piwik no script img

Die WahrheitNachtrepublik Waschsalon

Kolumne
von Ulrike Stöhring

Fast wie im wirklichen Leben geht es zu im Waschsalon, wo man nicht nur den Maschinen beim Schleudern durch das Dasein zusehen kann.

M eine Tochter hatte sich verliebt und vollkommen altersgerecht das Nest in Richtung eigener Wohnung verlassen. Also saß ich plötzlich mit Mimi allein da. Mimi ist, davon war hier schon die Rede, eine Katze und eindeutig transidentisch. Auf alle Fälle wohnt in ihrem weiblichen Äußeren ein mürrischer alter Kater, der zu nichts zu bewegen ist, was liebevoll betreute Wohnungskätzchen normalerweise tun. Spielen, schmusen, schnurrend die Hausherrin begrüßen? Nicht mit Mimi. Ihr Selbstverständnis gleicht dem einer Teppichbrücke. Sie liegt irgendwie da, und manchmal stolpert man drüber.

Verständlicherweise weilte ich, nachdem alle meine Lieben woanders wohnten, auch nicht mehr oft in der verwaisten Bude. Die Erinnerungen, aber auch Mimis schlechte Laune und die halbleeren Räume, die nun einen gewissen Hall aufwiesen – das alles war nichts, was mich abends unbedingt nach Hause zog. Zunächst schien das kein Problem zu sein. Aber auch die autistischste Katze zeigt irgendwann Nerven, und so entwickelte Mimi eine Kultur des Protestpinkelns, die nicht mehr feierlich war. Vorläufiger Höhepunkt: ein großer gelber Fleck auf der weißen Tagesdecke des Bettes.

Die schiere Größe der Decke überforderte meine Waschmaschine bei Weitem, deshalb suchte ich nach jahrzehntelanger Pause mal wieder einen Waschsalon auf. Zaghaft betrat ich das von Gentrifizierung und Kaffeeautomaten noch nicht befallene Objekt, in dem sich mehrere Anwesende um die letzten intakten Maschinen stritten. Alle, Menschen wie Maschinen, hatten bessere Zeiten gesehen und rochen ein bisschen nach Pipi. Aber ich will mich nicht beklagen, denn auch mich umgab, nachdem ich die Decke ausgepackt hatte, gleichfalls kein Rosenduft.

Alle, Menschen wie Maschinen, hatten bessere Zeiten gesehen und rochen ein bisschen nach Pipi

Obwohl durchschnittlich intelligent, scheiterte ich am Kassenautomaten und musste mir von einem der Waschkumpane helfen lassen. Dass kein Becher unter der Pulverausgabe stand und die ausgespuckte Ladung halb im Automaten und halb auf dem Fußboden landete, sorgte bei allen außer bei mir für Heiterkeit.

„Den Becher hab ick! Sorry!“, krähte ein sichtlich angeschickerter Mittfünfziger in Bauarbeiterklamotten und winkte mit dem fehlenden Teil vom anderen Ende des Salons herüber. Nicht mehr ganz sicher auf seinen Beinen navigierte er sich und den Becher durch die Kleidertüten dreier inzwischen eingetroffener Töchter versunkener Sowjetrepubliken, die gerade versuchten, die Junggesellen aus der Warteschlange vor den Trocknern zu kegeln.

Ich kann aus früheren Zeiten noch ein bisschen Russisch verstehen und deshalb das Offensichtliche auch hören: Die Damen waren recht gereizt. In Erwartung größerer sozialer Unruhen zog ich mich auf das Fensterbrett zurück. Mein Bauarbeiterfreund ließ sich neben mich fallen: „Na? Ooch jeschieden?“, fragte er teilnahmsvoll. „Noch nicht …“, antwortete ich vorsichtig. Freundlich drückte er mir den Becher in die Hand: „Macht nüscht. Wird noch!“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!