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Inge Hannemann über Jobcenter und Sex„Das ist wie Spionage“

Das Jobcenter Stade fragt eine Schwangere, mit wem sie geschlafen habe. Ex-Jobcenter-Mitarbeiterin Hannemann hält den intimen Fragebogen für unzulässig

Geht das Jobcenter nichts an: Wer mit wem ins Bett geht Foto: Friso Gentsch/dpa
Andrea Maestro
Interview von Andrea Maestro

taz: Frau Hannemann, was geht ein Jobcenter das Sexleben seiner Kunden an?

Inge Hannemann: Ganz kurz gesagt: gar nichts. Der Mitarbeiter im Jobcenter Stade (siehe Kasten) ist mit seinem Fragebogen weit über das Ziel hinaus geschossen. Die Frage nach dem Vater des ungeborenen Kindes geht, wenn überhaupt, das Jugendamt etwas an.

Dem Jobcenter Stade zufolge hatte der Mitarbeiter einer Schwangeren die Fragen zu ihren Sexualpartnern wegen möglicher Unterhaltsleistungen gestellt.

Das Jobcenter übernimmt aber gar keinen Unterhalt. Das macht das Jugendamt mit dem sogenannten Unterhaltsvorschuss, und der wird vom Jobcenter sogar auf die Leistungen als Einkommen angerechnet. Ob man Unterhaltsvorschuss bekommt, dürfen die Mitarbeiter auch fragen, aber nicht, mit wem man Sex hatte. Die Persönlichkeitsrechte der Antragsteller müssen geschützt werden.

Im Interview: Inge Hannemann

48, ist arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft. Die Ex-Jobcenter-Mitarbeiterin wurde als Hartz-IV-Rebellin bekannt, weil sie die dortigen Zustände anprangerte.

Neugier in Stade

Ein Mitarbeiter des Jobcenters Stade hat einer schwangeren Hartz-IV-Empfängerin ein Formular gegeben, in dem sie nach ihren Sex-Partnern befragt wurde.

Im Wortlaut heißt es: „Während der gesetzlichen Empfängniszeit habe ich mit folgenden Männern Geschlechtsverkehr gehabt“. Und weiter: „Zur Ermittlung des Kindsvaters habe ich folgende intensive Nachforschungen angestellt.“

Die Frau wehrte sich gegen den Fragebogen mit einem Anwalt.

Mittlerweile hat das Jobcenter Stade das Formular zurückgezogen und sich bei der Frau entschuldigt. Der Mitarbeiter habe das Papier „selbst entworfen“. Personalrechtliche Konsequenzen würden geprüft.

Auf den Fragebogen war das Logo des Jobcenters gedruckt. Es schien also, als sei es ein offizielles Dokument. Wenige würden das hinterfragen, oder?

Ja, weil so ein Formular schon einschüchtert. Wenn Sie so etwas zugeschickt bekommen, gehen die Betroffenen davon aus, dass das eine reguläre Anfrage ist. Man weiß ja, dass das Jobcenter häufig merkwürdige Fragen stellt.

Inwiefern?

Wann ist Ihr Kind beim Vater? Oder wie oft ist Ihr Kind nicht bei Ihnen im Haushalt? Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn private Fragen kommen. Sie sind erlaubt. Es erschreckt die Leute nicht mehr.

Welche Fragen gehen nicht?

Zum Beispiel die Frage, wann man sich wo befunden hat. Die muss man nicht beantworten. Das erfragt das Jobcenter, um die Ortsabwesenheit zu überprüfen. Hartz-IV-Empfänger dürfen nur an einer bestimmten Anzahl an Tagen abwesend sein. Absolut unzulässig ist auch, wenn Mitarbeiter Facebook-Einträge benutzen. Ich habe von Fällen gehört, in denen sich die Mitarbeiter Kommentare von den Profilen der Erwerbslosen ausdrucken, wenn die zum Beispiel über das Jobcenter herziehen oder sich ungerecht behandelt fühlen. Das ist wie Spionage.

Nutzen Jobcenter-Mitarbeiter häufig das Machtgefälle zwischen sich und den Kunden aus?

Ich möchte nicht pauschalisieren. Es gibt viele empathische Mitarbeiter, die sich sehr viel Mühe geben. Aber es gibt auch Mitarbeiter, die dieses Machtgefälle austesten und gucken, wie weit sie gehen können. Zumindest, wenn sie wissen, dass sich die Leute nicht wehren. Tritt jemand hingegen „querulantisch“ auf, so wird das intern genannt, wird der häufig in Ruhe gelassen. Wenn die Mitarbeiter wissen, dass jemand einen Anwalt hat, wollen sie sich oft lieber nicht mit ihm anlegen.

Also sollten Hartz-IV-Empfänger mit dem Anwalt drohen?

Drohen klingt zu bedrohlich. Aber sie sollten selbstbewusst auftreten und immer mit Beistand in ein Jobcenter gehen, nie alleine. Es ist wirklich auffällig: Die Mitarbeiter sind dann plötzlich viel freundlicher.

Weil es Zeugen gibt?

Das flößt Respekt ein. Und der Beistand darf auch Protokoll führen.

Wo bekommen Betroffene Unterstützung?

Zum Beispiel bei der Linken. Wir bieten eine Hartz-IV-Beratung an. Aber auch die Diakonie und Erwerbsloseninitiativen bieten Hilfe, genau wie Erwerbslosenforen im Netz, wie etwa der Verein Tacheles.

Welche Folgen sollte der Fragebogen für den Mitarbeiter aus Stade haben?

Zumindest eine Abmahnung. Ein einfaches Personalgespräch ist nicht ausreichend, weil er seine Kompetenz bei weitem überschritten hat.

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7 Kommentare

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  • Offenbar ist Frau Hannemann den Versuchungen der Macht auch ausgeliefert. Sie fordert mindestens eine Abmahnung - hatte sie denn jemals Personalkompetenz im Jobcenter?

    Im genauso hoheitlichen Ton verfügt sie, dass die Suche in Facebook Spionage sei. Weiß sie eigentlich wie Facebook funktioniert -. dass öffentliche Kommentare eben für alle lesbar sind?

    • @FraMa:

      Wie Facebook funktioniert, ist hier irrelevant. Entscheidend ist, wer in welchem Maße berechtigt ist, Informationen zu erheben. Strafrechtlich relevante Einträge in sozialen Netzwerken können immer verwendet werden (der Tatbestand wird ja gerade durch das Posten erfüllt), arbeitsrechtlich kann darauf zurückgegriffen werden (Ermessen des zust. Gerichts), da es sich hier um einen Parteienprozess handelt und somit kein Grundrechtsverpflichteter beteiligt ist. Die Jobcenter sind jedoch zur Wahrung der Grundrechte verpflichtet (Grundrechte = Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat). Von daher müssen sie bereits bei einer simplen "google"-Personenrecherche die jeweilige Person vorher (!) von dem Vorhaben informieren, ein Durchsuchen von sozialen Netzwerken ist datenschutzrechtlich untersagt und so auch in den Dienstvorschriften der BA für jeden Mitarbeiter der Jobcenter klar festgelegt. Deshalb ist auch eine Abmahnung zumindest in Betracht zu ziehen, da der Mitarbeiter rechtswidrig gehandelt hat und dies bei Kenntnis der Dienstvorschriften auch hätte wissen müssen.

      • @Cerberus:

        Danke für die Info, das war mir so nicht bewusst. Ich dachte die naive Verwendung Facebook lädt geradezu zu solchen "Wildwest"-Methoden ein.

  • nun machen wir uns nichts vor - das ist doch kein ausrutscher eines kranken hirns, das hat system: es ist jene form struktureller gewalt, die nach folgendem rytmus arbeitet: rechtswidriges gesetz, rechtswidrige rechtsverordnung, rechtswidrige durchführungsverordnung, rechtswidriger erlass; klage von a vor dem sozialgericht: bescheid rechtswidrig; berufung des amtes: berufung zurückgewiesen; revision des amtes: revision zurückgewiesen. 5 jahre vergangen - das amt zahlt rückwirkend an a und erklärt es handele sich um einen bedauer-lichen einzelfall. b klagt ...

    es sind die kranken hirne, die ein solches schandsystem zu lasten der schwachen organisieren. zur erinnerung und zum vergessen

    "die bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer rechtsstaat." - art 20 I gg

  • Das kann nur aus dem kranken Hirn eines perversen Spanners entstanden sein!

    Hat er einen Lustgewinn durch diesen Fragebogen erzielt?

     

    Wahrscheinlich wird er nur mit dem erhobenen Zeigefinger ermahnt - ohne berufliche Konsequenzen.

  • Die Antwort auf die letzte Frage lässt schon tief blicken! Offensichtlich scheint eine Abmahnung nicht genug. Gebt dieser Frau Macht und Ihr werdet Ihre Kälte zu spüren bekommen.

     

    Was den Fall betrifft: es gibt durchaus in bestimmten Fällen Unterhaltsansprüche der Mutter ( nicht nur des Kindes) an den Vater ... solche Behördenneugier ist trotzdem unappetitlich.

  • Es gibt jetzt auch den Tag der Offenen Tür bei den Villen in Blankenese.

    Nicht verpassen! Neugier lohnt sich.