Container-Unterkunft für Flüchtlinge: Küche, aber kein Platz zum Kochen
Die ersten so genannten Tempohomes werden derzeit in Berlin-Marzahn-Hellersdorf bezogen. Ein Besuch in der Container-Siedlung.
Willkommen im zweiten so genannten Tempohome der Stadt. Insgesamt 18 dieser Wohnanlagen sollen nach Plänen des Senats bis Ende des Jahres bezugsfertig sein. Sie sind vor allem für jene Flüchtlinge gedacht, die bisher in Turnhallen leben.
Bei einem Tag der offenen Tür am Donnerstagnachmittag hatte das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) AnwohnerInnen und UnterstützerInnen dazu eingeladen, die Wohnanlage zu besichtigen. In acht Blöcken zu je vier Wohnungen stehen die eingeschossigen, weißen Einheiten aneinandergereiht auf einer ehemaligen Brache an der Zossener Straße am Rande von Berlin; zwei weitere Containerblöcke bieten Raum für Waschmaschinen, Veranstaltungen und Kinderbetreuung.
In der kommenden Woche sollen hier rund 280 Flüchtlinge einziehen. „Es gibt noch viel zu tun“, sagt Nayer Paknia, die die Unterkunft leitet. „Die Container müssen nicht weiß bleiben und die Flächen dazwischen wollen wir in einer Aktion mit Freiwilligen verschönern.“
Drei Container sind eine Wohneinheit
Es braucht auch einiges, um die Wohnungen selbst behaglich zu machen. In den zwei Räumen rechts und links der Küche befinden sich je zwei Betten, drei schlichte Stahlschränke, ein Tisch und zwei Stühle. Unter dem Fenster bullert eine kleine Elektroheizung. Dusche und Toilette liegen hinter der Küche. Je drei Container – gut zwei Meter breit und knapp 6 Meter lang – sind so zusammengebaut, dass sie eine Wohneinheit von knapp 40 Quadratmetern bilden.
Als Tempohomes werden Wohncontaineranlagen bezeichnet, die vorübergehenden Wohnraum für Flüchtlinge bieten sollen. Sie werden von der BIM – Berliner Immobilienmanagement gebaut. 18 solcher Anlagen sind zur Zeit geplant, die meisten sollen bis Ende des Jahres bezogen werden. Vorgesehen ist, dass die Wohncontainer drei Jahre lang als Unterkünfte genutzt werden.
Vier Tempohome-Anlagen sollen auf einer Fläche vor den Tempelhofer Flughafenhangars entstehen. Sie bieten Raum für gut 1.000 Menschen und werden voraussichtlich im ersten Quartel 2017 eröffnet.
Die ersten Flüchtlinge sollten eigentlich schon im Juni in Tempohomes einziehen. Der Bau der Unterkünfte verzögerte sich allerdings wegen Naturschutzvorgaben, Anwohnerprotesten oder den Bauvorbereitungen – und wegen Fehlern im Vergabeverfahren an die Betreiber.
Eine weiter Maßnahme des Senats, um zügig Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen, sind Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge (MUFs), die als große Wohnblöcke an rund 60 Standorten im Stadtgebiet geplant sind und jeweils Platz für rund 500 Menschen bieten sollen. (usch)
Der Senat hatte zunächst geplant, rund 500 Menschen in einer Anlage unterzubringen. Dann hätte man jedoch Doppelstockbetten in den Containern aufstellen müssen, acht Menschen hätten sich eine Wohneinheit geteilt. Doch nun habe man entschieden, die Einheiten für vier Personen herzurichten und mit eigener Küche auszustatten. „Dies entspricht auch den Wünschen der Flüchtlinge, die endlich selbst kochen wollen“, erklärt Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF).
Allerdings stehen dadurch in den Tempohomes nur etwa halb so viele Plätze zur Verfügung wie geplant. In ganz Berlin leben derzeit noch 4.300 Menschen in 41 Turnhallen. Die zuständige Senatsverwaltung für Soziales hofft trotzdem, dass bis Ende des Jahres alle umziehen können.
„Wir sind froh, dass wir alle Flüchtlinge in unserem Bezirk nun gut untergebracht haben, dass sie bei uns im Bezirk bleiben konnten und keine Turnhallen mehr belegt sind“, sagte Dagmar Pohle (Linkspartei), Bezirksstadträtin für Soziales in Marzahn-Hellersdorf, beim Tag der offenen Tür.
Allerdings fühlt sie sich auch etwas über den Tisch gezogen. Im Bezirk haben berlinweit die ersten Bauarbeiten für die modularen Unterkünfte für Flüchtlinge – so genannte MUFs – bereits vor Monaten begonnen, hier eröffnet nun auch eins der ersten Tempohomes. „In Marzahn-Hellersdorf wurde zügig gebaut, während woanders Verhinderungskämpfe geführt werden, auch von der CDU. Das ist schon ärgerlich“, sagte sie. Sie erwarte, dass die anderen Bezirke nun nachzögen.
Rund 300 Interessierte ließen sich am Donnerstagnachmittag in Gruppen über die Anlage führen. Doch auch die rechtsextreme NPD versuchte, den Tag der offenen Tür für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. An der gegenüberliegenden Straßenecke entrollte ein gutes Dutzend Parteimitglieder zwei Plakate und demonstrierte gegen Flüchtlinge.
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