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Linker Kongress zu digitalem Kapitalismus in Hamburg„Mut haben, die Zukunft zu erschließen“

Das „Ums Ganze!“-Bündnis diskutiert in Hamburg über Digitalisierung und Kapitalismus

Das kommunistische Ums Ganze!-Bündnis, hier in Berlin, tagt dieses Wochenende in Hamburg Foto: dpa
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Herr Jasper, warum heißt der Kongress „reproduce(future)“ ?

Anton Jasper:Wie bei einer Programmiersprache ist „Reproduce“ die Funktion, die die Eingabe „Future“ umsetzen soll.

Sie haben sich nichts Geringeres vorgenommen, als die Zukunft herzustellen?

Es ist eine imaginäre Programmiersprache, weil das eben nicht geht: Man kann nicht über einen Programmierbefehl das Offene und Neue herstellen. Wir aber wollen die Zukunft als Horizont begreifen, der gestaltbar ist.

Im Interview: Anton Jasper

29, wohnt in Berlin und arbeitet als Literaturwissenschaftler. Er ist Mitglied im Orgateam des vierten „Ums Ganze!“-Kongresses und heißt eigentlich anders.

Ändert Digitalisierung die Struktur des Kapitalismus?

Der Kapitalismus ist immer noch der gleiche. Aber die Mittel, die zum Einsatz kommen, ändern sich. Und die Verhältnisse, in denen er wirkt. Alle gesellschaftlichen Bereiche werden auf Basis neuer digitaler Technologien neu strukturiert. Arbeitsverhältnisse und Arbeitszeiten ändern sich, es gibt immer mehrWorking Poor, also Leute, die mehrere Jobs haben, oder befristete Jobs. Das ist eine allgemeine Tendenz, die mit dem Umbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise einhergeht. Aber das passiert nicht bruchlos. Da sind Widersprüche, es gibt subversive Potenziale.

Wurden FabrikarbeiterInnen als Subjekte von digitalen TagelöhnerInnen abgelöst?

Es gibt neue Subjektivitäten, neue Arten, wie Arbeiter diszipliniert werden und wie die Arbeit in das Leben zurückwirkt. Da entstehen auch neue Kämpfe, zum Beispiel an der Frage: „Ist es okay, dass ich nach 21 Uhr nicht mehr für meinen Arbeitgeber erreichbar bin?“ Das heißt aber nicht, dass es eine neue gesellschaftliche Klasse gibt.

Verlaufen Klassengrenzen anhand neuer Kriterien – statt Eigentum an Produktionsmitteln nun am Zugang zu Technologien?

Nee. Die Klassenfrage ist immer noch „Besitzende oder Nichtbesitzende“. Aber darüber legen sich vielfache Ausdifferenzierungen. Wie die Frage: Habe ich Zugang zu Ressourcen, die man braucht, um im digitalen Kapitalismus zu bestehen. Kann ich mit den Ressourcen umgehen und mich frei verhalten? Das ist global ganz ungleich verteilt.

Warum jetzt dieses Thema?

Einerseits gibt es eine wahnsinnige Beschleunigung. Gleichzeitig verändert sich nichts, alles bleibt gleich: Nach der Finanzkrise gelten die gleichen Regeln wie vorher, Merkel stellt wieder die Kanzlerkandidatur. Wir fragen deshalb: „Sollen wir der Scheiße immer nur hinterherrennen und gleichzeitig die Technik an uns vorbeiziehen lassen – und dadurch in einer ständigen doppelten Überforderung leben? Oder selber Mut und Fantasie haben, die Zukunft zu erschließen?“

Wird alles immer schlechter oder birgt das Digitale auch Chancen, der Revolution näher zu kommen?

Die Chancen stehen immer schlecht. Aber das entbindet einen nicht davon, es zu versuchen. In so einer Übergangszeit, wenn fundamentale Veränderungen stattfinden, wie der Kapitalismus sich organisiert, kann man gut intervenieren.

Wie muss sich Kapitalismuskritik ändern – muss man Marx noch lesen?

Das kann nicht schaden. Kritik muss grundsätzlich und umfassend sein, aber auch konkret verstehen, wie die Weltwirtschaft funktioniert, welche technologischen Entwicklungen es gibt. Gleichzeitig muss sie auch erreichbar und nachvollziehbar sein.

Besonders niedrigschwellig klingt das alles aber nicht.

Aber die Umbrüche erlebt ja jeder im Alltag– zum Beispiel, wie viele Emails man bekommt, wie sich Berufe verändern, oder dass man nachts aufwacht, sein Handy checkt und vielleicht sogar auf Nachrichten antwortet. Das sind einzelne Phänomene, mit denen jeder im Alltag zu tun hat.

Kann der Kongress denn Antworten auf Alltagsprobleme liefern?

Antworten können wir nicht liefern, aber wir können anfangen, gute Fragen zu stellen. Das Amazon-Streikbündnis wird beim Kongress sein und berichten, was passiert, wenn jeder Schritt, den man im Lager macht, durch eine Trackingsoftware verfolgt wird. Es gibt auch zwei Workshops, in denen es um Grundlagen digitaler Selbstermächtigung und Sicherheit geht, also zum Beispiel, wie man Mails verschlüsselt und wie meine Bewegungen im Internet nicht nachvollzogen werden können. Es geht aber auch darum, nicht in einer Schockstarre zu verharren, sondern zu fragen: Wie können wir bewegungsfähig werden?

Kongress „reproduce(future)“ des Ums Ganze!-Bündnisses, 25.-26.11., Uni Hamburg. https://techno.umsganze.org/

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