Diplomatie Am Samstag treffen sich der russische Außenminister Lawrow und der amerikanische Außenminister Kerry in Lausanne, um über das weitere Vorgehen in Syrien zu verhandeln. In Aleppo ist die Lage derweil dramatisch. Die westlichen Länder diskutieren verschiedene Handlungsoptionen
: Wie weiter in Syrien?

Nach einem Luftangriff in Aleppo im April 2016 Foto: Ameer Alhabi/afp

Sanktionen gegen Russland

Frankreich

Aus Paris Rudolf Balmer

Vergangenen Samstag hatte Frankreich noch eine Resolution im UN-Sicherheitsrat eingebracht: Sie sollte bewirken, dass die Bombardierung der Stadt Aleppo sofort gestoppt wird. Russland stimmte gegen die Resolution, scheiterte aber auch mit einem eigenen Entwurf: Er sah vor, dass radikale und gemäßigte Rebellen voneinander getrennt die Stadt verlassen.

Die Einweihung des russisch-orthodoxen Zentrums in Paris war dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dann auch keine Messe und keine Reise wert. Er wirft Frankreich vor, die bereits gespannten Beziehungen zusätzlich zu „vergiften“. Seit der Ukraine-Krise ist das Verhältnis angespannt: Frankreich hat auf Sanktionen gedrängt und die Auslieferung von zwei Kriegsschiffen an die russischen Marine gestoppt. Die Probleme mit russischen Hooligans während der Fußball-EM in Frankreich haben die frostigen Beziehungen auch nicht erwärmt.

Zu Recht also fühlt sich Putin in Paris offiziell nicht sehr willkommen. Hollande will Putin höchstens und ausschließlich empfangen, um mit ihm über Syrien zu reden und gegen die militärische Unterstützung des Machthabers Baschar al-Assad zu protestieren.

In Wirklichkeit möchte Hollande längst viel weiter gehen: Er betrachtet Russland als mitschuldig an Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung bei der Bombardierung von Aleppo. Hollande möchte Assad und seinem Komplizen Putin am liebsten vor dem Internationalen Strafgerichtshof den Prozess machen. Da dies nicht sehr realistisch ist, erwägt man in Paris andere Mittel: Neue EU-Sanktio­nen wie eine gedrosselte Erdgaseinfuhr oder auch die einseitige Beschränkung der Visa für russische Staatsbürger könnten sich aber leicht kontraproduktiv erweisen; eine militärische Intervention gegen Assad, wie sie Hollande ursprünglich gefordert hatte, scheint wegen der russischen Implikation in den Konflikt höchst riskant.

Hingegen glauben einige, Putins verwundbarsten Punkt entdeckt zu haben: die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2018. Diese könnte zur Strafe von der Fifa in ein anderes Land verlegt werden, oder aber die EU-Staaten könnten, indem sie die Übertragung der WM im Fernsehen boykottieren oder dies androhen, Druck machen.

Hollandes Drohungen werden aber aufgrund der Widerstände seiner europäischen und amerikanischen Partner bloße Rhetorik bleiben. Auch das französische Parlament, in dem es eine starke prorussische Lobby gibt, lehnt seine formell kompromisslose Haltung ab: Die bürgerliche Opposition nennt seine Linie „verantwortungslos“, die Chefin des Front National bewundert Putin und lässt ihre Wahlkampagnen von russischen Bankkrediten finanzieren, auch Jean-Luc Mélenchon von der Linkspartei hält wenig von Hollandes Russlandpolitik.

Putin kann auf das Wahljahr 2017 hoffen: Falls es einen Machtwechsel gibt, dürfte die französische Politik wieder russlandfreundlicher werden.

Flugverbot für Hubschrauber

Großbritannien

Aus Berlin Dominic Johnson

Was Russland mit den Vereinten Nationen macht, ist genau das, was Italien und Deutschland in den 1930er Jahren mit dem Völkerbund machten; und was sie mit Aleppo machen, ist genau das, was die Nazis im Spanischen Bürgerkrieg mit Guernica machten“: Mit diesen Vergleichen eröffnete der ehemalige britische Entwicklungsminister Andrew Mitchell am vergangenen Dienstag eine Sonderdebatte des britischen Unterhauses zur Lage in Syrien.

Nach drei Jahren, in denen sich Großbritannien aus der Diskussion über den Umgang mit dem Assad-Regime in Syrien weitgehend herausgehalten hat – im August 2013 hatte das Parlament einen Antrag der damaligen Regierung Cameron abgelehnt, Luftangriffe als Antwort auf Assads Chemiewaffeneinsätze gegen Zivilisten zu fliegen –, fordern nun erstmals wieder Stimmen, etwas gegen die von Syriens und Russlands Luftwaffen begangenen Kriegsverbrechen zu unternehmen.

Eine Flugverbotszone für Aleppo – das war Mitchells Anliegen, als er die Parlamentsdebatte anstieß. Es gebe dafür keine militärischen Hindernisse, meinten mehrere konservative Politiker. Auch Generäle sehen dafür reale Möglichkeiten: Die bestehenden Einsätze gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien könnten problemlos ihren Aktionsradius erweitern, heißt es.

Am praktikabelsten sei aber ein Flugverbot für Hubschrauber über Aleppo: aus Hubschraubern im Tiefflug werden die meisten Fassbomben abgeworfen.

Ein solches Flugverbot könne von der britischen Mittelmeerflotte und der britischen Militärbasis auf Zypern aus überwacht werden, ohne das Risiko einer Konfrontation mit russischen Kampfjets über Syrien. Jedenfalls solange Russland noch nicht, wie geplant, eigene Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer stationiert hat.

Auf all diese Gedankenspiele reagiert Russland ruhig. Moskaus Rhetorik richtet sich gegen einen Nebenkriegsschauplatz: den Aufruf des britischen Außenministers Boris Johnson, vor der russischen Botschaft in London zu demonstrieren. Er fragte, wo denn die mächtige Antikriegsbewegung „Stop The War“ bleibe, die sich 2003 gegen den Irakkrieg gebildet hatte und damals vom heutigen Labour-Chef Jeremy Corbyn geführt wurde. Aus Moskau kamen umgehend Warnungen an russische Diplomaten in London.

Premierministerin Theresa May will nun die öffentliche Debatte beenden. Nachdem Boris Johnson bestätigte, es werde über militärische Optionen beraten, erklärte May am Donnerstag, es gebe „keine Pläne für militärisches Eingreifen“. Mays Sprecher fügte aber hinzu: „Wir reden mit Partnern darüber, ob wir mehr tun können, um diesen schrecklichen Konflikt zu beenden.“

Eine Resolution der UNO

Vereinte Nationen

Aus Genf Andreas Zumach

Werden die Syrien-Gespräche der Außenminister Russlands, der USA, Irans, Saudi-Arabiens und der Türkei zu einer Deeskalation führen? Im 50 Kilometer westlich von Lausanne gelegenen Europäischen Hauptquartier der UNO in Genf macht sich niemand Illusionen. Einige der UNO-Vertreter hegen die Hoffnung, dass das Lausanner Treffen zumindest eine kurze Feuerpause für die besonders heftig umkämpfte Stadt Aleppo zur Folge hat, damit Schwerverletzte herausgeholt werden können.

In der New Yorker UNO-Zentrale wird in der kommenden Woche wahrscheinlich ein Vorschlag in die Diskussion kommen, der die Handlungsfähigkeit der Weltorganisation im Syrienkonflikt wiederherstellen soll.

Vertreter der politischen Opposition in Syrien bemühen sich, möglichst viele der 193 Mitgliedsstaaten der UN-Generalversammlung für eine Initia­tive zu gewinnen. Sie berufen sich auf die „United for Peace“-Resolution, die die Generalversammlung 1950 angesichts der damaligen monatelangen Blockade des Sicherheitsrats im Korea-Konflikt verabschiedet hatte. Nach dieser Resolution kann die Generalversammlung die laut UN-Charta „primäre Verantwortung“ des Sicherheitsrats für „die Bewahrung beziehungsweise Wiederherstellung des Friedens und der interna­tio­nalen Sicherheit“ an sich ziehen, wenn sich der Sicherheitsrat wegen eines Vetos als handlungsunfähig erweist.

Von dieser Möglichkeit hat die Generalversammlung seit 1950 schon zehnmal Gebrauch gemacht, unter anderem während der Suezkrise 1956 und nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan Ende 1979.

Die syrische Opposition will eine Resolution der Generalversammlung erreichen, die alle Gewaltakteure zur Waffenruhe auffordert und die Hilfslieferungen an die Bevölkerung zulässt.

Gespräche mit Russland

Deutschland

Aus Berlin Anna Lehmann

Deutsche PolitikerInnen sind in der Frage, wie man den Krieg in Syrien befriedet, ähnlich ratlos und gespalten wie Europa. Während Teile der Union und der Grünen eine härtere Gangart gegenüber Russland fordern, warnt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vor einem Rückfall in Zeiten des Kalten Kriegs und setzt auf Gespräche zwischen Russland und den USA.

Dass sich der russische und der amerikanische Außenminister am Samstag im schweizerischen Lausanne treffen, um über einen Waffenstillstand in Syrien zu sprechen, sei ein Zeichen der Hoffnung, meinte Steinmeiers Sprecher am Freitag in der Bundespressekonferenz. Ein Hoffnungszeichen – mehr nicht. „Die Lage ist schlecht, das kann man nicht bestreiten.“

Deutschland sitzt wie andere europäische Länder am Samstag nicht mit am Verhandlungstisch, doch: „Nicht dabei zu sein, heißt ja nicht, ausgeschlossen zu sein“, sagte der Sprecher des Außenministeriums. Steinmeier hatte sich in dieser Woche ans Telefon gehängt. Mit dem UN-Sonderbeauftragten Staffan de Mistura habe er telefoniert, mit dem Chef der syrischen Opposition, mit den Amerikanern. Zu russischen Kontakten konnte der Sprecher des Außenministeriums nichts sagen. Dafür hatte Angela Merkel am Mittwoch den russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Leitung. In dem Gespräch zwischen Merkel, Putin und dem französischen Präsidenten Francois Hollande ging es hauptsächlich um die Ukraine – dort gibt es ja immerhin schon einen ausgehandelten Waffenstillstand, der aber seit über einem Jahr nicht umgesetzt ist. Syrien war ebenfalls Thema.

Die Kanzlerin und ihr Außenminister halten, was Syrien betrifft, an ihrem ursprünglichen Plan fest: 1. eine Waffenruhe vereinbaren, um 2. den Zugang zu humanitärer Hilfe zu ermöglichen und 3. Verhandlungen über eine politische Lösung des Bürgerkriegs aufzunehmen.

Am kommenden Donnerstag trifft man sich im Europäischen Rat, am Abend diniert Merkel mit ihren Kollegen, den Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten. Dabei werde es auch um die Syrien-Frage gehen, so Regierungssprecher Steffen Seibert. Sanktionen steht die Kanzlerin weiterhin skeptisch gegenüber. „Russland spielt eine wichtige Rolle bei der Befriedung des Konflikts, deshalb ist es notwendig, mit Russland umzugehen“, wie Seibert am Freitag nochmals betonte. Das zeuge nicht von Verständnis gegenüber der Politik Russlands, sondern man erkenne die Tatsache an, dass Gespräche mit Russland über eine politische Lösung nötig seien. Im Interesse der Menschen in Syrien.

Clinton will intervenieren

Vereinigte Staaten

Aus Washington Dorothea Hahn

Im politischen und militärischen Washington ist die Einrichtung einer Flugverbotszone in Syrien immer wieder ein Thema. Die KritikerInnen merken an, dass es dazu weder ein Kongress- noch ein UN-Mandat gibt und dass sie militärische Kräfte binden würde, die anderswo – insbesondere im Irak – im Einsatz sind. Im Weißen Haus fügt Sprecher Josh Earnest hinzu: „Der Präsident will nicht, dass Syrien ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA wird. Das wäre nicht in unserem Interesse.“

Hillary Clinton dagegen will stärker in Syrien intervenieren. Sie befürwortet eine Flugverbotszone, außerdem will sie kurdische und einzelne sunnitische Milizen mit den Waffen ausstatten, „die sie brauchen“, will US-Spezialeinheiten – aber keine Bodentruppen – ins Land schicken und nennt die „Tötung“ von IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi als Ziel.

Auch Donald Trump verspricht, in Syrien härter zuzuschlagen als Barack Obama. Er werde den IS „zerschlagen“, sagt er, will seinen Plan aber nicht verraten – damit „der Feind“ es nicht erfährt. Im Gegensatz zu Clinton und zu seinem eigenen Vizepräsidentschaftskandidaten Mike Pence lehnt Trump es ab, syrische Militärs anzugreifen. „Ich mag Assad nicht“, begründet er, „aber Assad tötet IS-Kämpfer. Und Russland tötet auch IS-Kämpfer.“