Grüne Fraktionschefinnen in Berlin: „Wir sind ein Hort der Stabilität“
Im Vergleich zu den Machtkämpfen bei SPD und CDU sehen sich die Grünen-Kandidatinnen Ramona Pop und Antje Kapek mit ihrem Spitzenteam gut aufgestellt.
taz: Frau Pop, aus einem Gebärdeninterview des RBB mit Ihnen war zu lernen, dass Sie sich mehr Zeit zum Knutschen wünschen. Macht das Spitzenkandidatendasein so einsam?
Ramona Pop: (lacht) So weit ist es noch nicht, dass man jeden knutschen möchte, den man gerade so trifft.
Frau Kapek, würden Sie auch gern mehr knutschen?
Antje Kapek: Knutschen ist etwas, für das man sich immer genug Zeit nehmen sollte.
Pop: Im Ernst: Ich glaube, das können wir parteiübergreifend beklagen, dass das Privatleben im Wahlkampf ziemlich zurücksteht. Da ist man ja schon froh, wenn man überhaupt Zeit zum Essen findet.
Wofür Sie ja durchaus Zeit hatten, war die Distanzierung von der CDU. Das musste Michael Müller bloß in einem Zeitungsbeitrag von Ihnen fordern, und schon waren alle Zusicherungen vergessen, keine Koalition auszuschließen.
Pop: Erklärungsbedürftig ist nicht unser Verhalten, sondern das von CDU und SPD. Die Berliner CDU hat in den letzten Monaten einen Kurs gefahren, der teilweise nicht mal vom eigenen Bundesinnenminister unterstützt wird, weil er noch konservativer ist als er. Und Michael Müller muss erklären, warum er denn uns Grünen Avancen macht, sich aber dann die Hintertür zur CDU offen hält.
… weil er bloß nicht mit „der Henkel-CDU“ weitermachen will. Trotzdem haben Sie wie von Müller gewünscht reagiert, und das sogar binnen 24 Stunden. Sie haben sich von ihm den Zeitpunkt aufdrücken lassen, wann Sie ein Bündnis mit der CDU ausschließen.
Pop: Es geht um die Frage, was inhaltlich nach dem 18. September geschehen soll und dass ein politischer Neuanfang möglich ist. Eine der größten Herausforderungen ist etwa die Integration der Geflüchteten. Für das Thema haben wir Grünen in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten, stark gekämpft. Gerade vor diesem Hintergrund geht es nicht mit einer CDU, wie sie sich in den vergangenen Wochen und Monaten positioniert hat.
Aber Parteichef Henkel war doch nie ein Liberaler. Die CDU ist doch nicht plötzlich eine andere, weil er jetzt mal „Burka“ und „Doppelpass“ gesagt hat.
Kapek: Doch, in den letzten Monaten hat Frank Henkel als Spitzenkandidat seine CDU immer mehr nach rechts und damit ins Aus befördert. Behörden als Innensenator zu instrumentalisieren, in der Rigaer Straße das Recht zu beugen und zu glauben, in Gewässern der AfD fischen zu müssen, was nur der AfD nutzt – das ist eine Politik, mit der nicht nur wir große Schwierigkeiten haben.
Halten Sie das denn für komplett ausgeschlossen, dass liberalere Figuren Henkel am Wahlabend wegputschen, wenn das Ergebnis so schlecht ausfällt wie der historische Tiefstwert von 17 Prozent in der jüngsten Umfrage?
39, gehört dem Abgeordnetenhaus seit 2011 an und wurde ein Jahr später Kofraktionschefin. Sie ist zugleich stadtentwicklungspolitische Sprecherin.
Pop: Mein Eindruck ist, dass sich die Berliner CDU mit der aktuellen Linie von Frank Henkel sehr wohlfühlt. Man darf ja nicht vergessen, dass auch die, die sich als liberal gerieren – sagen wir mal: Thomas Heilmann –, in der Parteispitze und der Kampagnen-Entwicklung maßgeblich mit dabei sind. Das ist kein Henkel-Kurs, sondern der Kurs der Berliner CDU.
Wobei die Kampagne liberaler als Henkel daherkommt.
Kapek: Die CDU-Kampagne setzt doch nur auf Tiere und Kinder. Das ist Effekthascherei. Mir fehlen da die Inhalte.
Tiere und Kinder dürften nun bei Rechten wie Linken gleichermaßen beliebt sein.
Pop: Die CDU setzt vor allem auf Innenpolitik. Es scheint so, als ob die CDU gar kein anderes Thema mehr hätte. Von einer Regierungspartei erwarte ich eine Politik, die nicht die Ängste der Menschen schürt, sondern die sich um Wohnungsnot, Armut, Bürgerämterchaos oder marode Schulen kümmert.
Ist ja nachvollziehbar, beim Markenkern zu bleiben, wenn sich beim Großthema Mietsteigerung und Wohnungsmangel alle Parteien mit ähnlichen Versprechen auf den Füßen stehen.
38, ist seit 2001 Mitglied des Abgeordnetenhauses. Seit 2009 führt sie die Grünen-Fraktion, seit 2012 mit Antje Kapek. Ihr Spezialfeld ist die Haushaltspolitik.
Pop: Selbst bei dem, was Sie „Markenkern“ nennen, hat Henkel aus fünf Jahren Regierung nichts Gutes vorzuweisen. Die Wähler erwarten, dass eine Partei Antworten auf drängende Fragen gibt und sich nicht weitgehend taktisch wegdrückt.
Kapek: Bei der inneren Sicherheit stehen wir heute schlechter da als vor fünf Jahren, die Kriminalität ist gestiegen, das Sicherheitsgefühl vor allem bei Frauen gesunken. Die Ausrüstung der Polizei ist schlecht. Bei den Bürgerämtern hätte Henkel viel Einfluss nehmen können, hat sich aber rausgehalten – da hat er eine Riesenhypothek für die nächsten Jahre hinterlassen.
Sowenig Henkel fehlende Wohnungen thematisiert, so sehr tun es die Grünen. Vor einiger Zeit noch konnte man meinen, aus Ihrer Sicht ließe sich das alles über Dachgeschossausbau und Aufstocken erledigen – jetzt setzen auch Sie auf Neubau.
Kapek: Das habe ich anders in Erinnerung. Eine von uns in Auftrag gegebene Wohnungsbaustudie hat Michael Müller als Unsinn abgetan, als er noch Stadtentwicklungssenator war – sein Nachfolger und Parteifreund Andreas Geisel übernimmt heute viele unserer Forderungen. Und natürlich setzen wir auch auf Neubau, ohne geht es tatsächlich nicht. Aber dann darf man nicht wie die SPD einfach Wohnungen hinklotzen, sondern muss auch für Kitas, Schulen, Grün und Begegnungsorte sorgen, damit die Menschen dort auch gut leben können.
Es spricht ja einiges dafür, dass Sie das im kommenden Senat verwirklichen können. Jetzt haben wir immer von Müller als Partner gesprochen, aber in der SPD gibt es Stimmen, die ihn bei einem schwachen Ergebnis am Wahlabend weg sehen. Irritiert Sie das?
Kapek: Es ist schon witzig, dass man bei SPD und CDU nicht sicher sein kann, wer nach der Wahl Ansprechpartner ist. Wir Grüne hingegen halten als Spitzenteam, für das wir ja belächelt worden sind, klar zusammen.
Pop: SPD und CDU erleben eine Zeitenwende. Sie sind nicht mehr die großen Volksparteien, die wie Bayern München und Borussia Dortmund in einer eigenen Liga spielen und dann kommt der Rest. Wie Antje gesagt hat: Wir Grüne sind gut aufgestellt und handlungsfähig – wir sind ein Hort der Stabilität, im Gegensatz zu den Machtkämpfen bei SPD und CDU. Es macht uns schon Sorge, dass trotz der großen Aufgaben für die nächsten Jahre die andauernden Machtspielchen in der SPD kein Ende nehmen.
Kapek: Wir wissen ja auch gar nicht, wer jeweils Nachfolger wäre.
Bei der SPD ist die Sache doch klar: qenn, dann Saleh.
Kapek: Das ist doch reine Spekulation.
Würde es Sie davor gruseln?
Pop: Die SPD muss selbst wissen, ob sie ihren Wählern zumuten kann, mit der einen Person ins Rennen zu gehen und nach der Wahl jemand anderen ins Ziel einlaufen zu lassen. Im Straßenwahlkampf erleben wir übrigens, dass die Leute über die Mietentwicklung, den Investitionsstau, die Bürgerämter oder fehlende Kita-Plätze reden wollen und nicht darüber, was in der SPD los ist oder ob der CDU-Spitzenkandidat wieder einen Fehler gemacht hat.
Die Grünen treten bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September erstmals mit einem Vierer-Spitzenteam an, nachdem sie 2011 auf eine einzige Spitzenkandidatin setzten, Renate Künast. Damals kam die Partei mit 17,6 Prozent auf ein Rekordergebnis für Berlin, verfehlte jedoch ihr Ziel, die Regierende Bürgermeisterin zu stellen.
Üblich sind bei den Grünen sonst Doppelspitzen. Außer den Fraktionschefinnen Ramona Pop und Ante Kapek auf Platz 1 und 2 der Grünen-Kandidatenliste gehören zum Viererteam die Parteivorsitzenden Bettina Jarasch und Daniel Wesener auf Platz 3 und 4. Ein Umfrageergebnis Mitte Juli hatte die Grünen nur 2 Prozentpunkte hinter der SPD gesehen und es für möglich erscheinen lassen, dass Pop Regierungschefin wird. In den jüngsten Umfragen allerdings, bei denen die Grünen zwischen 17 und 19 Prozent liegen, hat sich dieser Abstand wieder auf 4 bis 5 Punkte erhöht. (sta)
In Ihrer Aufzählung fehlt der Hauptstadtflughafen – und das deckt sich mit der Einschätzung von Michael Müller. Für den ist der BER nicht nur kein Milliardengrab, sondern auch nichts, was die Menschen im Alltag beschäftigt. Tatsächlich kann ja weiter jeder, der fliegen will, sogar von zwei Flughäfen abheben.
Pop: Doch, auch der BER wird immer wieder angesprochen. Die Bürger fragen sich zu Recht, wie es sein kann, dass der Flughafen immer teurer wird und etwa für die Schulsanierung kein Geld da ist. Für die nächste Regierung muss klar sein: Mehr Geld gibt es nicht für den BER, nachdem wir jetzt schon die 6-Milliarden-Euro-Marke gerissen haben. Der Regierende Bürgermeister und Aufsichtsratschef muss noch vor der Wahl erklären, ob es nun bei der geplanten Eröffnung 2017 bleibt oder nicht. Das kann Michael Müller nicht bis nach dem 18. September verschleppen.
Aus der neuen Gemengelage mit einer SPD, die nur noch knapp vor den Grünen liegt, leitet sich ja ihr Anspruch auf Augenhöhe in einem rot-grünen oder rot-grün-roten Senat ab. Aber wie soll das gehen? Es kann schließlich nur einen Regierungschef geben.
Kapek: Wir reden nicht von Augenhöhe, sondern von einem neuen politischen Stil, von einem kooperativen Umgang.
Klingt auch nicht anders als Augenhöhe. In jedem Fall geht es doch um ein Ende des klassischen Koch-und-Kellner-Verhältnisses zwischen großem und kleinem Koalitionspartner.
Pop: Wir haben fünf Jahre lang eine Koalition erlebt, die vorrangig miteinander gestritten hat. Und wenn es mal einen seltenen Erfolg gab, dann hat man sich das gegenseitig geneidet. So kann eine Regierung nicht funktionieren – man muss auch gönnen können. Aber das hat nicht nur bei Rot-Schwarz nicht geklappt, sondern vorher auch schon nicht bei Rot-Rot. Das kann kein Modell für die Zukunft sein.
Michael Müller skizziert Rot-Grün als ein Projekt, das die Milieus der beiden Parteien zusammenbringen soll. Wo bleibt denn dabei das vielleicht CDU-nähere Lichtenrader Klein- und Zehlendorfer Großbürgertum?
Kapek: In dem Moment, in dem ich in eine Regierung gehe, muss ich die ganze Stadt repräsentieren …
… das war ja auch schon mal grünes Wahlmotto 2011: Eine Stadt für alle.
Kapek: Und wer benutzt heute diesen Slogan? Die SPD – die kupfert gern von uns ab, das haben wir schon beim Thema Mieten und Wohnungen gesehen.
Wenn schon Augenhöhe – oder auch kooperativer Umgang –, warum ist es dann den Grünen so wichtig, vom halbwegs etablierten Rot-Rot-Grün oder R2G abzuweichen und stets von Rot-Grün-Rot zu sprechen?
Kapek: Man sollte schon die Wirklichkeit darstellen.
Pop: Wir werden sehen, was das Wahlergebnis bringt. Ich möchte hier nicht über Namen von Koalitionen sprechen, die es noch gar nicht gibt. Es lohnt sich, für eine Zweierkonstellation zu kämpfen und für ein starkes grünes Ergebnis.
In den Umfragen ist die AfD noch stärker geworden. Die Grünen hatten angekündigt, sie inhaltlich zu stellen. Michael Müller wollte sie noch im Juni blauäugig sogar komplett aus dem Parlament heraushalten, also unter 5 Prozent. Nun liegt sie bei 15 – wer hat da was versäumt?
Pop: Die Berliner AfD ist bislang mehr oder minder ein Phantom. Man sieht sie so gut wie gar nicht, nur ab und zu taucht mal der Herr auf, der da Spitzenkandidat ist. Man kann schon sagen, dass die AfD sich vor einer Auseinandersetzung drückt.
… was ihr aber offenbar nicht schadet.
Pop: In zwei Wochen sind die Wähler gefragt, in was für einem Berlin sie eigentlich leben wollen. Wir kämpfen noch bis zum Wahltag, um den Menschen deutlich zu machen, dass es gerade jetzt darum geht, ob Berlin die Stadt der Freiheit und Möglichkeiten bleibt. Aber am 18. September muss jeder wählen gehen, der kein böses Erwachen erleben möchte.
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