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Kaltstellen oder Diskutieren In der Bremischen Bürgerschaft sind sich Linke und Grüne nicht mehr einig, wie sie mit rechten Abgeordneten umgehen sollen. Ein Streitgespräch„Was sie bewirkt haben, ist fatal“

So sieht ein erfolgreicher Wahlkampf aus: AfD-Anhänger in Schwerin mit Deutschland-Plakat, der Spitzenkandidat und ehemalige Radiomoderator Leif-Erik Holm vor dem Parlamentssitz und beim Jubeln nach der Wahl Fotos: Axel Heimken, Jens Büttner, Daniel Bockwoldt (2)/dpa

Interview Eiken Bruhn

taz: Frau Schaefer, im Bremer Parlament gibt es eine Absprache, dass immer nur eine Fraktion der demokratischen Parteien stellvertretend für die anderen auf einen Beitrag der Rechten antwortet. Neuerdings steigen die Grünen aber in Debatten mit ihnen ein. Warum?

Maike Schaefer: Das stimmt so nicht. Wir gehen nicht jedes Mal in die Debatte, sondern machen es vom Einzelfall abhängig. Wenn Herr Tassis von der AfD einen Antrag stellt, dass er statt Flachdächern Giebeldächer auf Neubauten haben möchte, dann reicht es, wenn einer redet, weil es einfach unpolitisch ist. Aber wenn es darum geht, dass eine rechtspopulistische Partei den Bürgerschaftspräsidenten zum Rücktritt auffordert, wie es im März in Bremen geschehen ist, dann sind wir der Meinung, dass es nicht reicht, wenn nur eine oder einer redet.

Warum nicht?

Rechte in der Bürgerschaft

Fünf Fraktionen sitzen in der Bremischen Bürgerschaft: SPD, Grüne, CDU und FDP und Linke. Hinzu kommt mit Jan Timke ein Einzelabgeordneter der Bürger in Wut, die der ehemaligen Hamburger Schill-Partei ähneln.

Bei der Wahl im Mai 2015 zog die AfD mit vier Abgeordneten als Gruppe in die Bürgerschaft ein. Drei Abgeordnete verließen nach der Wahl von Frauke Petry zur Bundesvorsitzenden die AfD und traten im Juli 2015 bei der Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa) ein.

Inhaltlich nehmen sich in Bremen AfD und Alfa nichts. Im März hatte der Bremer Abgeordnete und stellvertretende Alfa-Bundesvorsitzende Christian Schäfer den Rücktritt von Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) gefordert, weil dieser bei einer Veranstaltung der „Islamischen Förderation Bremen“ eine Gastrede gehalten hatte.

Im April 2016 leitete nach internen Machtkämpfen der Landesvorstand der AfD ein Parteiausschlussverfahren gegen ihren einzigen Abgeordneten, Alexander Tassis, ein. Nach dessen Hitler-Merkel-Vergleich im Juli forderte er Tassis erneut auf, aus der Partei auszutreten und sein Mandat zurückzugeben – bislang ohne Erfolg.

Schaefer: Wir können die Positionen der AfD – ich zähle Alfa in Bremen dazu, die unterscheiden sich hier in ihrer Fremdenfeindlichkeit nicht voneinander – nur entlarven, wenn man auf ihre Argumente eingeht. Und wir glauben, dass es bei ihren Wählern und Wählerinnen neben denen, die einfach extrem rechts sind und die man nie erreichen wird, Protestwähler gibt. Denen wollen wir vermitteln, dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen und uns ihre Probleme anhören. Auch wenn wir die anders lösen würden – die Probleme sind ja immer real bei diesen Leuten da.

Kristina Vogt: Aber sie interessieren sich doch nicht für Argumente! Deshalb habe ich mich auch so sehr darüber geärgert, dass ihr Grünen euch nicht an die Absprache gehalten habt, dass eigentlich nur die CDU auf den Antrag eingehen und in klaren knappen Worten die Rücktrittsforderung zurückweisen und erklären sollte, warum ein Parlamentspräsident mit Muslimen reden darf. Stattdessen bist du, Maike, drei Mal nach vorne gegangen. Du hast ja nicht falsch argumentiert, aber eben moralisch-ethisch, worauf die Rechten anspringen. Als Ergebnis konnten sowohl Alfa als auch die AfD als auch Jan Timke von den Bürgern in Wut mehrfach in die Bütt gehen.

Was ist daran problematisch?

Vogt: In der Berichterstattung über die Debatte kam dann rüber: Der Schäfer redet, der Timke redet, und der Tassis redet. Und die demokratischen Fraktionen tauchen gar nicht mehr auf. Die AfD hat gemessen an ihren Aktionen – sie machen ja nur ganz wenig im parlamentarischen Raum – eine Medienpräsenz, die ist unglaublich.

Kristina Vogt

51, hat als Rechtsanwalts­fachangestellte gearbeitet und ist seit ihrem Eintritt 2011 in die Bremische Bürgerschaft Vorsitzende der Fraktion Die Linke.

Sie ist außerdem deren Sprecherin für Bildungs- und Innenpolitik.

Die Grünen argumentieren, nur so könne man herausstellen, was die AfD wirklich will.

Vogt: Das ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass man diese Partei entlarven könne. In Bremen zum Beispiel hat sich die AfD schon zu Beginn der Legislatur vor einem Jahr zerlegt. Es dauerte keine zwei Monate, da waren drei von vier gewählten AfDlern aus der Partei ausgetreten. Und den letzten in der Bürgerschaft Verbliebenen wollte die Partei später auch noch ausschließen. Trotzdem würde die AfD nach der letzten Umfrage immer noch elf Prozent in Bremen bekommen. Weil ihre Wählerinnen und Wähler sich eben nicht für Fakten interessieren, wie Maike glaubt, sondern nur „denen da oben“ einen Denkzettel geben wollen und rassistische und einfache Lösungen fordern. Da kommt man argumentativ nicht weiter, da muss man auch mal klare Kante zeigen und sagen, ihr tretet nach unten und sucht euch Sündenböcke für eure Probleme, anstatt euch deren Ursachen mal anzugucken.

Schaefer: Aber genau deswegen ist es doch so wichtig, sich im Parlament, wo sie auch einfache Lösungen präsentieren, mit ihnen auseinanderzusetzen. Eine Plattform haben sie dort ohnehin. Wenn wir nicht erwidern, hat man am Ende das Bild, wir hätten nichts zu ihnen zu sagen. Ob unsere Argumente ankommen bei den AfD-Wählern, finde ich zweitrangig. Erst einmal geht es doch darum zu sagen, wofür stehen die demokratischen Fraktionen? Wie unterscheiden sie sich? Und wenn vier Fraktionen sagen, wir sehen das komplett anders als die Rechtspopulisten, dann ist das ein deutliches Signal.

Vogt: Was ist denn daran demokratisch, sich mit Parteien auseinanderzusetzen, die uns abschaffen wollen?! Das sind offen anti-emanzipatorische Parteien, die angetreten sind, die Demokratie auszuhöhlen. Was sie bereits bewirkt haben, ist fatal. Sie schieben den ganzen Diskurs nach rechts. Die CSU versucht die AfD am rechten Rand zu überholen, CDU und SPD bewegen sich nach rechts. Bei den Grünen haben wir Kretschmann, der den Asylverschärfungen zustimmt, und Boris Palmer, der Angst vor geflüchteten Männern schürt. Wir als Linke haben Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine, und die finden auf einmal Gehör mit ihren Forderungen nach Obergrenzen.

Schaefer: Ich finde es falsch, sich hinzustellen und zu sagen, ich teile deren Argumente nicht, ich finde die gefährlich, deshalb ignoriere ich sie. Aufgegangen ist diese Strategie ja bisher auch nicht. Und deren Behauptungen verschwinden dadurch auch nicht aus dem politischen Raum. Wenn man die Menschen zurückholen will, die diese glauben, bleibt einem doch nichts anderes übrig, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen und zu zeigen: Wir stehen für was anderes.

Vogt: Wenn man sich die ganzen Studien anguckt, dann gibt es einen verfestigten Rassismus von 30 Prozent in der Bevölkerung. Es gibt aber auch einen verfestigten Rechtsextremismus mit nationalsozialistischem Charakter von 15 Prozent. Deswegen sagen jetzt einige, es ist doch gut, dass es jetzt die AfD gibt, jetzt haben die eine eigene Partei gefunden. Ich finde das falsch. Das sind Leute, die nicht einfach nur in Parlamenten herumsitzen. Die pöbeln auch auf Veranstaltungen herum und greifen Menschen tätlich an. Und wenn wir ihnen eine Plattform geben und sie demokratisch aufwerten, dann fühlen sie sich ermutigt und putschen sich gegenseitig hoch.

Schaefer: Wir werten sie nicht auf und wir machen sie auch nicht salonfähig, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass sie nun einmal gewählt worden sind.

Maike Schaefer

45, sitzt seit 2007 für die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft, ist umweltpolitische Sprecherin ihrer Fraktion und seit 2015 deren Vorsitzende.

Zuvor arbeitete die Diplom-Biologin im Bereich der Ökotoxikologie.

Vogt: Und trotzdem muss ich ihnen nicht noch mehr Möglichkeiten geben, ihre Positionen zu verbreiten! Als die AfD noch eine 2,5-Prozent-Partei war, wurde sie auch gehypt, aber nur wegen diesem Anti-Euro-Kurs und dem Lucke. Aber jetzt braucht sie nur einen Furz loszulassen, dann wird über sie berichtet. Und je mehr Medienaufmerksamkeit sie kriegen, desto mehr gewöhnt sich die Gesellschaft daran. Ich merke das in meiner unmittelbaren Umgebung, da hätten Leute vor zwei, drei Jahren rassistische Sprüche erst nach drei Bieren gesagt. Jetzt brauchen sie diese drei Biere nicht mehr.

Schaefer: Was du jetzt machst, ist Medienschelte. Da haben wir als Parlament erst einmal nichts mit zu tun. Das ist Sache der Medien, was sie drucken. Aber wenn ich weiß, dass die Debatte im Radio übertragen wird, wenn ich weiß, dass oben Journalisten stehen und darüber berichten, weil es nicht jeden Tag vorkommt, dass der Bürgerschaftspräsident zum Rücktritt aufgefordert wird, dann ist doch die Plattform so oder so geschaffen.

Dass Grüne und Linke über die AfD verschiedene Auffassungen haben, findet sich auch in anderen Bundesländern, nicht nur in Bremen. Die Grünen unterscheiden zum Beispiel zwischen der AfD als Partei und ihren WählerInnen und halten letztere für harmloser. Woran liegt das?

Kristina Vogt (links) und Maike Schaefer Foto: Fotos (2): Kathrin Doepner

Vogt: Das liegt sicher daran, dass die Grünen homogener sind in ihrer Mitgliedschaft. Aber als Linke wissen wir, wie schnell so etwas umspringen kann. Wir haben ja auch mal als Protestpartei angefangen. Zwischen 2007 und 2011 kamen in bestimmten Stadtteilen – auch in bürgerlichen, nicht nur den armen – auch viele zu uns an den Infostand und haben gesagt, die Ausländer sind schuld, die nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Denen habe ich gesagt: „Sie brauchen uns nicht zu wählen, wir vertreten nicht Ihre Position, auch nicht im Geheimen.“ Die kommen jetzt aber nicht mehr.

Warum nicht?

Wir haben mittlerweile andere Wähler und Wählerinnen, weil die von damals schon wieder weitergewandert sind. Nachdem wir 2007 erstmals in die Bremische Bürgerschaft gewählt wurden, dauerte es übrigens keine Woche, bis die ersten in der Geschäftsstelle anriefen und sich beschwerten, weil es Hartz IV immer noch gab. Oder fragen Sie mal Gewerkschafter. Die erzählen seit zehn Jahren, dass sie Angst davor haben, wenn der Mob mal losgelassen wird. Die kennen das Klientel auch aus eigener Anschauung.

Heißt das, die Grünen sind naiv, weil sie nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben, Frau Schaefer?

Schaefer: Nein, das möchte ich weit von mir weisen. Es stimmt, dass wir die geringste Wählerbewegung von den Grünen zur AfD haben. Aber dass wir zu einer anderen Einschätzung des Umgangs mit ihr kommen, hat mit unserem demokratischen und politischen Verständnis zu tun. Ich bin einfach überzeugt, dass man keine Probleme löst, wenn man die Tür zumacht. Ich habe in meinem Umfeld auch Leute, die sagen, die Flüchtlinge sind an allem schuld. Ich versuche aber trotzdem, sie zu erreichen und sie dazu zu bringen, ihre Position zu überdenken.

Ist Ihnen das schon einmal gelungen?

Schaefer: Ja, wenn ich darauf hinweise, dass jemand in direkter Nachbarschaft zu Migranten wohnt und dem dann aufgeht, dass die eigentlich ganz okay sind. Einer meinte neulich: „Na, euren Türken finde ich auch ganz gut.“ Er meinte Cem Özdemir. Ich glaube, da kommt dann schon etwas ins Rollen.

Vogt: Aber mit den Menschen zu reden, ist doch etwas ganz anderes als eine Partei demokratisch aufzuwerten, die antidemokratisch ist! Ich rede auch ständig mit meinem Nachbarn und ich habe immer in Walle und Gröpelingen gelebt, wo eher nicht die bürgerliche Mitte zu Hause ist. Ich hatte dort früher auch meine Kneipe. Ich weiß sehr genau, wie die Diskussionen laufen und wie schnell sie kippen. Und das ist nicht erst so, seitdem die aktuell Geflüchteten so ein großes Thema sind, das klassisch Ausländerfeindliche kenne ich aus meinem alltäglichen Umfeld schon lange.

Und dann brechen Sie Diskussionen ab?

Vogt: Nein, ich will die Auseinandersetzung mit den Menschen doch auch. Ich diskutiere so weit, bis es klar national chauvinistisch oder verfestigt rassistisch wird. Ich sperre auch keine Leute auf meiner Facebook-Seite, solange es nicht rechtsextremistisch ist, sondern die Kommentare es bei diesem dumpfen Zeug „ihr da oben, wir da unten“ belassen. Ich habe auch keine Probleme, mit Leuten Fußball zu gucken, wenn die ihre Deutschlandfahne schwingen. Aber mir ist sehr bewusst, dass manche Lösungen, die einige präferieren, nicht nur unappetitlich sind, sondern brandgefährlich.

Es gab auf Bundesebene in der Linken Überlegungen, die parlamentarischen Rechte der AfD zu beschneiden. Was halten Sie davon, Frau Vogt?

Vogt: Nichts. Es sei denn, sie gebärdet sich nachweislich verfassungsfeindlich. Diese Frage wird ja in den Bundesländern gestellt, aber sehr unterschiedlich beantwortet – je nachdem, wie konservativ die Regierung ist. Für mich verlässt die AfD in Sachsen ganz klar den Boden der Verfassung – dass das in Sachsen anders bewertet wird, macht mich fassungslos. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Im Bremer Parlament gibt es Abgeordnete, die Alfa im Gegenteil sogar Sonderrechte einräumen wollen. Davon halte ich noch weniger.

Mit welchen Argumenten?

Schaefer: Alfa will unter anderem mehr Sitze und Stimmrechte in den Parlamentsausschüssen bekommen, obwohl sie dafür nicht genug Wählerstimmen erhalten haben. Als Drei-Mann-Gruppe steht ihnen das im Gegensatz zu Fraktionen nicht zu. Dazu müssten wir die Geschäftsordnung ändern. Alle Fraktionsvorsitzenden sind sich aber einig, dass wir das nicht wollen.

Vogt: Aber es gibt Leute, die so glauben verhindern zu können, dass die Rechtspopulisten sich als Opfer aufspielen. Unglaublich. Da wäre bei uns oder der FDP niemand drauf gekommen. Die Botschaft, die man damit vermitteln würde, ist: „Wenn man nur laut genug pöbelt, bekommt man einen Sonderstatus.“

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