Politik in Bayern: Sisyphos und seine Erben
Seit 59 Jahren regiert in Bayern die CSU. Die Opposition hat es schwer. Woran liegt’s? Und wer tut sich das eigentlich an?
Franz Maget weiß, was es heißt, in Bayern Opposition zu machen. 23 Jahre saß er im Landtag. Jetzt sitzt er in einem Café in der Münchner Innenstadt und ist unverschämt gut gelaunt. Ausgerechnet Maget. Wenn es einen bayerischen Politiker gibt, der ein einklagbares Anrecht auf Frust hätte, dann er.
Er hat die SPD in der Zeit ihres schlimmsten Niedergangs begleitet, sich zweimal als Spitzenkandidat einspannen lassen, schien den Nimbus des ewigen Verlierers gepachtet zu haben. Aber nein: Dem Mann, den Dieter Hildebrandt den „Sisyphos aus Milbertshofen“ genannt hat, ist Frust völlig fremd. „Ich habe so viel machen dürfen, so viel erleben dürfen – das war ungewöhnlich für ein Arbeiterkind“, erklärt Maget. „Da kann man nur dankbar sein. Alles andere wäre Gotteslästerung.“ Ein zufriedener Sisyphos.
Natürlich hätte sich auch Maget gefreut, wenn der Stein mal oben geblieben wäre. Wenn man die CSU aus der Regierung gekegelt hätte. Einmal, bei der Landtagswahl 2008, wäre es sogar möglich gewesen. Rechnerisch. Dann war es die FDP, die sich als Juniorpartnerchen der CSU in die Arme warf – und es fünf Jahre später nicht mehr in den Landtag schaffte.
Einer wie Markus Rinderspacher
Derzeit gibt es noch drei Oppositionsparteien im Landtag: SPD, Freie Wähler und Grüne. Natürlich hat es Magets SPD besonders schwer. Sie gilt nach wie vor als Arbeiterpartei, Bayern ist aber nun mal kein Arbeiter- und Bauernstaat, sondern allenfalls ein Bauernstaat. Zumindest auf dem flachen Land, wo noch immer ein Großteil der Wähler lebt.
In vielen Städten sitzt die SPD dagegen seit langem fest im Sattel. „Heimat, Tradition, manchmal auch kirchliche Nähe – das spielt auf dem Land eine größere Rolle“, sagt Maget. Da hat es eine wertkonservative Partei wie die Grünen bei der ländlichen Bevölkerung leichter, in Konkurrenz zur CSU zu treten.
Opposition in Bayern: Wer tut sich das schon freiwillig an? Einer wie Markus Rinderspacher zum Beispiel. Er führt als SPD-Fraktionschef die Opposition und verkörpert zugleich eines ihrer ewigen Probleme: das Personal. Ihr fehlt es an Köpfen.
„Gerade die SPD“, bilanziert der Kabarettist Helmut Schleich, „hatte in den letzten Jahren kein glückliches Händchen bei der Auswahl ihrer Führungsfiguren. Das sind ja Leute, wo man gerade auf dem Land sagt: Was sind denn das für Kasperl?“
Keine gestandenen Typen
Wenn Rinderspacher im Parlament spricht, klingt das immer ein bisschen nach einer Mischung aus Oberlehrer und beleidigtem Kind. Als man ihn 2009 zum Nachfolger Magets machte, entsprang die Wahl wohl vor allem der Hoffnung auf das andere, das Neue.
Rinderspacher ist kein Sozi-Gewächs, im Gegenteil: In der Partei war er damals erst seit sieben Jahren. Vor seinem Einzug in den Landtag 2008 diente er drei Jahre als ehrenamtlicher Pressesprecher der Münchner SPD. Auch seine berufliche Karriere war eher untypisch, Rinderspacher war Redaktionsleiter bei ProSieben. Und er war mit 40 Jahren der Jüngste in der Fraktion. Ihn zum Chef zu küren war somit zumindest ein Zeichen.
„Dass der Rinderspacher das Gegenteil eines Charismatikers ist, ist klar“, sagt Schleich. Auch sonst gebe es zu wenig gestandene Typen in der Opposition. Die Freien Wähler immerhin haben einen, der kann auch Bierzelt: ihren Vorsitzenden Hubert Aiwanger. Doch die Freien Wähler, das sagen nicht nur böse Zungen, seien auf Landesebene eigentlich eh nur eine One-Man-Show.
Wie schwierig es ist, fähiges Personal für den Landtag zu rekrutieren, hat Franz Maget oft genug erfahren. „Wer auf dem Land ein bisschen erfolgreich ist, der geht dort gar nicht erst zur SPD“, erzählt er. Und in der Stadt sind oft die kommunalpolitischen Optionen deutlich attraktiver. So nimmt man, wen man kriegt.
Beeindruckende Selbstreinigungskräfte
Das Paradebeispiel für den volksnahen Oppositionspolitiker war der Grüne Sepp Daxenberger. Bauer, Katholik, Goaßlschnalzer, Lederhosen, Freiwillige Feuerwehr sowieso – Daxenberger hatte alles, womit man sonst bei der CSU Karriere macht.
So wurde er Bürgermeister seines Heimatorts Waging, Chef der Bayern-Grünen und Fraktionschef im Landtag. Als er 2010 mit nur 48 Jahren an Krebs starb, war das nicht nur ein persönlicher Verlust für seine Parteifreunde. Einen Daxenberger Nummer zwei sucht man bis heute vergebens.
Das Hauptproblem des Oppositionsdaseins heißt aber: CSU. „Wer hat, dem wird gegeben“, sagt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Und die CSU hat so viel, was die Opposition nicht hat. An allererster Stelle – keine Bundespartei. Die CSU kann sich als Wahrerin der bayerischen Interessen gerieren, sitzt in Berlin mit am Kabinettstisch.
Zudem verfügt die CSU über beeindruckende Selbstreinigungskräfte, „Die Partei“, so Münch, „merkt schneller als andere, wenn ihr etwas ernsthaft schaden kann.“ Dann wird auch mal in aller Eile das Führungspersonal ausgetauscht: Streibl, Stoiber, Beckstein, Huber – während die Opposition noch zum Schlag gegen einen schwachen Ministerpräsidenten oder CSU-Chef ausholt, wird der schon von den eigenen Parteifreunden hinausgetragen.
Berühungsängste zum Schützenverein
Auch bei den Themen erweist sich die CSU als wendig. Den Klassiker beschreibt Susanna Tausendfreund, bis 2013 Abgeordnete der Grünen: „Es ist uns x-mal passiert, dass gute Vorschläge abgelehnt wurden, weil sie von den Grünen waren, und dann mit einer gewissen Schamfrist von der CSU als was Eigenes verkauft worden sind.“ Eine Klage, die man aus jeder der Oppositionsfraktionen hört.
Heute ist Tausendfreund Bürgermeisterin im Münchner Vorort Pullach. „Der Job hier taugt mir viel mehr als dieses manchmal aufgesetzte Hickhack im Landtag“ , sagt die 53-jährige Juristin, „hier kann ich tatsächlich mit der Verwaltung zusammen die Sachen voranbringen.“ Kollegen von früher sagen, Tausendfreund sei wie ausgewechselt, viel gelöster.
Tausendfreund hat eine klare Meinung, woran es der Opposition im Landtag fehlt: an Abgeordneten mit kommunaler Erfahrung. „Das ist vielleicht der wichtigste Schlüssel, um auch in der Landespolitik Erfolg zu haben.“ Außerdem müsse man stärker in die Vereine, Präsenz und Interesse zeigen. Wer Berührungsängste zum Schützenverein habe, der habe Berührungsängste zu fast einer Million Wählern.
„Wir kämpfen für unsere Überzeugungen, aber schauen viel zu wenig auf die Wählerstimmen“, mahnt auch Simone Strohmayr. Die SPD-Abgeordnete aus Augsburg, seit 13 Jahren im Landtag, gehört zu den wenigen, die aus ihrem Oppositionsfrust keinen Hehl machen. „Natürlich nimmt einen das mit“, sagt die 49-Jährige. Regierungsverantwortung? „Klar wäre das schön.“ Kampfgeist sieht etwas anders aus.
„Man will es ja nicht einfach haben“
„Mein Mann hat mich mal gefragt, ob man in die Opposition geht, weil man masochistisch ist“, erzählt Gabi Schmidt. Sie sitzt auf dem Balkon des Maximilianeums und raucht. Zu ihren Füßen liegt die Landeshauptstadt. „Aber es ist das Gegenteil: Das Schöne ist doch, dass man immer wieder den Finger in die Wunde legen kann.“
Die 48-jährige Landwirtin aus Mittelfranken ist seit 2013 für die Freien Wähler im Landtag. „Ich wollte unbedingt politisch was machen“, erzählt sie.
Aber warum dann Opposition? Als Politiker will man doch gestalten. „Ja, aber bei solchen Monstren der Macht wie der CSU hat man es als einzelner Abgeordneter auch nicht leichter, etwas zu verändern. Die verkaufen doch schon vorher ihre Ideale und laufen der Herde hinterher. Da ist man in einer kleinen Oppositionspartei schon flexibler.“
Natürlich sei auch sie manchmal „stinksauer“ – etwa wenn die CSU mal wieder aus Prinzip eine Forderung der Opposition ablehne und es noch nicht einmal für nötig halte, das zu begründen. Aber: „Man will es ja nicht einfach haben. Je wütender ich werde, umso mehr Spaß habe ich“, sagt Schmidt.
Ein Hang zum Anarchismus?
Ein anderer Punkt, warum es der Opposition nicht gelingt, in Bayern Fuß zu fassen: Dem Land geht es zu gut. Ob der wirtschaftliche Erfolg nur der CSU zuzuschreiben ist, wie diese es gerne darstellt, darf zwar in Zweifel gezogen werden, ist aber auch nebensächlich.
„Bayern ist extrem wohlhabend“, erklärt SPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen, „die Wirtschaftsdaten sind bemerkenswert. Da kommt momentan keine Wechselstimmung auf.“ Gerade eine Partei wie die SPD, mit der man vor allem das Thema Soziale Gerechtigkeit verbindet, hat es da schwer.
Irgendwie überrascht der Mangel an Opposition ausgerechnet in Bayern aber doch. So sagt man den Bayern ja durchaus einen Hang zum Anarchismus nach. Hier werden die Wilderer verehrt, nicht die Jäger.
Könnte es also sein, dass der gemeine Bayer seine oppositionellen Bedürfnisse schlicht außerhalb der klassischen Parteienpolitik befriedigt? Das Land hat beispielsweise eine besonders starke Kabarettszene. Und es hat eine ausgeprägte Kultur der direkten Demokratie. „Da kriegt die CSU interessanterweise immer wieder eins drauf“, sagt Politologin Münch.
„Der Bayer will seine Ruhe“
Kabarettist Schleich kann dem vermeintlichen Anarchistengehabe wenig abgewinnen: „Das ist doch nur Folklore. Die Bayern geben sich gern als Rebellen, in Wirklichkeit sind sie aber sehr gute Untertanen“, diagnostiziert Schleich. „Im Grunde ist der höchste Gemütszustand für den Bayern, dass er seine Ruhe hat. Und das verträgt sich nun mal schlecht mit einer oppositionellen Haltung.“
In den Oppositionsreihen hört man viel von langfristigem Denken, dicken Brettern und stetem Tropfen. Aber es gibt auch Optimisten. „Ich werde hier nicht ewig in der Opposition bleiben“, sagt Ludwig Hartmann, der gemeinsam mit Margarete Bause die Grünen-Fraktion leitet.
Bause hat vor wenigen Monaten erklärt in den nächsten Bundestag einziehen zu wollen. Auf das Verständnis ihres Kollegen kann sie dabei nicht hoffen. „Hier die Zelte abzubrechen und zu sagen, ich gehe jetzt nach Berlin, davon halte ich nichts.“ Nur gibt es einen Unterschied zwischen Bause und Hartmann: Sie ist 1986 zum ersten Mal in den Landtag eingezogen, er 2008.
Bayern-Fan? Das kann ja jeder!
„Ich bin fest überzeugt: Da tut sich was in Bayern“, sagt Hartmann. Und es stimmt ja: Die letzten Umfragen sehen die CSU bei um die 45 Prozent, es könnte sein, dass sie nach der nächsten Landtagswahl wieder auf einen Partner angewiesen ist.
Das heißt: Schwarz-Grün? „Es ist nicht wahrscheinlich, aber komplett ausschließen würde ich es auch nicht. Wir wären bestimmt der schwierigste Partner für die CSU, aber auch der fortschrittlichste.“ Naja, die Hoffnung – auch dies eine Phrase, die man unter Oppositionspolitikern häufig hört – stirbt zuletzt.
Und überhaupt: „Bewundernswert das sind doch die, die sich ohne den teuersten Trainer und die teuersten Spieler durchbeißen“, sagt Gabi Schmidt von den Freien Wählern und nimmt noch einen tiefen Zug. „Bayern-Fan – das kann jeder.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos