: Verbotene Liebe im Grünen
Kanzlerschaft Es gebe keine bessere Kanzlerin als Merkel, sagt Kretschmann. Bei den Grünen kommt das nicht so gut an
von Ulrich Schulte
„Wir wollen Merkels Große Koalition ablösen und werden dabei ganz bestimmt keine Vorfestlegungen auf etwaige Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten vornehmen“, sagte Grünen-Chefin Simone Peter am Donnerstag der taz. Ihr Kovorsitzender Cem Özdemir warnte eindringlich vor Koalitionsdebatten zum jetzigen Zeitpunkt. Beide Parteivorsitzenden bezogen sich auf einen Auftritt Kretschmanns in der ARD.
Der Ministerpräsident war am Mittwochabend bei Sandra Maischberger zu Gast, plauderte entspannt über sich und sein Politikverständnis – und lobte Merkel ungewöhnlich deutlich. Er „fände es sehr gut“, wenn Merkel 2017 noch einmal als Kanzlerkandidatin anträte, sagte Kretschmann. Merkel sei derzeit sehr wichtig in der europäischen Krise. „Der Kurs, den sie fährt, den halte ich für richtig.“ Er fügte hinzu: Er könne sich ganz schwer vorstellen, wer den Job sonst machen könne.
Es gibt keine bessere Kanzlerin als Merkel? Eigentlich ist es kein Geheimnis, dass Kretschmann Merkel schätzt, auch seine Sympathie für Schwarz-Grün im Bund ist bekannt. Doch derart offensive Liebesbekundungen des Promis aus dem Südwesten sind ein Problem für die Grünen, weil sie die Wahlkampfstrategie konterkarieren.
Die Grünen, im Bund in der Opposition, wollen 2017 auf Eigenständigkeit setzen. Die Spitzenleute haben verabredet, die Koalitionsfrage offenzuhalten, also weder Schwarz-Grün noch ein Linksbündnis mit SPD und Linkspartei auszuschließen. So tarieren die Grünen unterschiedliche Vorlieben der Parteiflügel aus. Und sie hoffen, bürgerliche wie linke WählerInnen anzusprechen und den Preis für mögliche Koalitionen hochzutreiben.
Die Parteilinke Simone Peter mühte sich deshalb um Schadensbegrenzung. Die Grünen kämpften nächstes Jahr „für einen Politikwechsel in unserem Land“, sagte Peter weiter. „Dabei werden wir uns kritisch mit Merkels Politik auseinandersetzen, die den Klimaschutz blockiert, den sozialen Zusammenhalt schwächt und Europa mit ihrem Kaputtsparkurs spaltet.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Kretschmann die Grünen mit seiner Sympathie für die CDU-Frau irritiert. Während der sogenannten Flüchtlingskrise lobte er Merkels Ansatz, auf eine europäische Lösung zu setzen. Merkel habe das Land in dieser Zeit gut geführt, sagte er auch am Mittwoch in der TV-Sendung. „Das hat große Beachtung in der Welt gefunden.“
Kretschmann trug von Anfang an umstrittene Asylrechtsverschärfungen mit, für die Merkel die Jastimmen von Grünen im Bundesrat brauchte. Ein Satz, den er im Januar sagte, fand große Beachtung: Er bete „jeden Tag dafür, dass die Bundeskanzlerin gesund bleibt“. Im Sommer wurde öffentlich, dass er sich mit Merkel zu einem vertraulichen Gespräch getroffen hatte.
Im linken Grünen-Flügel werden seine Interventionen zunehmend skeptisch beäugt – und der Ärger wächst. Oliver Hildenbrand sagte, es gebe keinen Grund, Merkel über den „grünen Klee“ zu loben. „Die Blockadehaltung der Union beim Klimaschutz mit Angela Merkel an der Spitze ist ökologisch verantwortungslos und ein Armutszeugnis.“ Hildenbrand ist Parteichef in Baden-Württemberg, also eine wichtige Figur in Kretschmanns eigenem Landesverband. Nordrhein-Westfalens Landeschef Sven Lehmann twitterte: „Als Grüner Werbung für Merkel machen und Rot-Rot-Grün verteufeln kann man natürlich machen.“ Eigenständig sei man dann allerdings nicht mehr.
Auch ein weiterer Satz Kretschmanns sorgte für Ärger. Ihm sei „über die Strecke gesehen“ Horst Seehofer näher als Bodo Ramelow, verriet er bei Maischberger. Als Regierungschef eines Geberlands und als Vertreter wirtschaftsstarker Regionen in Süddeutschland verbinde ihn vieles mit dem bayerischen Ministerpräsidenten. Die Grüne Jugend reagierte empört. „Das widert mich mehr an als sein Applaus für Angela Merkel“, kommentierte Sprecherin Jamila Schäfer auf Twitter. Die Grünen sehen sich selbst als die treibende Kraft für mehr Weltoffenheit, die populistischen Parolen des CSU-Chefs gegen Flüchtlinge sind in der Partei verhasst.
Die Linke reagierte mit Spott. „Völlig absurd“, kommentierte Parteichef Bernd Riexinger. „Wie ein BVB-Fan, der Schalke die Daumen drückt.“
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