Die Mannschaft Am morgigen Sonntag startet der Weltmeister in die WM-Quali. Die Sache mit dem Kapitän ist schon mal geklärt: Jogi, der Unbestechliche
Vielleicht hat er etwas zu viel Selbstdarstellung betrieben, mutmaßte man in München. Jérôme Boateng, sowieso recht fleißig in Sachen Public Relations, ich sage nur: Brille und Tattoo, hatte sich ordentlich freigespielt, hat den Finger gehoben, auf sich medial aufmerksam gemacht. Doch statt auf ihn hat der Bundestrainer auf Manuel Neuer gezeigt. „Manu, der Libero“ soll also neuer Kapitän sein, und am Sonntag in Oslo wird er dieses Amtes zum ersten Mal auch offiziell walten (als Aushilfskapitän war er schon in Frankreich des Öfteren gefragt).
Also nix is mit Botschaft (feingeistig für: Mittelfinger) an das Volk, auf dessen rechter Seite es so komisch rumrumort. Nix is mit dem „ersten dunkelhäutigen Spieler mit Binde“. Stattdessen wird der bleiche Hüne Neuer schon vor dem Anpfiff für Angst beim Gegner sorgen. Schade, aber macht nichts: Denn Jérôme Boateng, der gute Junge aus dem Weddinger Käfig, er wird es sportlich nehmen, so viel ist sicher.
Heimlicher Gewinner dieses sommerlochartigen Mini-spektakels ist wieder einmal Jogi Löw, der sich erneut als unbestechlich und medial nicht korrumpierbar gezeigt hat. Die Menge schreit nach Boateng? Ihm egal, mit Manu kann er gut, Manu hat bislang gute Dienste geleistet, auch als Schweini-Ersatz, die Proben sind einwandfrei verlaufen, also wird er es auch. Und ich verkünde das, so Löw nonverbal, wann ich will und nicht bei so’ner blöden aufgemotzten Pressekonferenz. Also gab es auch nur eine Depesche vom DFB, die für manche zu spät, für andere gerade noch rechtzeitig über den Ticker kam.
Neuer als Kapitän, warum auch nicht. Seine Zeiten als Fahnenstürmer und Ultra sind lange vorbei. Auch der Freundinnenwechsel nach der WM ging relativ reibungslos über die Bühne („Im Gegensatz zu Unterwäschemodel Ann-Kathrin Brömmel hält sich Nina eher bedeckt“, schreibt die tz über Nina Weiss, die den Welttorhüter im Berliner Wachskabinett kennengelernt haben soll: „Da gab es wohl auch für Neuer kein Halten mehr“). Manuel Neuer ist also der perfekte Strahlemann, Bierhoffs Alter Ego unten auf dem Grün, die perfekte Mischung aus Riesenbaby und Schwiegersohn und jetzt auch Wimpelträger und also erster Repräsentant des DFB. Lahm und Schweinsteiger werden mit ihrem Nachfolger wohl auch zufrieden sein.
Aber wäre die bessere Idee nicht sowieso gewesen, mal so eine Amtsfluktuation einzuführen wie damals bei den Grünen? Jeder darf mal Kapitän sein. Für ein Spiel. Oder man schafft dieses altehrwürdige Amt mal so ganz keck und antizyklisch gedacht ganz ab! Auf die Idee ist natürlich niemand gekommen. Spielereinlauf mit Kindern, Fahnenmeer, Nationalhymne und Platzwahl mit Kapitän – das sind halt feste Rituale, die für die feierlichen Bilder draußen in den Wohnzimmern sorgen sollen. Funktioniert ja auch meistens. Sieht man mal davon ab, dass Migrationshintergründige nicht immer mitsingen oder C-prominente Einfraukapellen auch mal den Text nicht können oder die Balljungs sich heimlich aufs Mannschaftsfoto schleichen.
Das Spiel muss weitergehen, für Überraschungen ist gesorgt. Wenn am Ende gar nichts passiert, wird eben ein Flitzer durchgelassen.
Kommen wir zur ernsten Seite zurück. Am Sonntag startet also die Qualifikation zum ersten von mindestens drei Skandalturnieren. Gastgeber der WM 2018 wird Russland sein, bevor die EM 2020 in vielerlei Ländern ohne Fanbasen gespielt werden und die WM 2022 vor vermutlich leeren Rängen ein reines Sponsorenturnier sein wird. Für den Titelverteidiger ist der Weg lang, aber eher reisetechnisch beschwerlich: Neben der Reise nach Oslo wird es noch ein Spiel in Aserbaidschan geben. Ernsthafte Gegner sind neben den Norwegern noch Nordirland und Tschechien, im Zweifel also keine. Im nächsten Sommer geht es dann zum Confed-Cup. Und mit Glück warten 2018 dann Spiele in Kaliningrad, wo ein brandneues Stadion natürlich auf Kosten der Umwelt auf einer Flussinsel gebaut wird. Alles unter dem Motto: Mission Titelverteidigung. René Hamann
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