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Kolumne Die eine FrageBist du für oder gegen Merkel?

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Früher war man selbstverständlich gegen die CDU-Kanzlerin. Aber was ist jetzt? Für Merkel sein und damit gegen AfD, CSU und FAZ.

Merkels Wahlplakat 2009. Da hatte man als Vandale die linke Mehrheit noch hinter sich Foto: dpa

A n einem schönen Spätsommertag sah ich am Kranoldplatz in Berlin-Lichterfelde in die Hassfratzen von Männern und Frauen, die unsere parlamentarisch gewählte Bundeskanzlerin als „Volksverräter“ nach Sibirien deportieren wollen. Wie das im Totalitarismus mit realexistierender Schutzmauer ja Brauch war. Die Show dieser antidemokratischen, AfD-nahen Leute bei einer CDU-Wahlkundgebung mit Kanzlerin Angela Merkel war inszeniert. Aber der Hass in ihren Gesichtern ist echt. Und interessanterweise grenzenlos. Als die Nationalhymne gespielt war und die beige Kanzlerin am Seitenausgang in ihr großes Dienstauto stieg, dachte ich: Scheiße. Verdichtet sich die Gegenwart jetzt auf die eine Frage: Bist du für oder gegen Merkel?

Früher war man selbstverständlich dagegen. Aber jetzt, da mit der Deportation der Kanzlerin auch das Ende der freien und offenen Gesellschaft gemeint ist: Muss man da nicht für Merkel sein und damit gegen AfD, CSU, Teile von CDU und FAZ, um das offene Deutschland und seine progressiven Errungenschaften zu verteidigen? Nicht dass Merkel das alles geschaffen hätte. Aber im postfaktischen Stimmungsland steht sie dafür.

Die reale Geflüchtetenpolitik der EU und der Bundesregierung aus Merkel-CDU, Seehofer-CSU, Gabriel-SPD und (über den Bundesrat) Grünen hat dafür gesorgt, dass im Moment zu wenige Flüchtende nach Deutschland kommen können. Die „Zahl der Flüchtlinge nachhaltig reduzieren“, ruft Merkel flott über den Kranoldplatz. Aber das hören diese Typis überhaupt nicht. Sie jaulen nur auf, wenn sie von „unserer humanitären Verantwortung“ spricht. Und dann fotografieren sich schlecht rotgefärbte AfD-Frauen und aus dem Nachmittagsschlaf gerissene CDU-Opis gegenseitig und schreien, dass sie das Volk seien und die jeweils anderen nicht. Dies alles zur Grundmelodie eines erstaunlich intelligenzbeleidigenden CDU-Landeswahlkampfs, der im Kern vor einem linksrotgrün versifften Berlin warnt. Also auch vor Merkel.

Was kann man tun, wenn man EU und offene Gesellschaft ernsthaft in Gefahr sieht, aber die Zukunft weder mit Polizei wie der Berliner CDU-Kandidat Frank Henkel noch mit Stinkefingern wie SPD-Gabriel zu gewinnen können glaubt?

taz.am wochenende

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Es wird nicht funktionieren, sich über den maximalen Gegensatz zur AfD zu definieren. Die hypermoralische Aufladung von Politik ist eine Beulenpest der Gegenwart. Wer absolut „humanitär“ sein will und nicht über Kapazitäten und geordnete Einwanderung reden möchte, die allen Beteiligten etwas bringt, der wird nicht das beste demokratische Ergebnis rausholen, sondern zum Scheitern beitragen. Daraus folgt: Merkel da unterstützen, wo sie das offene und geordnete Europa und Deutschland stützt. Merkel konkret kritisieren, wo etwas fehlt, damit Einwanderung und Integration einigermaßen hinhauen können. Geld für die Länder. Oder das von Daniel Cohn-Bendit geforderte EU-Kommissariat und Bundesministerium für Einwanderung, Asyl und Integration. Und bei aller Sorge muss man keine Ein-Themen-Mediengesellschaft akzeptieren und vor allem nicht die Zerstörung der Energiewende durch Merkel & Gabriel.

Und deshalb ist die entscheidende Frage nicht: Ja oder nein zu Angela Merkel? Auch nicht: Welche Koalition regiert ab 2017? Sondern: Wie schafft man eine demokratische Mehrheit, die sich eben nicht nur in der Abgrenzung zur AfD ausdrückt und in alten gegenseitigen Vorurteilen von und über Parteien, sondern in einer völlig neu ausbalancierten Politik? Für eine emanzipatorische, freiheitliche Lebensweise. Auf einer einfachen, aber fundamentalen gemeinsamen Basis: im Zweifel ökosozial.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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17 Kommentare

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  • " Erst die Bekämpfung von Fluchtursachen kann die Flüchtlingskriese langfristig und nachhaltig lösen."

     

    Merkel soll also die Welt retten. Gott steh uns bei!

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Der Chefkolumnist beantwortet "die eine Frage" im Kern des ausufernden Beitrags selbst:

    "Merkel da unterstützen, wo sie das offene und geordnete Europa und Deutschland stützt. Merkel konkret kritisieren, wo etwas fehlt, damit Einwanderung und Integration einigermaßen hinhauen können."

     

    Das allein wäre schon genug gewesen.

    • @571 (Profil gelöscht):

      "Merkel da unterstützen, wo sie das offene und geordnete Europa und Deutschland stützt."

       

      Und was ist das offene und geordnete Europa? Sprechblasen a la Mutti serviert uns Herr Unfried hier.

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Da will ich nicht widersprechen, aber es ist seine eigentliche Antwort auf die wortreiche "1 Frage".

        • @571 (Profil gelöscht):

          Sag ich doch. Substanzloses Geblubber wie aus dem Kanzleramt.

  • Ich habe von Anfang an nichts von der angeblich alternativlosen Politik Merkels gehalten. Das hat sich seit der Flüchtlingsdebatte nicht verändert. Merkel ist früher wie heute aus vielfachen Gründen gerade auch von links zu kritisieren.

  • Für Merkel?

    Nein, das geht gar nicht! Seit Jahren blockiert sie die Energiewende, gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Nicht mit Merkel und den Christlichen.

    Das Rentenniveau anheben? Mitnichten!

    Warum auch?

    Jetzt soll ich sie lieben, da sie völlig allein und völlig gegen alle Gesetze im Alleingang entschieden hat, zig Tausende ohne Kontrolle einreisen zu lassen? Die Kommunen gehen unter und keinen kümmert es, Merkel schon gar nicht.

    Letzte Meldung von heute:

    Es gibt eine Vielzahl von falschen Pässen, die vom BamF durchgewunken wurden. Der Staatsanwalt ermittelt.

    Wo wohnt ihr Merkelliebhaber? Auf einer Insel der Glückseligen?

    • @RiaS :

      Sehe ich auch so.

  • Lieber gegen Merkel und damit gegen Unfried.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    So lange Merkel als nahezu einzige Politikerin von "Flüchtlingsbewegungen" statt von "Flüchtlingskrise" oder gar "Flüchtlingsschwemme" spricht, würde ich sagen:

     

    Ich bin für Merkel.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @88181 (Profil gelöscht):

      Würde ich nicht sagen.

       

      Lieber gegen die ganze Bagage der Heraufbeschwörer à la Seehofer.

  • Wenn jemand am Anfang eine überflüssige Frage stellt, um dann am Ende zu dem Schluß zu kommen, dass es nicht die entscheidende Frage war, kann man darin natürlich auch eine Entwicklung sehen - muss man aber doch nicht.

  • Frau Angela Merkel gehört zu den besten Bundeskanzlern, die es je der Deutsche Boden getragen hat. Sie ist auch die beste Politikerin der CDU aller Zeiten.

     

    Natürlich ist der maximale Gegensatz zur AfD allein nicht hinreichend. Die Taten sind entscheidend, und man muss den Menschen immer erklären, was bis jetzt war, was momentan gemacht wird und was geplant ist.

    Die AfD punktet nur mit leeren Versprechungen und mit unwahren Tatsachen. Dass die Politiker der AfD immer wieder die eigene Meinung ändern, merken wohl nicht allzu viele Wähler.

     

    Man kann nicht sagen, wer nicht über Kapazitäten reden will, zum Scheitern verurteilt wäre. Die Kapazitäten und Obergrenzen würden das Grundgesetz und das Europäische Recht aushebeln. Das erste ist erst gar nicht möglich. Eine Europäische Quotenregelung ist eine gute operative Lösung. Erst die Bekämpfung von Fluchtursachen kann die Flüchtlingskriese langfristig und nachhaltig lösen. Das hat die Bundeskanzlerin richtig erkannt und vieles bereits umgesetzt. Und momentan sieht es nach keiner wirklichen Kriese aus! Nur Gegner der Bundesregierung und der Opposition in Deutschland, also die AfD und NPD, machen aus aktueller Flüchtlingssituation eine Krise und Angstmacherei in der Bevölkerung. Sonst hat die AfD kaum Argumente, um Wähler zu überzeugen. Dieses Vorgehen der AfD schadet Deutschland.

     

    Man muss auch erkennen, dass Frau Merkel steht dem noch größeren Erfolg der AfD stark im Wege.

    Für viele Menschen in Deutschland ist Frau Merkel eine große Hoffnung, dass die Politik noch stärker auf die Menschenwürde und auf die soziale Marktwirtschaft ausgerichtet wird!

  • Schröder hat als SPDler Hartz IV eingeführt. Links von der SPD gab es keine Alternative und bei den Rechten erntete er Zustimmung. Daraus erstarkte die PDS/Linke. Die wurde dann mit der "Rote Socken" Kampagne als aussätzig deklariert.

    Merkel macht es ähnlich. Sie setzt Dinge durch, die eine SPD-Regierung nie hätte durchsetzen können. Dadurch gewinnt sie links. Rechts neben der CDU gab es keine Alternative. Die AfD vereint demokratische Kritik gegen die Regierung mit konservativen Positionen, die noch vor einem Jahrzehnt von Bundesverfassungsgericht bis Kirchen Mehrheitsmeinung waren, mit rechtsextremen Positionen. Die Diffamierung von neuen Parteien hat in der BRD Tradition. Das geht von Grünen über PDS zu den Piraten und nur zur AfD. Wer genau hinsieht, merkt auch, dass die AfD nicht nur dann diffamiert wird, wenn sie wirklich Quatsch äussert.

    Die Taktik zum Machterhalt geht wohl so: Dämonisiere Deine Gegner, dann ist Dir die Unterstützung der Bürger_innen sicher.

    Merkel hat Schröders Strategie aber verfeinert: Die humanen und linken Positionen vertritt sie nur zum Schein. Sie sagt "wir schaffen das", erlässt dann aber "Integrationsgesetze", die die Integration erschweren bis unmöglich machen. Sie redet von "offenen Grenzen", und bezahlt gleichzeitig andere, dass diese die Grenzen schliessen. Sie redet von "europäischer Solidarität" und zwingt gleichzeitig Griechenland, Spanien und Portugal eine Austeritätspolitik um deutsche Banken zu retten. Die "Gleichstellung" führt sie im Munde, sorgt aber dafür, dass sich am konventionellen Familienmodell nichts ändert. In Frankreich z.B. haben Kinder ein echtes Recht auf ihre Väter, Frauen bleiben nicht so lange zu Hause und machen dadurch auch leichter Karriere. Merkel will nicht, dass die Männer statt den Frauen zu Hause bleiben - es gibt unendlich viele Förderprogramme in diesem Bereich und kein einziges fördert, dass Männer aktivere Väter werden. Die Frauen sollen aber dann auf wundersame Weise doch Karriere machen.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Velofisch:

      "Merkel hat Schröders Strategie aber verfeinert: Die humanen und linken Positionen vertritt sie nur zum Schein."

       

      Bin vollkommen Ihrer Meinung. Merkel ist die Verfechterin einer in bestimmten Aspekten gesellschaftsliberalen aber auch ökonomiedurchtränkten Politik.

      Ich weiß auch nicht, ob ein Drainage des jungen, dynamischen Bevölkerungsteils mittels Ägäis-/Balkandurchquerungsprüfung von der Humanität zeugt. Arbeit an politischen Lösungen (Russland!) und starke Unterstützung vor Ort (angrenzende Staaten) wären die bessere Lösung.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)
    • @10236 (Profil gelöscht):

      Damit ist doch klar -

       

      Was mit -

      "… Für eine emanzipatorische, freiheitliche Lebensweise. Auf einer einfachen, aber fundamentalen gemeinsamen Basis: im Zweifel ökosozial."

       

      Gemeint ist! Gell!

      kurz - Keine eine Einefrage -

      An unser aller Kretschi/Angie-Pusher!

      Aka Peterchens Mondfahrt!;()

      Beginnt längst auch im Kohlenkeller

      Schatten zu werfen ala faz!