Falsche Biografie von SPD-Abgeordneter: Hinz tritt von Parteiämtern zurück
Die SPD-Politikerin meidet jeden Kontakt mit GenossInnen und Presse. An ihrem Bundestagsmandat hält sie vorerst fest.
Thomas Kutschaty, Chef der Essener SPD und Justizminister in NRW, wirkte erleichtert, fand sogar mitfühlende Worte: “Es muss eine große Belastung sein, so lange an einer Lebenslüge festzuhalten.“
Damit verzeichnet die Drohgebährde der Essener SPD, die der Abgeordneten ein 48-Stunden-Ultimatum für den Rücktritt aller Ämter gestellt hatte, einen bescheidenen Erfolg. Es sei bedauerlich, dass Hinz nicht auch das Bundestagsmandat zurückgegeben habe, musste Kutschaty einräumen, aber “wie sind nunmehr am Ende unserer Möglichkeiten“.
Die Essener spielen nun die leidige Causa auf höhere Ebene ab. Die SPD-Bundestagsfraktion werde sich des Falls auf ihrer erste Sitzung nach der Sommerpause annehmen, das habe ihm Thomas Oppermann, Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion zugesichert, so Kutschaty weiter. Von einem möglichen Fraktionsausschluss war nicht mehr die Rede. Formal halte man am Parteiordnungsverfahren fest, doch das Einlenken Hinz’ soll Einfluss auf die Entscheidung des Parteigerichts haben.
Kein Kontakt mit Hinz
Vor bald drei Wochen kam heraus, dass die Politikerin ihren Lebenslauf gefälscht hatte. Über dreißig Jahre lang gab sich die 54-Jährige fälschlicherweise als Volljuristin aus, dabei hatte sie noch nicht einmal Abitur. Die gebürtige Essenerin hatte anschließend zwar angekündigt, ihr Bundestagsmandat abzugeben, ist dem bisher aber nicht nachgekommen.
Laut SPD-Parteichef Sigmar Gabriel befindet sie sich in stationärer Behandlung. Niemand aus dem Vorstand der Essener SPD hat in den vergangenen Wochen Kontakt zu ihr. Die Wieder-Aufnahme der Korrespondenz lässt aber hoffen, dass Hinz vielleicht auch rascher als vermutet ihr Bundestagsmandat niederlegen wird, um weiteren Schaden von ihrer Partei abzuwenden. Kutschaty kündigte an, unverzüglich Kontakt zu ihr aufzunehmen.
Doch der Image-Schaden ist da. Zahlreiche wütende Briefe von Bürger habe er erhalten, die Essener SPD müsse nun zeigen: „Das Bild der Petra Hinz ist nicht das Bild der Essener SPD“, so Kutschaty. Zuvor hatte der Parteivize Karlheinz Endruschat bekannt gegeben, dass knapp ein Dutzend Sozialdemokraten gegen Hinz aus der Partei ausgetreten sind.
Rund 3800 Mitglieder zählt der Unterbezirk Essen noch – es ist der siebtgrößte im Lande – doch noch um die Jahrtausendwende hatte er mehr als doppelt so viele Mitglieder.
Immer wieder die Essener SPD
Erst im Herbst verlor die Essener SPD den Oberbürgermeister-Posten, die ehemalige Parteichefin Britta Altenkamp verweigerte dem Kandidaten ihre Unterstützung. Dann der AfD-ähnliche Aufstand einiger Ortsvereinen im Essener Norden gegen neue Flüchtlingsunterkünfte. Ihr Slogan „Genug ist genug – Der Norden ist voll“ sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Zuletzt wurde bekannt, dass ein SPD-Ratsherr mit der Stadt einen lukrativen Immobiliendeal für neue Asylunterkünfte eingefädelt hatte
Die Nominierung eines neuen Bundestagskandidaten verschiebt die Essener SPD nun auf Ende des Jahres. Kutschaty versichert, er werde sich den Lebenslauf der Kandidaten genau anschauen. Allerding widerstrebe es ihm, sich Zeugnisse vorlegen zu lassen. Politische Arbeit basiere nunmal auf gegenseitigem Vertrauen. Aber wie heißt es doch so schön? Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau