LIEBESERKLÄRUNG: Michel Houellebecq
DIE DANKESREDE DES FRANZÖSISCHEN SCHRIFTSTELLERS ZUR VERLEIHUNG DES FRANK-SCHIRRMACHER-PREISES WAR GROSSE KUNST
Der Untergang des Abendlands begann mit einem Rechtschreibfehler. Statt „Abendbote“ (Corriere della Sera) schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Anfang von Michel Houellebecqs kulturkritischer Dankesrede für den Frank-Schirrmacher-Preis gleich zweimal „Gewächshausbote“ („Corriere della Serra“).
Dies anzuzeigen wirkt natürlich beckmesserisch, andererseits ist es nicht ohne Komik, wenn man berücksichtigt, dass Houellebecq die FAZ (und den Corriere) als europäische Referenzblätter „im Besitz echter intellektueller Autorität“ bezeichnete: Die Reaktionäre, stellen wir schon länger fest, haben nicht mehr das Niveau von früher, sie fordern Regeln und Verbindlichkeiten ein, denen sie selbst schon lange nicht mehr genügen können.
Im Gegensatz zum Feuilleton weiß Houellebecq allerdings Bescheid: Seine ganze Rede ist eine gleichzeitig sarkastische wie wahrhaft künstlerische Absage an das Feuilleton selbst, an die Intellektuellen und Meinungsmacher. Und wenn er die Prostitution verteidigt, weil sie angeblich eine der „Säulen der sozialen Ordnung“ sei und ihr Verbot die Ehe unmöglich mache, dann tut er das in einem Land, das inzwischen als Puff Europas gilt und in dem die linksliberalen Eliten sich zu bereitwilligen Sprachrohren der Zuhälterlobby machen.
Besonders lustig wurde die teutonische Auseinandersetzung mit der französischen Lust am Risiko, am Schreiben und am Leben, wenn in der Hauszeitschrift des öffentlich-rechtlichen Literaturbetriebs, der Zeit, der „Romankunst“ schriftleitermäßig die Aufgabe zugewiesen wurde, das „Asoziale“ zu „sozialisieren“.
In Deutschland sollen die Schriftsteller halt immer Zivildienst leisten und „anschreiben“, aktuell etwa gegen den Aufstieg der AfD. Nur: Was Thomas Mann und Irmgard Keun nicht geschafft haben, wird Navid Kermani und Juli Zeh noch viel weniger gelingen. Frankreich mag am Arsch sein, aber Schriftsteller wie Houellebecq zeigen, dass man aus diesem Zustand etwas machen kann: schöne Literatur. Merci dafür. Ambros Waibel
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