Basis Auf der Mitgliederversammlung der Grünen ist die Frage nach veganer Ernährung wichtiger als Erfolge beim Länderfinanzausgleich: Grüne reden übers Essen
von Klaus Wolschner
Sichtlich stolz und zufrieden trat die grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert am Donnerstagabend vor die TeilnehmerInnen der Grünen-Mitgliederversammlung. Wie oft sei ihr entgegengehalten worden „Ihr schafft das nie“, erinnerte sie, wie oft habe sie nervige Diskussion über eine zwingend notwendige Länderneugliederung erlebt. Und nun das: „Es gibt eine Perspektive“, man müsse nicht der nachfolgenden Generation von Bremer PolitikerInnen „einen aussichtslosen Fall übergeben“. Vom Jahr 2020 an werde es 400 Millionen Euro für das finanzschwache Bremen geben – „unbefristet und unkonditioniert“. Da niemand aus dem Publikum sie lobt, tut sie dies selbst: „Es war anstrengend, seriöse Haushaltspolitik zu machen, aber es hat sich ausgezahlt“, erklärt sie. Das nun ausgehandelte Geld sei die „Grundlage dafür, dass wir Politik gestalten können“.
Wie oft hatte sie auf der Mitgliederversammlung erklärten müssen, dass die vielen Wünsche verständlich, aber nicht finanzierbar seien. Wie sehr hatte es ihr zugesetzt, als nach der Wahlniederlage gefragt wurde, ob die Grünen das unpopuläre Amt der Finanzsenatorin nicht lieber der SPD überlassen sollten. Nun konnte sie den Mitgliedern erklären, dass sie Recht behalten und einen historischen Erfolg für Bremen erstritten hatte: Seit 1992, so erklärte sie, gebe es die Klage über den Sanierungsfall Bremen. Noch vier anstrengende Jahre, dann sei im Jahre 2020 Schluss damit und „Land in Sicht“.
Das könnte Auswirkungen haben für Forderungen der „Basis“, die Geld kosten. Die rund 50 Grünen, die ins „Kwadrat“ an der Wilhelm-Kaisen-Brücke gekommen waren, wollten das aber erst genauer wissen, nachdem sie ihre eigenen Anträge zur Beratung stellten. Da war der Antrag „Kulturhäuser für alle Stadtteile“. Abgesehen von dem guten Willen, dass das schön wäre, war ist diesem Antrag nichts klar: Was gilt als „Stadtteil“? Ist ein Bürgerhaus ein „Kulturhaus“ in diesem Sinne? Muss man auch Kultur mehr fördern oder nur Häuser? Linnert hatte es leicht, in der Antragsberatung zu versichern, dass sie die Idee wunderbar findet und dass man, wenn man mal nachfragen würde, was es alles an Stadtteilkultur gibt, überrascht sein würde. Sie befürwortete den Antrag in dem Sinne, dass es sicher einiges zu optimieren gibt – ohne dass das Geld kostet. Die Basis beschloss den Antrag und war zufrieden.
Im Jahre 2015 hat Bremen allein über den Länderfinanzausgleich 626 Millionen Euro bekommen, plus 300 Millionen Konsolidierungshilfe. Für das Jahr 2020 wird die Zahl von 487 Millionen Euro genannt – das sieht nach „weniger“ aus, ist aber mehr: Denn die Summe, die bisher als Länderfinanzausgleich floss, soll ab 2020 über die Umsatzsteuer-Verteilung fließen.
Was im Jahre 2020 wegfällt, sind die „Konsolidierungshilfen“ von 300 Millionen Euro, die für die Jahre 2011 befristet bis 2019 vereinbart wurden. Bis 2019 soll Bremen den Haushalt so zusammenstreichen, dass ohne jährliche Neuverschuldung eine „schwarze Null“ erreicht wird.
Die 400 Millionen Euro „ergänzende Hilfen“ treten also an die Stelle der Konsolidierungshilfen, allerdings sind sie nicht ausdrücklich an Auflagen gebunden.
Wenn Bremen dieses Geld nicht braucht, um eine erneute Neuverschuldung zu vermeiden, könnten damit alte Schulden getilgt werden. In zehn bis zwanzig Jahren könnte der Schuldenberg auf das Verschuldungsniveau anderer Bundesländer gesenkt werden.
Bremen könnte auch die gesamte Summe ausgeben – für LehrerInnen, Polizisten, für Kultur, Sozialhilfe, Infrastruktur und Unternehmenssubventionen. Um die Frage, welcher Weg gewählt wird, dürfte es noch heftigen politischen Streit geben.
Bevor das Geld von 2020 verteilt wird, müssen noch die Konsolidierungsziele bis 2019 erreicht werden – Abschmelzen der laufenden Kosten im Haushalt auf einen Finanzierungssaldo von Null (derzeit rund 500 Millionen Euro).
Für das laufende Jahr ist zum Beispiel offen, ob der Stabilitätsrat die Position Bremens akzeptiert, dass einige Hundert Millionen Euro für Geflüchtete außerhalb des Haushaltes verbucht werden dürfen, das heißt außerhalb des Sanierungspfades. Die Finanzsenatorin ist guten Mutes, dass der Stabilitätsrat Bremen die 300 Millionen für 2016 nicht aus diesem Grund verweigert. klaus wolschner
In anderen Beschlüssen forderten die Mitglieder, ohne erforderliche Summen zu nennen, mehr Geld für Baumschutz, „wirksame Maßnahmen“ gegen die Vermüllung der Stadt oder eine verbesserte Vorrangschaltung der Ampeln für den ÖPNV.
Der Beschluss über Ergänzung der vegetarischen Verpflegung auf grünen Versammlungen durch ein veganes Angebot war das einzige Thema, bei dem die Mitgliederversammlung wirklich etwas entscheiden wollte.
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