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Afghanischer Flüchtling in BerlinEin Praktikum in Bürokratie

Seit einem Jahr versucht Ahmadullah Sediqi, in Berlin anzukommen. Er hat Freunde und eine Wohnung. Doch er überlegt, alles hinzuschmeißen.

Er ist auch Helfer für andere Flüchtlinge in der Hauptstadt: Ahmadhulla Sediqi Foto: Lia Darjes

BERLIN taz | Anfangs hat Ahmadullah Sediqi andere oft gefragt, wie ihr Wochenende war. Er hat gelächelt und geduldig zugehört, wenn es um Kneipenabende, Konzertbesuche, Kaffee trinken mit der Oma ging. Fragte man aber zurück, winkte er ab. „Flüchtlingswochenenden sind einsame, sehr einsame Tage“, sagte er. Mit Anfang zwanzig ganz allein in ein neues Land zu kommen – das war nicht einfach.

Inzwischen ist er fast ein Jahr in Berlin und hat viel erreicht. Das meiste aus eigenem Antrieb. Er hat sich in Programmiersprachen und Netzwerkadministration weitergebildet, sich ehrenamtlich bei „Moabit hilft“ engagiert und Jugendliche unterrichtet. Seit ein paar Monaten hat er eine eigene Wohnung. Auch Freunde hat er gefunden, die Wochenenden liegen nicht als leere Zeit vor ihm.

Trotz allem fühlt er sich unter einem starken Druck. Ende September war er kurz davor, seinen Asylantrag zurückzuziehen und alles hinzuschmeißen. Da hatte die Ausländerbehörde seinen Antrag auf „Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung“ zum zweiten Mal abgelehnt. „Ich habe mich bei einer IT-Firma beworben und könnte dort ein Praktikum machen“, sagt Sediqi. „Da suchen sie jemanden, der verschiedene Sprachen spricht, Computerskills hat und selbst schon mal unterrichtet hat, und sie würden mich gern nehmen.“

Enduring Freedom

Anfang: Am 7. Oktober 2001 begannen die USA, in Afghanistan Stellungen der Taliban und des Terrornetzwerks al-Qaida zu bombardieren. Damit reagierte die Regierung von Georg W. Bush auf die Terroranschläge vom 11. September, als dessen Urheber sie Osama bin Ladens Terrornetz ausgemacht hatten.

Name: Der US-Angriff hieß zunächst „Operation Infinite Justice“, wurde aber nach religiösen Protesten in „Operation Enduring Freedom“ (OEF, „Dauerhafte Freiheit“) umgetauft.

Ablauf: Im Dezember 2001 waren die Taliban militärisch besiegt, übergelaufen oder geflohen.

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Das Unternehmen wolle jemanden ausbilden, der dann andere Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund in das Unternehmen integrieren könne. Sediqi spricht Pashtu, Dari, Farsi und Englisch. Das Praktikum könnte ihn auf eine Festanstellung vorbereiten. Doch die Arbeitsagentur sieht darin keinen Sinn. Grundsätzlich muss sie Asylsuchenden eine Beschäftigung genehmigen. „Das erste Mal haben sie es nicht erlaubt, weil ich zu wenig verdienen würde für die Branche“, sagt er. „Dann haben wir geschrieben, dass es nur ein Praktikum ist, worauf sie meinten, dass ich keine ausreichenden Qualifizierungen nachgewiesen hätte“, sagt Sediqi.

„Sie wollen, dass du aufgibst“

„Ich habe mir selbst etwas aufgebaut. Und was ist die Antwort von der Verwaltung?“, fragt er. Er stoße immer wieder auf Probleme, Papiere gingen verloren oder seien fehlerhaft, Geldzahlungen kämen zu spät. Auf seinen Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die über seinen Asylantrag entscheiden, wartet er seit fast einem Jahr.

Eine Bekannte riet ihm davon ab, alles aufzugeben. Regierung und Verwaltung würden mit dem Druck, den sie ausübten, genau das bezwecken. „Sie wollen, dass du aufgibst. Also tue ihnen den Gefallen nicht“, habe sie gesagt, erzählt Sediqi. „Der Gedanke hat mir gefallen.“ Nun will er weiter kämpfen.

Afghanistan ist laut BAMF-Statistik eines der Hauptherkunftsländer von Flüchtlingen in Deutschland. In dieser Gruppe ist aber auch die Zahl der sogenannten „anhängigen Erstanträge“, also der Zahl der Asylanträge, die noch nicht bearbeitet werden, am größten.

Pro Asyl wirft der Bundesregierung vor, Flüchtlinge aus Afghanistan mit langen Verfahren zu zermürben. Nach ihrer Einschätzung verfügt „die weit überwiegende Mehrheit“ der afghanischen Staatsangehörigen in Deutschland nicht über einen gesicherten Aufenthalt. Viele haben bisher nur eine Aufenthaltsgestattung, und AfghanInnen müssen überdurchschnittlich lange auf ihr Verfahren beim BAMF warten.

Pro Asyl wirft der Bundesregierung vor, Afghanen mit langen Verfahren zu zermürben

Dem stand bisher eine noch relativ hohe Schutzquote für Flüchtlinge aus Afghanistan gegenüber, die allerdings nach Informationen von Pro Asyl im ersten Halbjahr 2016 stark gesunken ist: von rund 78 auf rund 48 Prozent. Allein im August wurden über 2.600 Asylanträge abgelehnt. Für Pro Asyl hat sich damit die Entscheidungspraxis des BAMF drastisch gewandelt. Die Anerkennungen gehen deutlich zurück, während die Sicherheitslage in Afghanistan sich nicht verändert, sondern teilweise verschlimmert hat. Gleichzeitig haben es AfghanInnen in Deutschland schwer, Integrationskurse zu bekommen.

Sediqi ist vor allem fassungslos, dass er nicht weiterkommt. „Was für eine Bürokratie ist das, dass sie mich das Praktikum nicht machen lassen?“, fragt er. Eine Klage ist die einzige Möglichkeit, gegen den Bescheid vorzugehen. Das will er nun machen. Er fürchtet, dass es teuer wird und am Ende doch nichts bringt. Er möchte es aber zumindest versuchen.

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3 Kommentare

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  • Herr Sediqi ist sicher ok! Viele Unternehmer wollen gerne so jemanden als "Praktikant" arbeiten lassen. Geht es hier um Einwanderung von motivierten Arbeitern, oder flieht hier jemand vor Lebens-Gefahr? Sie schreiben von Asylantrag zurückziehen??? Sollte Ihrer Meinung nach hohe Bildung und Leistungfähigkeit ein Vorteil bei Asylverfahren sein??? Gut, dass von Amts wegen seine Beschäftigung wegen 'zu wenig Bezahlung' verboten wurde!

    Ich wünsche mir von Ihnen das gleiche journalistische Einfühlungsvermögen für die vielen bereits unterbezahlten "Praktikanten/innen" hier, die ihren Lebensunterhalt erarbeiten müssen, und einem weiteren Zuzug von Menschen welche für noch weniger Geld beste Arbeit liefern nicht so toll finden. Ich wünsche mir Ihre mitfühlende Betrachtungsweise für die Menschen die in Afghanistan zurückbleiben, die weder Kraft noch Mittel haben auszuwandern und froh wäre wenn nicht alle starken, jungen, privilegierten Männer dort weggehen.

    Warum schreib ich das hier? Ich finde dieses Beispiel stellvertretend für viele fehlgeleiteten links-rechts Diskussionen. Wieso ist die "linke" demokratische Clinton die Wunschkandidatin der Industrie und bei den rechten Republikanern macht einer Wahlprogramm für die sog. "Globalisierungs-Verlierer", u.a. eben durch Abschottung gegen freie Migration von Menschen aus dem ärmeren Mexiko?

    Wieso der unerwartet große Zuspruch zum BREXIT, auch von "Rechts" veranlasst, mit Abschottung ggü. weiterer Migration, sowie Bevorzugung der einheimischen, weniger privilegierten Bevölkerung. Bei uns hat die AfD auch net viel neues im Programm, außer Stop und Abwehr von Migranten und dennoch aus den Stand 15% ??

    Mir scheint, als verlieren "links" denkende Autoren mehr und mehr den Blick für die hier lebenden, wirtschaftlich Benachteiligten. Wenn Links-Politik das nicht kann - wer dann? Mir wärs lieber, "Links" macht das - anstatt Trump, Nigel Farage oder AfD...

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Hinter solchen Mätzchen steckt System. Vor allem in Berlin. Das ist gewollt, soll er doch abhauen... So ist's recht(s)!!

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Das BAMF ist leider eine Behörde, in der etliche Entscheider arbeiten, die Menschenwürde und tatsächliches Schutzbedürfnis eines Asyl-Antragstellers nicht interessiert.

      Dort werden viele willkürliche Entscheidungen getroffen, die nicht in Ordnung sind – das ist so gewollt.

      Falls es irgendwann zu deinem Termin beim BAMF kommt, rate ich, zwei bis drei sachkundige Deutsch-Muttersprachler mitzunehmen, damit du dort nicht „abgebügelt“ wirst.

      Außerdem rate ich, zu klagen, auch wenn es teuer wird. Betrachte das als Investition in die Zukunft. Wenn du finanzielle Mittel brauchst: falls taz einen Spendenaufruf organisiert, würde ich auch etwas spenden.

      Nur ganz nebenbei: ich bin sehr islamkritisch und stelle immer wieder fest, dass viele Muslime nicht in unsere Gesellschaft gehören. Ich stimme nach meinen gemachten Erfahrungen dem Satz „der Islam gehört zu Deutschland“ nicht zu. Man kann mit den meisten Muslimen nicht sachlich über die eigenen Bedenken reden – da herrscht oft eine Denkart aus einer anderen Welt vor. Ich würde mich freuen, wenn das anders wäre. Trotzdem bin ich seit vielen Jahren Asylpate von zwei Familien.

       

      Ich wünsche dir Durchhaltevermögen und Erfolg.

       

      P.S.

      Kannst du bei der genannten Firma nicht kostenlos „hospitieren“? Das wäre immerhin ein Einstieg und würde dir beim Aufbau eines Netzwerkes helfen