piwik no script img

NormalzeitHELMUT HÖGE über Hauptstadtclubs an Nebenkriegsschauplätzen

„Am Anfang stand eine Vision“

„Der Mauerbau hat auch sein Gutes gehabt: Die schlimmsten Leute haben die Stadt verlassen“, sinnierte Wolfgang Neuss einmal. Er meinte damit die letzten Vertreter einer städtischen Elite, die den Krieg und die Entnazifizierung irgendwie überstanden hatten und teilweise auch noch aus dem Osten nach Westberlin eingesickert waren. Zwischen 1961 und 1989 war Westberlin dann wirklich eine fast freie Stadt, sieht man mal von den um Diepgen und Landowsky gescharten Baufritzen wie Klingbeil, Guttmann, Groenke und so weiter ab, die hier mit ihrem protzigen Poliertum auftrumpften – unter anderem im Verein der Freunde der italienischen Nationalgalerie.

Erst seit der Wende gibt es wieder ernsthafte Anstrengungen, eine neue Hauptstadtelite zu etablieren, etwa durch neue Golfplätze, Adelsvereine, Literatursalons, Promifriseure und Botschaften sowie mit Einladungs- beziehungsweise Durchlassungs-Politiken. Daneben wandelten sich aber auch die Discotheken – zu Clubs in allen Preisklassen.

Weil es immer mehr werden – demnächst eröffnet zum Beispiel das Kaffee Burger noch einen neuen Russendisko-Club –, müssen sich ihre Betreiber etwas einfallen lassen. Sie organisieren unter anderem Lesebühnen, Spargelfeste, Rap-Contests, Buchpräsentationen etc. Der Kitkat-Club in Tempelhof produziert eine Pornofilmreihe, der neue Bordellclub in Halensee setzt auf die Springerpresse und der Goya-Club am Nollendorfplatz auf eigene Beilagen in FAZ und Tagesspiegel sowie auf Prominenz aus jeder Eventsparte.

Weil nun die Eröffnung dieses „Höhepunkts der Sinne“ am 1. Dezember bevorsteht, luden die Goya-Club-Betreiber auch noch zu einer Pressekonferenz. Dabei ging es um die Namen der zwei „Sterneköche“, die dort zukünftig für das „Drei-Gänge-Menü unter 13 Kandelabern aus Venedig“ verantwortlich sein werden, und um die „Dramaturgie des Szenenwechsels vom Dinner zum Tanz“, wofür der Regisseur Arthur Castro eingestellt wurde. Er verriet den Hauptstadtjournalisten schon mal den Namen des Dinners vorab.

Die neue Hauptstadtelite hat Geschmack, so viel wurde klar. Dennoch muss auch fürderhin die Spreu vom Weizen getrennt werden, sofern dies nicht bereits durch die Preise geschieht (allein der Eintritt von Donnerstag bis Samstag kostet zehn Euro): Der Clubbetreiber Peter Glückstein hat sich dabei – inspiriert von seiner „Goya-Sprecherin“ Alice, der Tochter des Filmproduzenten und Goya-Aktionärs der ersten Stunde, Artur Brauner – für weibliche Türsteherinnen entschieden. Sie werden dort zukünftig für eine „Türpolitik ohne Gewalt“ stehen, wie Franziska von Mutius in der Morgenpost hernach schrieb.

Der Einlasskontrollen bedarf es, weil der vom Architekten Hans Kohlhoff aufwändig ausgestaltete „Erlebnistempel“ ein ebensolcher „Publikumsmagnet werden soll, wie es die Werkschau des berühmten Malers Francisco José de Goya in der Alten Nationalgalerie gewesen ist“ – über die die Spötter sagen, dass die Nationalgaleristen diese Werke vor allem deswegen in die Hauptstadt geholt haben, um den Namen „Goya“ in Berlin kurz vor der Eröffnung des Clubs bekannt zu machen.

Dazu tragen aber auch die prominenten Club-Aktienbesitzer bei, mit denen die Betreiber in ihren Anzeigen werben – unter anderem sind das die Schauspielerin Judy Winter, der Fischbrötchen-Unternehmer Heiner Kamps, der das Bismarck-Erbe und die -Lizenzen verwaltende Graf Carl-Eduard von Bismarck, der Maler Markus Lüppertz und der Ex-Herthastürmer Michael Preetz. Wie zu erfahren war, haben darüber hinaus auch gut Betuchte aus Chile, Brasilien, Dubai und Kuwait Club-Aktien erworben – insgesamt gebe es jetzt 2.140 Aktionäre. „385 Aktienpakete sind aber noch frei.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen