Erfinder des Zehenschuhs übers Gehen: Barfuß auf dem Berg
Der Südtiroler Robert Fliri, Erfinder des Zehenschuhs, erklärt, warum er beim Wandern Boden unter den Füßen spüren will.
Der Südtiroler Robert Fliri, Erfinder des Zehenschuhs, erklärt, warum er beim Wandern Boden unter den Füßen spüren will. Wir treffen uns auf fast 2.000 Meter Höhe im Finailhof bei Meran, einst der höchstgelegene Kornhof Europas. Fliri ist der Erfinder des FiveFinger-Schuhs – für die einen ein Kultobjekt, für andere einfach nur Froschfüße. Die Idee dazu kam ihm hier in den Südtiroler Dolomiten, wo er zu Hause ist. Wir treten ein in die warme Stube und setzen uns auf eine Holzbank unter dem Hergottswinkel, wo Jesus und Maria mild auf uns herablächeln.
taz.am wochenende: Herr Fliri, hier oben ist es kalt, windig und ziemlich einsam. Hat es Sie nie gereizt, aus der Südtiroler Bergwelt auszubrechen?
Robert Fliri: Nein, nie. Ich liebe das Leben hier oben im einsamen Tal. Ich reise viel, vor allem in die USA und nach China, aber ich komme immer wieder zurück. Mein Vater war das dritte von 13 Kindern auf einem Selbstversorgerhof. Es wurde alles selbst gemacht, bis auf das Salz und den Wein. Elektrizität gab es erst ab 1978, als ich zwei Jahre alt war.
Viele halten diese Welt für rückständig …
Rückständig sind wir heute, weil wir nichts mehr selbst machen können. Unser Kopf ist überlastet und unser Körper vollkommen unterfordert. Da fehlt das Gleichgewicht und ich kann ohne dieses Gleichgewicht nicht leben.
Sind Sie deshalb auf die Idee gekommen, einen Schuh zu erfinden, mit dem man den Boden unter den Füßen spürt?
Ja, dieser Schuh ist ein Produkt meiner Kindheit in den Bergen. Zum Bergsteigen trugen wir immer hohe schwere Schuhe. Die schützen den Fuß natürlich, aber sie hindern ihn auch daran, ein natürliches Gleichgewicht für die Belastung des Körpers zu finden. Wenn der Körper mitdenkt, kann ich mich besser bewegen und das gibt mir mehr Freiheit. Und diese Art von Freiheit ist mir wichtig.
Die Erfindung des Zehenschuhs war eher ein persönliches Anliegen als ein Designprojekt?
Die Idee ist schon 1997 entstanden. Als ich damals in die Bozener Akademie für Design aufgenommen wurde, hatte ich vorher über zwei Jahre als Holzfäller gearbeitet. Ich habe jeden Tag fünf Leute gesehen und elf Stunden an der frischen Luft gearbeitet. Anschließend bin ich direkt vom Wald in die Schule gekommen, das heißt, ich musste von rein körperlicher auf rein intellektuelle Aktivität umschalten. Das hat mir zu schaffen gemacht. Bei einer Bergtour habe ich dann einmal die Schuhe ausgezogen und mich sofort „connected“ gefühlt, ganz nah dran an der Natur. Das war es.
40, lebt mit Frau und zwei Töchtern in Gargazon im Südtiroler Etschtal. Er hat als Holzfäller gearbeitet und in Bozen Design studiert. Die Idee des FiveFinger-Schuhs, mit dem man fast wie barfuß laufen kann, kam ihm schon während des Studiums. Heute produziert die italienische Firma Vibram über zehn Modelle des Zehenschuhs, der zum Kultobjekt der Sneakergeneration geworden ist.
Wie entstand daraus ein Schuh?
Wir haben an der Uni die Aufgabe bekommen, eine Lösung für einen Freizeitsport unserer Wahl zu finden. Im Austausch mit anderen Studenten und Dozenten habe ich einen Freizeitschuh vorgeschlagen, mit dem ich wie barfuß laufen kann. Dem Dozenten hat das Projekt gefallen. Da war sofort Energie dahinter. Ich habe dann versucht, ein Modell aus alten Schwimmanzügen selbst zu schneidern und habe dabei viel über den menschlichen Fuß gelernt. Aber allein konnte ich den Schuh nicht produzieren. Schuhfabrikanten hatten wenig Interesse, denn der FiveFingers ähnelt eher einem Handschuh als einem klassischen Schuh. Am Ende bin ich zum Glück bei dem Sohlenhersteller Vibram aus Varese gelandet. Im Jahr 2002 hielten wir den ersten Prototyp in der Hand.
Die New York Times zählte den FiveFingers 2007 zu den besten Erfindungen des Jahres. Heute gibt es über zehn verschiedene Modelle. Wie geht es weiter?
Das müssen wir jetzt entscheiden. Man könnte den technologischen Aspekt weiterentwickeln. Daran arbeiten wir. Sicher sollten wir aber auch stärker kommunizieren, dass es bei den FiveFingers um mehr geht als um ein Produkt. Es geht um eine neue Erfahrung und um einen Lernprozess, wie man seinen Körper einsetzen kann. Also um einen ganzheitlichen Ansatz: darum, wie wir uns fühlen, und nicht nur, wie wir laufen.
Die Wirtin stellt Ziegenbraten in einer Eisenpfanne auf den Tisch. Dazu Brotknödel. Robert Fliri macht sich über sein Leibgericht her. „Mmmh, ein Sonntagsessen wie früher“, sagt er. Auch die Gäste schlemmen. So endet das Gespräch.
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