sagt. Es kämen viel weniger Haftanträge durch als früher. Abschiebehaft ist juristisch kompliziert und voller Voraussetzungen. Die Amtsgerichte haben mit den Asylverfahren nichts zu tun. Dennoch entscheiden sie über Haftanträge, die von der Polizei oder der Ausländerbehörde gestellt werden, wenn der Verdacht besteht, dass die Abschiebung sonst nicht zustande kommt.
2013 war Nürnbergers Behörde, die auf demselben Gelände die zentrale Erstaufnahmestelle Brandenburgs betreibt, durch den Suizid eines Flüchtlings und durch die rechtswidrige Inhaftierung eines anderen aufgefallen. Aufgefallen war sie auch durch die enge Verzahnung der Erstaufnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das direkt auf dem Gelände Asylanträge bearbeitet, und der Abschiebehaft. Zeitweise hatte die Bundespolizei Neuankömmlinge direkt vor dem Tor der umzäunten Anlage aufgegriffen und in die Haft geschickt, noch bevor sie ihren Asylantrag stellen konnten. „Diesen Beamten hätte ich den Vogel gezeigt“, erklärt Nürnberger, der Mitte 2013 ins Amt kam. Und dass mittlerweile alles verbessert, der psychosoziale Dienst beispielsweise massiv ausgebaut worden sei.
Peter Wasim, Haftleiter
Draußen rieselt ein leichter Regen herab. Augustin hat bis eben Federball gespielt, jetzt steht er am Eingang des Hofs. Der 24-jährige Ghanaer ist erst seit drei Tagen hier. Wie lange er schon in Deutschland sei? Er blickt stumm zu Boden, schaukelt langsam vor und zurück und spielt mit seinen Fingern nervös an einem gelben Schaumstoffball herum. Dann blickt er für einen Moment auf, aus seinen Augen spricht Angst. „Ich erinnere mich nicht. Zu viel Stress“, murmelt er auf Englisch.
Station in Ludwigslust
Dann werden die Gefangenen hereingerufen, zehn Minuten früher als sonst. Dem Wärter ist kalt. Augustin möchte drinnen Tischtennis spielen. Er spielt gut, wirkt sicher in seinen Bewegungen, nichts erinnert an das verängstigte Wesen vom Hof. Wo er in Deutschland gewohnt hätte? Augustin unterbricht das Spiel. Plötzlich verkrampft er wieder und starrt auf den Boden. Lange kommt keine Antwort. Dann ein kaum hörbares „Ludwigslust“.
Augustin ist ein Dublin-Fall. Er kam durch durch halb Afrika nach Libyen, von wo er mit einem Boot nach Sizilien übersetzte. Dort wurde er registriert. Deshalb soll er nach Italien abgeschoben werden, Mitte November. „Ich habe keine Ahnung, was ich dort machen soll“, sagt er über die Tischtennisplatte gebückt und so leise, als verrate er ein Geheimnis.
Wo die Wände hallen
In dem kleinen Tischtennisraum kann man sich nur schwer unterhalten. Die kahlen Wände werfen das gesprochene Wort zurück. Augustin läuft hinaus auf den Flur und öffnet die schwere Stahltür zu seiner Zelle.
Drei Bettgestelle aus Metall stehen darin, doch Augustin schläft allein. Durch das Gitter im Fenster blickt man in den Hof. Ansonsten stehen nur ein Holztisch im Raum und drei Stühle. Auf dem Tisch: Joghurt, ein bisschen Obst und Orangensaft. An der Wand darüber läuft deutsches Privatfernsehen. Auf Augustins Kopfkissen liegt eine Bibel. „Nach der habe ich gefragt, und sie haben sie mir gebracht.“ Was er heute noch vorhat? Er blickt aus dem Fenster, wieder kommt lange keine Antwort. „Vielleicht lese ich noch ein bisschen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen