: Berlin für blöd verkauft
In den 90er-Jahren verscherbelte Berlin sein Tafelsilber. Jetzt erhöhen die einstigen Landesbetriebe immer wieder die Preise für Strom, Gas und Wasser. Der Verkauf war falsch, sagen Linkspartei und Grüne. Denn die Gewinne streichen jetzt Konzerne ein
VON ULRICH SCHULTEUND DANIEL SCHULZ
Gasag, Bewag, jetzt auch die Wasserbetriebe – alle wollen mehr Geld. Damit erhöhen genau die Unternehmen die Preise, die einst in Landesbesitz waren und die die große Koalition in den 90ern ganz oder teilweise verkaufte. Hätte das Land die Unternehmen behalten, könnte es Gewinne machen – oder moderate Preise.
Die PDS will die Berliner Wasserbetriebe zurückhaben. „In unserer Partei wird ernsthaft überlegt, ob und wie man die BWB zurückkaufen kann“, sagt Linkspartei-Haushaltsexperte Carl Wechselberg. Die Privatisierung sei eine Katastrophe gewesen.
Finanzfachmann Wechselberg führt dafür zwei Gründe an: Erstens wären die Preise unter Landeshoheit nicht so rasant gestiegen wie nach dem Teilverkauf 1999, und dennoch hätte Berlin „gutes Geld verdienen können“. Derzeit wollen die Wasserbetriebe ihre Tarife um durchschnittlich 2,5 Prozent anheben, dabei waren diese bereits Anfang 2004 und 2005 um 15 Prozent respektive 5 Prozent gestiegen. Als zweiten Grund nennt Wechselberg, dass die „höchsten Wasserpreise im Bundesgebiet“ Investoren verschreckten.
Berlin verkaufte für umgerechnet 1,3 Milliarden Euro 49,9 Prozent der BWB-Anteile an ein Konsortium aus dem Wasserversorger Veolia – früher Vivendi – und dem Essener Energiekonzern RWE. Um die 900 Mitarbeiter mussten seitdem die BWB verlassen. Im Jahr 2004 verdienten die Konzerne 134 Millionen Euro mit Berliner Wasser – etwa so viel wie das Land Berlin auch. „In kommunaler Hand wären die Gewinne geringer“, sagt Wechselberg. „Dennoch geht Berlin jährlich eine riesige Summe verloren.“ Allerdings wurde damals auch verkauft, weil die bankrotte Stadt nicht in neue Rohre und Kanäle investieren wollte.
Deshalb verteidigt BWB-Sprecher Stephan Natz die Privatisierungen: „Berlin hat die Milliarden der Käufer mit Freuden genommen, heute scheinen das einige zu vergessen.“ In den Wasserbetrieben, aber auch bei der PDS, wird übrigens schon überlegt, neben dem derzeitigen Preis, der allein auf den Wasserverbrauch berechnet wird, den Grundpreis für einen Anschluss einzuführen. Grund: zu niedriger Wasserverbrauch bei zu hohen Kosten für die Infrastruktur.
Leo Kirch hätte an der Gasag seine helle Freude gehabt. Ein Monopol zu besitzen, sagte der einstige Medienzar gerne, sei sein schönster Traum. Wer in Berlin Erdgas braucht, muss zur Gasag. Sie nutzt weidlich, dass ihr kein Konkurrent in die Preispolitik reinredet: Ab 1. Oktober erhöht sie die Preise – je nach Tarif – um bis zu 11,8 Prozent. Seit 1999 ist damit die Kilowattstunde um fast 50 Prozent teurer geworden.
Schließlich sei die Erdgassteuer erhöht worden, der Ölpreis spiele verrückt, argumentiert die Firma – an den sind die Gaspreise gekoppelt. Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) ist anderer Meinung und hat eine kartellrechtliche Prüfung angeordnet.
Wären die Berliner besser dran, wenn das einst öffentliche Unternehmen nicht 1998 verscherbelt worden wäre? Eine sicher zu simple Rechnung: Das Land kassierte damals gut 731 Millionen Euro. Inzwischen fährt das umgebaute Unternehmen jährlich Gewinne von bis zu 60 Millionen Euro ein. Schon nach 12 Jahren haben die neuen Besitzer, Vattenfall Europe, Gaz de France und Thüga, die Kaufsumme wieder drin – und die Garantie, weiter zu verdienen.
Klar, auch das Land hätte damals investieren müssen, auch das Land muss Weltmarktpreise berücksichtigen. Aber hätte der Senat einst Geld in den Versorger gesteckt und dann mit harter Hand gewirtschaftet (Die Zahl der Beschäftigten sank seit 2001 um ein Viertel) würde jetzt der Landeshaushalt profitieren.
Für einen „ernsten strategischen Fehler“ hält deshalb Linkspartei-Haushaltsexperte Carl Wechselberg den Verkauf. „Dass das Land natürliche Monopole wie Gas oder Wasser in die Hand privater Investoren gegeben hat, setzt die BerlinerInnen deren Profitinteressen aus.“ Wäre das Land Eigentümer, könnte es eine moderate Preispolitik betreiben – „wenn das öffentliche Interesse überwiegt.“
Die nächste Preiserhöhung? Die Bewag-Offiziellen antworten so diffus, wie eine 15-Watt-Glühbirne leuchtet: „Die Preise bleiben über den Jahreswechsel hinaus stabil.“ Januar, Februar? „Auf Monats-Ratespielchen lassen wir uns nicht ein.“ Das heißt, es kann bald wieder so weit sein. Auf den Rechnungen steht dann nur „Vattenfall Europe“, der augenfällige Beleg, dass der 1884 gegründete Energieversorger dem Land längst nicht mehr gehört. Zuletzt hatten sich die Strompreise für einen Haushalt zum 1. Januar um 4,7 Prozent erhöht.
Der Handel mit Strom lohnt sich. Und an dem Fakt, dass die Bewag in Berlin der marktbeherrschende Riese ist, hat die Öffnung des Marktes für andere Anbieter 1998 nichts geändert. Der Konzern Vattenfall Europe, der zum Beispiel in den Braunkohlerevieren der Lausitz die Landschaft umgräbt, kann sich über gute Erträge des Berliner Ablegers freuen. Lag der Jahresüberschuss 2002 noch bei 148 Millionen Euro, waren es 2004 schon 271 Millionen Euro.
Die Gewinnkurve klettert stetig, die Beschäftigtenzahlen fallen – wie auch bei den anderen Ex-Landesbetrieben. Ende 2002 arbeiteten noch über 4.900 Menschen bei der Bewag, Ende vergangenen Jahres waren es nur noch gut 4.200.
Das Land hat den Stromversorger 1997 verkauft und dabei „miserabel verhandelt“, wie Grünen-Haushälter Oliver Schruoffeneger findet. Der Erlös: 1,48 Milliarden Euro. Nur zur Erinnerung, fast ein Fünftel davon bringt die Bewag den Investoren Gewinn. Jahr für Jahr. Ein Notverkauf sei das damals gewesen, sagt Schruoffeneger. So habe der Diepgen-Senat im Landeshaushalt bereits Erlöse eingeplant, bevor er die Verhandlungen startete. Das Fazit des Grünen: Hätte die Regierung der Versuchung des schnellen Geldes getrotzt, könnte das Land heute den Wirtschaftsstandort Berlin stärken – mit anderen Preisen.
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