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Merkel stößt an Obergrenze

Union Nach dem miesen CDU-Ergebnis in Berlin erklärt die Kanzlerin sich ungewohnt selbstkritisch, zur Freude der CSU. Eine statische Obergrenze lehnt Merkel weiter ab

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt sich am Tag nach der Wahl in Berlin Foto: Michael Kappeler/dpa

von Anja Maier

BERLIN taz | Gerda Hasselfeldt versucht es im Guten. Beim weiß-blauen Journalistenstammtisch, der in Sitzungswochen mittwochs in der Bayerischen Landesvertretung stattfindet, spricht die CSU-Landesgruppenvorsitzende über die von Horst Seehofer geforderte Obergrenze. Die werde in München nicht so verstanden, dass der Erste, der nach 200.000 Flüchtlingen ankomme, nicht mehr ins Land dürfe. Es gehe um eine „Richtgröße“, eine „Orientierungsgröße“.

Immer wieder hatte CSU-Chef Seehofer gefordert, Angela Merkel solle auf CSU-Linie einschwenken und eine „Obergrenze“ von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr festlegen. Dem Spiegel sagte er gerade, es gehe „schlicht und einfach um unsere Glaubwürdigkeit“.

Seine Berliner Emissärin Hasselfeldt klingt nun nach Kompromiss: „Auf beiden Seiten ist das deutliche Bemühen erkennbar, die vorhandenen Unstimmigkeiten auch zu beseitigen.“ Die Journalisten schreiben fleißig mit. Aus der Ecke überblickt eine Franz-Josef-Strauß-Büste die Szenerie.

Ist das das Ende des Streits zwischen CDU und CSU? Am Montag hatte Angela Merkel im Konrad-Adenauer-Haus bemerkenswerte Ausführungen gemacht. Sie räumte gravierende Fehler in der Flüchtlingspolitik des zurückliegenden Jahres ein. Und sie kündigte an, ihre Entscheidungen künftig besser erklären zu wollen. Eine „statische Obergrenze“ sei jedoch keine Lösung.

Der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) begrüßte umgehend, dass Merkel ihre Kommunikation verändern wolle. „Aber es ist so viel Vertrauen verloren gegangen, dass man auch die Politik verändern muss“, klagte er gegenüber Focus Online. „Es gibt Zweifel an ihrer Entschlossenheit, wenn sie eine Obergrenze weiterhin ablehnt.“ Eine Obergrenze drücke zwei Dinge aus, fügte Friedrich hinzu. „Erstens: Unsere Integrationsfähigkeit hat Grenzen, zweitens die Entschlossenheit zu sagen: bis hierher und nicht weiter.“ Beides sei zwingend notwendig, um Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen.

Auch Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) begrüßte die Äußerungen Merkels grundsätzlich. Als Seehofers in Ungnade gefallener Kronprinz forderte er jedoch weitere Schritte. „Die Aussagen der Kanzlerin sind schon beachtlich“, sagte er der Welt. „Aber natürlich müssen den Worten Taten folgen.“ Die Obergrenze sei „keine Form der Rechthaberei“, sagte der CSU-Politiker. „Der Begriff ist ein Symbol dafür, dass das bisherige System nicht funktioniert und dass es sich ändern muss.“

Merkel räumte am Montag gravierende Fehler in der Flüchtlingspolitik ein

Was sich die CSU unter einem geänderten System vorstellt, hat deren Generalsekretär dargelegt. Andreas Scheuer hatte letzte Woche in Regensburg vor Journalisten erklärt: „Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist. Den kriegen wir nie wieder los.“ Kirchenvertreter sowie Stimmen aus der CSU hatten Scheuer dafür massiv attackiert.

Nach Scheuer gefragt, versucht es Gerda Hasselfeldt erneut im Guten. Scheuer habe ja erklärt, der Satz sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Soll er auch Generalsekretär bleiben? „Ja“, sagt Gerda Hasselfeldt. Blinzelt da Franz Josef Strauß?

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