: Der Zerrspiegel Frankreichs
ZEICHENKUNST Anlässlich des Anschlages auf das Satire-Magazin Charly Hebdovor anderthalb Jahren blickt das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover auf die Geschichte der französischen Karikatur zurück und damit auf einige Jahrhunderte Gesellschaftskritik
Von Bettina Maria Brosowsky
Der kleine Mannschaftsbus der Polizei, diskret geparkt unter einer Baumgruppe in Hannovers Georgengarten, mag irritieren. Ansonsten trübt nichts die Idylle am Gartenpalais, das das Wilhelm-Busch-Museum für Karikatur und Zeichenkunst beherbergt. Der vorsorgliche Polizeischutz soll den Besuchern der aktuellen Ausstellung französischer Karikatur die nötige Sicherheit vermitteln, denn es werden auch Werke der 2015 ermordeten Zeichner von Charlie Hebdo gezeigt sowie aktuelle Blätter aus dem Satiremagazin.
Die Karikatur als zeichnerische Kritik hat eine lange und vor allem starke politische Tradition in Frankreich. Das demonstrieren eindringlich einige der 200 ausgestellten Werke, deren früheste vom Beginn des 17. Jahrhunderts datieren. Während sich in den deutschen Kleinstaaten, verfangen in den Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs, allenfalls die Religionskritik vorwagte, war in Frankreich bereits die soziale Ungleichheit Thema.
Radierungen von Jacques Callot (1592-1635) zeigen zum einen Figuren der Commedia dell’arte, jener subversiven zeittypischen Schauspielkunst, die im Deckmantel ihrer Narrenfreiheit die Privilegien und Dekadenz der Aristokratie verspottete. Zum anderen sind da seine Elendsgestalten verkrüppelter oder verstümmelter Bettler sowie umherziehender Scharen armer Zigeuner: Es sind ungeschönte Sozialstudien eines nicht gerade marginalen, jedoch rechtlosen Teils der französischen Gesellschaft.
Zur Hochform, aber auch zu politischer Propaganda, lief die Karikatur mit der Französischen Revolution auf. Neue Drucktechniken ermöglichten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Blüte auflagenstarker Satiremagazine.
Und immer war die Zensur eine unangenehme Begleiterin: André Gill (1840-1885), der gern zu überzeichneten Motiven griff, hat sie 1874 nach einer neuerlichen Restriktion als Allegorie in Gestalt einer alten Hexe mit todesverkündender Eule sowie einer riesigen Schere bildstark fixiert: Madame Anastasie. Selbst geriet er ständig in Konflikt mit ihr.
Nach 1790 boten die anfänglichen Siege der Revolutionsarmee Anlass zu patriotischen Freudenbildern, die selbst Schiller und Goethe im fernen Weimar zu, wenngleich unterschiedlichen, Reaktionen bewegten. Wenig später ließ Napoleon seinen Polizeiminister populäre Flugschriften auch in Deutsch und Italienisch verfassen, um sie in den eroberten Landen zu verbreiten.
Als er ab 1802 die Invasion Großbritanniens zur „Befreiung der Meere“ plante, überschwemmte er den Erbfeind mit Spottblättern: Dessen lächerliche Gegenwehr bestehe bloß aus einigen heldenhaften Britinnen mit ihren Fächern, unter deren Kleidern sich eine feige Miliz verstecke.
Ähnlicher Spott ereilte Napoleon in späteren Jahren selbst: 1815 kann er nur noch auf einem müden Kater, seinem loyalen Weggefährten Marschall Ney, Einzug in seinen zweiten Verbannungsort halten, wo ihn nicht einmal mehr die Ratten willkommen heißen.
Honoré Daumier (1808-1879) kommentierte in der Folge sowohl die Hoffnungen als auch die Enttäuschungen der zahllosen politischen Umbrüche im nachnapoleonischen Frankreich, etwa unter dem 1830 inthronisierten, scheinbar liberalen Bürgerkönig Louis-Philippe von Orléans.
Bereits zwei Jahre später lastet die Birne, das jedem Zeitgenossen verständliche Symbol für den König, wie ein Alptraum auf dessen Unterstützer General Lafayette – motivisch die Reprise des psychologisierenden Gemäldes „Nachtmahr“ von Johann Heinrich Füssli.
Daumier, mit einen halben Jahr Gefängnis bestraft, karikierte die Opportunisten, die jeder neuen Staatsordnung dienten, aber vor allem die aufziehende neue Bedrohung von außen: Preußen. Dessen Pickelhaube lässt nach der französischen Niederlage von 1870/71 eine Sonnenfinsternis über Europa und dessen in vielen Revolutionen errungene Freiheit aufziehen.
Eine derart politisch wie motivisch differenzierte Kritik findet man in den gezeigten Beispielen neuerer französischer Karikatur nicht mehr. Sie ist entweder zum intelligent unterhaltenden Gesellschafts-Comic geworden oder greift zu deftig vulgärer Bildsprache wie Charb (Stéphane Charbonnnier, 1967-2015), vormaliger Chefredakteur von Charlie Hebdo.
Sein Priester fühlt sich nicht dem Zölibat verpflichtet und verweigert zudem noch die sonntägliche Messe. Er kotze, so seine Auskunft, auf Sarkozy, den ehemaligen Ministerpräsidenten, der 2009 den arbeitsfreien Sonntag abschaffen wollte.
Religionsfundamentalistische Häme, nicht nur gegen den Islam wie in einer Ausgabe von 2011, gehört zur Blattlinie. Charbonnnier rechtfertigte sie gegen Kritiker mit dem Hinweis Charlie Hebdo sei nicht rassistisch, sondern ein Kind des Mai 68, der Freiheit, der Unverschämtheit.
„Wir verteidigen den Menschen und seine universellen Werte“, sagte er 2013 in einem Interview. Die hannoversche Ausstellung vermittelt einen Eindruck von der großen intellektuellen und sozialen Tradition der französischen Karikatur. Demgegenüber erscheint sie heute einseitig, erschöpft und kaum einfühlend.
Caricatures. Spott und Humor in Frankreich von 1700 bis zur Gegenwart: bis 6. November im Wilhelm Busch Museum Hannover
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