piwik no script img

Fragwürdige Qualitätskontrollen bei AltenheimenGute Noten, schlechte Pflege

Trotz schlimmer Missstände bekommt ein Pflegeheim in Hedemünden die Note 1,6. Ronald Schminke (SPD) hält das Benotungssystem für Verbrauchertäuschung.

Gut versorgt? Die Benotung von Pflegeheimen ist völlig intransparent Foto: Oliver Berg/dpa

BREMEN taz | Sechs Ermittlungsverfahren sind bei der Staatsanwaltschaft Göttingen gegen die Verantwortlichen der Betreibergesellschaft der Pflegeeinrichtung „Haus der Heimat“ in Hedemünden im Kreis Göttingen anhängig – dabei konnte sich das Haus noch bis Juli mit der vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vergebenen Note 1,6 schmücken.

Ermittelt wird inzwischen wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs, der Untreue und der fahrlässigen Körperverletzung, außerdem gegen eine Pflegekraft wegen des Vorwurfs der körperlichen Misshandlung. Das geht aus einer Antwort der niedersächsischen Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der SPD-Fraktion von Ende Oktober hervor, die auf Initiative ihres Abgeordneten Ronald Schminke erfolgt ist.

Der hatte all diese Vorwürfe öffentlich geäußert – und war dafür von Bettina K., nach wie vor Geschäftsführerin des Pflegeheims, wegen Verleumdung angezeigt worden. Schminke hatte das Heim mit dem Norderneyer Altenheim „Inselfrieden“ verglichen: Geschäftsführerin war auch hier Bettina K. Auch im Fall Inselfrieden ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung.

Nach K.’s Anzeige gegen Schminke hatte die Staatsanwaltschaft die Aufhebung seiner Immunität beantragt. Das wollte der sich nicht bieten lassen: K. versuche ihn auf diesem Wege einzuschüchtern und mundtot zu machen, sagte Schminke und bat den Ältestenrat des Landtags, dem Antrag der Staatsanwaltschaft nicht stattzugeben – mit Erfolg: Die rotgrüne Mehrheit im Ältestenrat sprach sich gegen die Aufhebung von Schminkes Immunität aus.

In einer Mitteilung seiner Fraktion heißt es dazu: „Schminke hat Mängel angeprangert, die spätestens jetzt auch durch die Landesregierung dokumentiert sind.“ Er habe „damit seine Pflicht als Abgeordneter wahrgenommen und sich zum Schutze des Lebens Pflegebedürftiger eingesetzt“. Die Missstände im „Haus der Heimat“ seien noch schlimmer als bisher öffentlich gemacht.

Gegen das Pflegeheim gab es schon 2015 Vorwürfe: Die Hygiene sei nicht in Ordnung, Bewohner sollen kein Taschengeld erhalten haben. Im Juli 2016 fanden die Behörden dann Bewohner im eigenen Kot vor, Wechselwäsche fehlte, Menschen waren wochenlang nicht geduscht worden.

Dabei war das Heim regelmäßig überprüft worden: Vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, der bundesweit regelmäßig Pflegeheime prüft und seine Ergebnisse in Form von Benotungen veröffentlicht. Die MDK-Gesamtbenotung wird gern von Pflegeheimbetreibern zu Werbezwecken auf ihre Internetseiten gestellt, denn sie ist immer positiv: Sowohl dem „Haus Inselfrieden“, in dem ähnlich schlimme Zustände vorgefunden wurden wie in Hedemünden, als auch dem „Haus der Heimat“ erteilte der MDK Gesamtnoten von 1,1 und 1,6.

Als Sprecher für Verbraucherschutz in der SPD-Fraktion will Schminke sich jetzt für eine Änderung des Heim-Bewertungssystems einsetzen. Er bezeichnet die MDK-Noten als Verbrauchertäuschung und hat an den Landtag eine Anfrage gestellt, in der er wissen will: „Welchen Aussagewert hat eine Qualitätsprüfung, wenn trotz schwerwiegender Mängel Bestnoten vergeben werden?“ Das klingt nur auf den ersten Blick nach einer rhetorischen Frage, denn tatsächlich haben die MDK-Benotungen einen Aussagewert – der freilich für Menschen auf der Suche nach einem Pflegeheim völlig intransparent bleibt.

Benotet werden vier Kategorien. Obwohl die sich aus unterschiedlich vielen Einzelkomponenten zusammensetzen, werden diese Noten gleich stark gewichtet. Bekommt ein Heim also beispielsweise für bis zu 32 Kriterien im Bereich „Pflege und medizinische Versorgung“ eine schlechte Bewertung, kann die „ausgeglichen“ werden durch ein „sehr gut“ für nur maximal neun Kriterien im Bereich „soziale Betreuung und Alltagsgestaltung“.

Die aufgeschlüsselten Bewertungen sind überdies schwer zu finden. Je nach Krankenkasse heißen die entsprechenden Internetportale „Gesundheitsnavi“, „Pflegefinder“, „Pflegekompass“ oder „Pflegelotse“. Bleibt also meist nur die zusammengefasste und fast immer gute Gesamtnote, die Verbraucher an exponierter Stelle auf den Internetseiten der Betreiber finden.

„Die Bewertungssystematik muss dringend verändert werden“, sagt Schminke. Oder verdrängt von den Berichten der bei den Sozialbehörden angesiedelten Heimaufsichten: Die sind nämlich ebenfalls für die Kontrolle von Pflegeeinrichtungen zuständig. Bloß: Ihre Ergebnisse werden nirgends veröffentlicht. „Die Behörden argumentieren immer mit Datenschutzgründen“, so Schminke. „Warum werden datenschutzrelevante Inhalte nicht einfach geschwärzt.“

Die Sozialbehörde des für das „Haus der Heimat“ zuständigen Landkreises Göttingen scheint offen zu sein für Schminkes Vorstoß: Die Berichte der Heimaufsicht seien „grundsätzlich ein geeignetes Mittel, die Öffentlichkeit transparent zu informieren“, sagt Landkreis-Sprecher Ulrich Lottmann. Das müsse jedoch „mit der Fachaufsicht abgestimmt sein“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!