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Lamya Kaddor über Drohbriefe und Hass„Die Hasserfüllten sind zu laut“

Weil Rechte sie mit Drohungen überfluten, hat die Islamwissenschaftlerin sich beurlauben lassen. Sarrazin, AfD und Pegida hätten zu einer Enthemmung geführt.

„Das ist irre“: Lamya Kaddor hat die Sicherheitsbehörden eingeschaltet Foto: dpa
Daniel Bax
Interview von Daniel Bax

taz: Frau Kaddor, Sie erhalten in den letzten Tagen viel Hasspost, bis hin zu Morddrohungen. Wie erklären Sie sich das?

Lamya Kaddor: Es ist ziemlich eindeutig, woher das stammt: von rechts. Ob das klassische Rechtsradikale oder irgendwelche Deutschomanen sind, wie ich sie nenne, das weiß ich nicht so genau. Aber ich erhalte seit Tagen eine Flut von Zuschriften voller Häme, Hass, Verunglimpfungen und Gewaltfantasien – auf Facebook, per Twitter oder Hassmails ins Haus.

Steckt da eine Kampagne dahinter?

Das weiß ich nicht. Ich bin auch keine Anhängerin von Verschwörungstheorien. Aber viele beziehen sich ausdrücklich auf diffamierende Artikel, die in den letzten Tagen auf rechten Blogs wie „Tichys Einblick“, der „Achse des Guten“ oder in der FAZ erschienen sind und in denen ich massiv angegriffen werde. Dabei werden die abstrusesten Anschuldigungen gegen mich erhoben: da wird bezweifelt, dass ich überhaupt Islamwissenschaftlerin bin, oder die deutsche Staatsbürgerschaft besitze.

Das erinnert an das Gerücht, US-Präsident Barack Obama sei in Wirklichkeit ein Muslim oder Islamist und gar nicht in den USA geboren. Ist das vergleichbar?

Das hat schon Züge einer Schmutzkampagne. Und weil ehemalige Schüler von mir nach Syrien gegangen sind, wird der Eindruck erweckt, ich sei eine heimliche IS-Sympathisantin und hätte diese Schüler rekrutiert. Das ist völlig irre. Die waren schon lange nicht mehr auf der Schule, als sie sich radikalisiert haben, bleiben aber dennoch sogenannte ehemalige Schüler.

Womit, glauben Sie, haben Sie diesen Hass provoziert?

Weil ich gesagt habe, auch die deutsche Gesellschaft habe eine Bringschuld gegenüber integrationswilligen Menschen. Oder, dass wir als Einwanderungsland eine neue Identität heraus entwickeln müssen, natürlich auf Grundlage unserer bisherigen Identität. Das sind zwei Sätze, die manche offenbar zur Weißglut gebracht haben – und dass eine „Ausländerin“, die ich in deren Augen ja bin, es wagt, überhaupt Ansprüche an die deutsche Gesellschaft zu stellen.

Im Interview: Lamya Kaddor

Kaddor wurde 1978 in Ahlen als Tochter syrischer Einwanderer geboren. Die Islamwissenschaftlerin ist Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes.

Sie haben sich jetzt vom Schuldienst beurlauben lassen, aus Sicherheitsgründen. Warum?

Weil die Bedrohungen zu massiv geworden sind. Ich bekomme schon seit Jahren Anfeindungen, zum Teil auch von Islamisten. Aber das hat jetzt solche Ausmaße angenommen, dass ich das nicht mehr verantworten kann. Dafür liegen mir meine Schülerinnen und Schüler und meine Kollegen zu sehr am Herzen. Einer der Drohbriefe kam aus Essen, das ist nicht weit von meiner Schule entfernt.

Wie reagiert man darauf?

Dieser Mann hat sich inzwischen bei mir entschuldigt: Er ist angeblich betrunken gewesen, als er mir schrieb. Dazu hat ihm sicher sein Anwalt geraten, denn das wirkt sich strafmildernd aus.

Sich zu entschuldigen, das macht ja jetzt sogar Beate Zschäpe.

Ja, daran musste ich auch denken. Aber in vielen Fällen lässt sich die Identität der Absender leider nicht ermitteln, weil die Server im Ausland stehen, zum Beispiel in Russland. Und da muss erst mal ein Richter einem Gesuch im Ausland zustimmen, bevor die Sicherheitsbehörden ermitteln können. Dieser behördliche Aufwand ist oft zu hoch, darum verläuft das im Sand. Aber mir reicht es jetzt. Ich habe unsere Sicherheitsbehörden eingeschaltet, ich will das nicht mehr ertragen müssen.

Erhalten Sie auch viel Unterstützung, seit Sie das öffentlich gemacht haben?

taz.am wochenende 1./2. Oktober

Sie geben sich hip, kritisch, unangepasst: Die Identitären sind die Popstars unter den neuen Rechten. Wie gefährlich die Bewegung ist, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Oktober. Außerdem: Am Sonntag stimmt Kolumbien über das Friedensabkommen zwischen Regierung und Farc-Guerilla ab. Endet damit der Krieg? Und: Die libanesische Künstlerin Zeina Abirached über ihre neue Graphic Novel „Piano Oriental“. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ja, sehr viel, und das gibt einem Kraft und Mut. Es gibt viele Menschen, die mir zusprechen und mir sogar ihre Tür öffnen, sogar im Ausland! Das Problem ist, dass diese anderen, hasserfüllten Leute zu laut sind. Dagegen muss man etwas tun.

Aber was?

Solche Publizisten wie Roland Tichy oder Henryk M. Broder müssen anerkennen, dass ich das gleiche Recht habe, meine Meinung zu äußern wie jeder andere im Land. Und sie müssen eine klare Grenze ziehen zu Diffamierung, Verunglimpfung und indirekten Aufrufen zur Gewalt. Und wir, die wir für eine andere Streitkultur stehen, wir müssen lauter werden. Vielleicht sollten Medien auch Kommentarspalten bei diesen emotionalen Themen wie Integration moderieren oder gar schließen.

Hat sich der Ton der Integrationsdebatte in den letzten Jahren verschärft?

Rassismus gab es schon immer und nicht nur in Deutschland. Aber die Sarrazin-Debatte war ein Dammbruch, seitdem ist diese „Deutschmanie“ salonfähig geworden. Und seitdem glauben manche, dass man einfach alles sagen kann, egal, wie menschenverachtend es ist. Mit Pegida und der AfD hat sich das weiter zugespitzt. Das eine ist, dass diese Art der Debatte die Gesellschaft spaltet.

Das andere ist die strukturelle Benachteiligung, die dadurch zunimmt. Eine Frau beispielsweise, die ein Kopftuch trägt, die wird einfach nicht eingestellt, selbst wenn sie eine hoch qualifizierte Fachärztin ist und Ärztemangel herrscht, egal: Viele Krankenhäuser wollen keine Ärztin mit Kopftuch, Punkt. Und der alltägliche Rassismus nimmt zu, wenn Muslimen aufgrund ihrer Religion oder Herkunft offen abgesprochen wird, überhaupt Deutsche sein zu können. Und das betrifft auch andere Bevölkerungsgruppen und nicht nur Muslime.

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17 Kommentare

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  • mmh! Wer weiß noch was Sache ist?

     

    Ich wurde bedroht, mache erstmal Urlaub oder trete mit einer dicken Pension ab, dass scheint heute die Gangart vieler Politiker zusein.

     

    Die Frau hat ordentlich ausgeteilt und das oft zurecht meiner Meinung nach,damit hätte sie rechnen müssen das was zurück kommt.

     

    Ich wünsche mir da mehr durchhalte vermögen, ihre Wähler stehen quasi im Regen und die Rechten werden dadurch nur gestärkt.

  • Daniel Bax interviewt Lamya Kaddor. Wenn das mal nicht das neue Dreamteam der Berufsempörten ist.^^

     

    Vorneweg: Drohungen und Beleidigungen verurteile ich aufs schärfste. Egal gegen wen, das geht gar nicht.

    Das heißt aber noch lange nicht, dass man sich jede Kritik verbitten kann. Gerade wenn man selbst ständig angreift und provokativ auftritt muss man sich auch der Kritik stellen. Erst recht wenn man damit sein Geld verdient.

     

    Herr Bax unterstellt allen, die gegen das Kopftuch sind Rassismus. Frau Kaddor tritt in zig Talkshows auf und redet von einer Bringschuld gegenüber Migranten. Beides mMn eine Unverschämtheit und das Gegenteil von förderlich für die Verständigung! Der Verdacht, dass es dabei mehr um Aufmerksamkeit für die eigene Person und das kürzlich erschienene Buch geht drängt sich leider auf.

    Meine Bitte: Lese doch jeder einmal die betreffenden Artikel bei Tichy oder der FAZ und urteile dann selbst. In der Sache darauf eingegangen wird in dem Interview hier ja leider nicht.

     

    Stattdessen gibt es erhellende Vergleiche bzgl. Entschuldigungen und Beate Zschäpe, oder Empörung darüber, dass ehemalige Schüler als ehemalige Schüler bezeichnet werden.

    Und bei dem Part, als sie sich so um Ihre Schüler und Kollgen sorgt hätte ich sogar fast ein bisschen geweint...

     

    Nichtsdestotrotz wünsche ich Frau Kaddor (wirklich ehrlich), dass sie von weiteren Drohungen verschont bleibt und dass sich ihr neues Buch gut verkauft. Da der Hinweis im Artikel fehlt, hier der link: https://www.amazon.de/Die-Zerrei%C3%9Fprobe-Fremden-Demokratie-bedroht/dp/3871348368/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1475266517&sr=8-1&keywords=kaddor

    • @karlei:

      "Vorneweg: Drohungen und Beleidigungen verurteile ich aufs schärfste. Egal gegen wen, das geht gar nicht. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sich jede Kritik verbitten kann. Gerade wenn man selbst ständig angreift und provokativ auftritt muss man sich auch der Kritik stellen."

       

      Nochmal: Hier geht´s eben nicht um Kritik, sondern gerade um Bedrohung und Beleidigung. Sie relativieren, womit Sie letztlich eine Aussage über sich selbst machen.

  • Das ist so beschissen, diese Entwicklung, was soll das nur. Diese Hetzer sind so irrational - und dabei zerstören sie den common sense der Gesellschaft.

    • @nzuli sana:

      Der common sense wurde in den letzten 25 Jahren bereits von der neoliberalen Einheitspolitik zerstört und zwar nachhaltig.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Solange die Produktionsbedingungen und -verhältnisse für Hass und Neid nicht reflektiert und angegangen werden, wird es keinen Wandel geben. Es gibt hier und heute in Deutschland keine oberhalb von PR und Selbstvermarktung agierenden Identifikationsfiguren mehr. An den Rändern, aber nicht mehr auf die Breite der Gesellschaft wirkend. Solche PolitikerInnen und Intellektuelle braucht eine Gesellschaft aber, wenn sie nicht nur als kapitalistischer Markt funktionieren soll.

     

    Nichts wird sich von alleine richten. Im Gegenteil, die Entwicklung des Kapitalismus - global wie auch regional betrachtet - wird diese Prozesse noch massiv verschärfen. Die Besitzenden werden sich dann hierzulande oder/und anderswo einschließen und bewachen lassen, während der Rest sich selbst überlassen bleibt. Auch Muslime wären gut beraten, sich mit anderen diskriminierten Gruppen zu solidarisieren und die Analyse der Ursachen der Diskriminierung nicht zu flach zu halten. Immer wieder der Verweis auf Baumans "Die Ausgegrenzten der Moderne". Eine Schlüsselschrift des 21' Jahrhunderts.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Wieviele, schätzen Sie so, werden in den von Ihnen angesprochenen "diskriminierten Gruppen" wohl so sein, die ihrerseits eher gegen Muslime polarisieren als sich mit ihnen "solidarisieren" mögen? Ich persönlich schätze mal: Das könnte eine schmerzhafte Bauchlandung von Solidaritätsromantik werden.

      • 2G
        24636 (Profil gelöscht)
        @H.G.S.:

        Soziale Konstellationen sind aber keine statischen. Flacher Horizont, denn sie da haben.

        • @24636 (Profil gelöscht):

          Ich würde eher sagen, dass H.G.S. das durchaus realistisch sieht. Mit welchen anderen Gruppen sollten sich die Muslime denn hier solidarisieren? Mit Sinti, Roma oder Schwarzen vielleicht?

           

          Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: über diese Gruppen wird in türkisch-arabischen Milieus nicht besonders positiv gedacht. Der Rassismus der Türken und Araber wird in linken Milieus generell gerne ausgeblendet.

          • 2G
            24636 (Profil gelöscht)
            @Jan:

            Wo argumentiere ich denn überhaupt nationalistisch/rassistisch? Das sind so typische Beispiele, in denen man selbst in Stereotypen denkt und die über alles legt, was einem begegnet. Mein Argument ist aber, dass sich der Hass und Neid aus der zunehmenden Konkurrenz der Kapitalverwertung her stiftet und das religiöse/nationale Andere nur benutzt wird bzw. der Hass auf diese Gruppen gelenkt wird.

             

            Für das Kapital bzw. das Establishment überhaupt ist es nur willfährig, dass sich die Gesellschaft nicht mit Verwertungsfragen und der Diskriminierung durch die Verteilung beschäftigt. Ich trage ein Kopftuch und gehe in eine Moschee ist und bleibt ein infantil-regressives Konfliktszenario. Da er mitten durch die Medien geht, fällt es den Beteiligten kaum noch auf wie lächerlich es ist, sich über diese religiösen Fragen im 21' Jahrhundert zu streiten. Aber der nützliche Idiot war schon immer ein Rollensujet der Herrschaftspolitik.

  • Die Art und Weise der Verunglimpfungen gegenüber Frau Kaddor sind nicht zu tolerieren, offensichtlich ist unsere Justiz nicht in der Lage, Frau Kaddor zu schützen.

    Zur Thematik selbst: Ich sehe keine Bringeschuld als Deutscher gegenüber integrationswilligen Menschen. Ich meine, das wir als Gesellschaft sehr viel leisten und diesen Menschen ein weltweit beispielloses Gesundheits - Sicherheits - und Bildungsnetz zur Verfügung stellen.

    Viele möchten auch keine neue Identität entwickeln. Frau Kaddor, mir reicht meine bisherige Identität. Ich brauche keine neue und lasse mir auch keine aufzwingen. Der Zuwanderer allerdings sollte auf der Grundlage seiner alten eine neue Identität annehmen, sofern er beabsichtigt, in diesem Land heimisch zu werden.

    Die Herren Tichy und Broder akzeptieren sie hoffentlich als seriöse Publizisten, sie haben bloß eine andere Meinung als Sie. Manchmal ist es schwer, andere Meinungen auszuhalten, aber zu wünschen, Kommentarspalten zu emotionalen Themen zu löschen - ich hoffe, dass Sie das nicht ernsthaft in Erwägung ziehen.Wir leben in einer Demokratie und das wollen wir doch weiterhin.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Auf Menschen wie Lamya Kaddor sollte man stolz sein, auf die Sarrazins, Steinbachs und Petris kann -nein muss- Deutschland sich zutiefst schämen.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @1714 (Profil gelöscht):

      Für einen wie Sarrazin schämt sich nicht einmal seine Partei, die SPD.

      Vermutlich gibt es auch da einen bräunlichen Bodensatz.