Ehemals besetzte Häuser in Hamburg: Das Gängeviertel wird erwachsen
Wenn das einst besetzte Gängeviertel in Hamburg seinen 7. Geburtstag feiert, sind 3 von 14 Häusern fertig saniert. Der Architekt erzählt.
Vor sieben Jahren haben 200 KünstlerInnen und AktivistInnen das historische Gängeviertel in der Hamburger Innenstadt besetzt, um die Gebäude vor dem Abriss zu retten. Selbstbewusst versuchen sie seitdem auf dem schmalen Grat zwischen Autonomie und enger Kooperation mit der Stadt ihren Weg zu gehen.
Noch im Jahr der Besetzung konnten sie die Stadt zum Umsteuern bringen – der damals schwarz-grüne Senat kaufte das Areal für acht Millionen Euro vom Investor zurück. Die AktivistInnen gründeten eine Genossenschaft und schlossen nach langen Verhandlungen einen Vertrag mit der Stadt und der Stadtentwicklungsgesellschaft Steg, der ihnen die Miete und die Nutzung in Selbstverwaltung sichert. Die Stadt ließ 20 Millionen Euro zur Sanierung der maroden Gebäude springen.
Wenn das Gängeviertel am kommenden Wochenende seinen siebten Geburtstag feiert, sind drei der 14 Häuser fertig saniert. Wie schwierig der Weg hierhin war, zeigt sich schon an der Frage, wer hier eigentlich der Bauherr ist. Für den mit der Sanierung beauftragen Architekten Joachim Reinig ist es das Gängeviertel. Formal gesehen ist es aber die Steg. Die Stadtentwicklungsgesellschaft wollte eigentlich ihren eigenen Architekten für die Sanierung schicken. Das wiederum wollte das Gängeviertel nicht. Auf Joachim Reinig, den Wunschkandidaten des Gängeviertels, konnten sie sich einigen.
Reinig, der den Hamburger Michel saniert und sich als Architekt bei vielen alternativen Wohnprojekten engagiert hat, steigt da ein, wo andere das Handtuch werfen. Man muss sich einigen, wo die Vorstellungen manchmal diametral auseinandergehen. Und man muss Sanierungsstandards einhalten, Brand- und Lärmschutz-Auflagen erfüllen, den Denkmalschutz beachten. Man braucht gute Nerven.
Ausdruck des Protests gegen Modernisierung
„Als Architekt suche ich Einigungen und Lösungen. Aber nicht alle machen das – manchen reicht es auch, Stachel zu sein.“ Die Farbklekse auf der wärmegedämmten Fassade der Fabrique versteht er als Ausdruck des Protests gegen die Modernisierung.
Wenn Reinig mit Strohhut, Jackett und schwarzen Sneakers in den niedrigen Toilettenräumen der Fabrique steht, deren frisch gekachelten Wände schon von oben bis unten vollgetagt sind, provoziert ihn das nicht. „Ich sehe einen erheblichen Gestaltungswillen“, sagt er. Im Hintergrund gehe es immer um die Frage „Wem gehört die Stadt?“ – und um Aneignung. „Eine weiße Toilettenwand ist für viele bedrohlich. Was macht man damit? Man schreibt erst mal ran: Das ist unseres.“ Und genau das ist es, was in Reinigs Augen selbstverwaltete Projekte wie dieses auszeichnet: Hier haben die Leute das Recht dazu.
Obgleich den AktivistInnen die Häuser nicht gehören, obliegt ihnen die Verwaltung. Das haben sie erkämpft. Besitzen wollten sie die Häuser eigentlich nie, haben die BewohnerInnen bis vor einiger Zeit immer wieder betont. Jetzt hat sich das geändert. Die Gängeviertel-Genossenschaft ist auch dazu da, am Tag X, also wenn genug Geld zusammengekommen ist, die Häuser von der Stadt zu kaufen.
Wenn Reinig auf die sanierten Häuser guckt, ist er zufrieden mit dem Ergebnis. Obwohl der Prozess, wie die Planung gelaufen ist, ihm an vielen Punkten widerstrebt hat. Die Wohnungen zum Beispiel, ihre Größen und Formen, haben die AktivistInnen geplant, ohne zu wissen, wer später wo einziehen würde. So mussten immer alle mitplanen. Reinig will aber wissen, für wen er plant.
Die Sache mit den Balkons
Und dann ist da noch die Sache mit den Balkons – die AktivistInnen wollten keine Balkons an den Wohnungen haben, erzählt der Architekt. Da, wo jetzt Balkons sein könnten, ist die Fassade nach hinten versetzt – nur dass keine Balkons die Lücke füllen. Außenflächen sollten kollektiv genutzt werden, individuelle Rückzugsräume außerhalb der Wohnung fanden die AktivistInnen spießig.
„Aber willst du denn lieber ohne Balkon wohnen als mit?“, habe Reinig einzelne Leute gefragt. „Das weiß ich doch jetzt noch nicht“, hätten die geantwortet. Ansprüche zu definieren, unabhängig davon, ob man sich in ihnen wiederfindet, das findet Reinig schwierig. „Es widerspricht meinen Vorstellungen, nicht für die Bewohner zu planen“, sagt er.
Auch bei den BewohnerInnen hat sich über die letzten Jahre vieles geändert. Einige haben Kinder bekommen, andere sind ausgestiegen, wieder andere haben das Gängeviertel zu ihrem Beruf gemacht, halten Vorträge, promoten ihr Projekt. Reinig sagt: „Das Viertel wird erwachsen, und das ist manchmal ein schmerzhafter Prozess.“
Verhältnis bleibt schwierig
Auch das Verhältnis zwischen Gängeviertel und Stadt bleibt schwierig, obgleich sie so eng kooperieren. Im Februar vergangenen Jahres brach das Viertel die Planung mit der Steg ab – seitdem liegt sie auf Eis. Drei Bedingungen wollten die KünstlerInnen durchsetzen, bevor sie bereit sind, wieder mit der Steg zu planen: Selbstverwaltung, ein tragfähiges Konzept für den Hauptveranstaltungsraum Fabrique und die Sicherung einer dauerhaften Nutzung des Viertels durch die AktivistInnen.
Bis auf die dritte Forderung hat die Stadt alles erfüllt. Um langfristig Kontinuität in die Arbeit und die Öffnungszeiten zu bekommen, wollen die KünstlerInnen sich nicht länger selbst ausbeuten, sondern fordern, ihre ehrenamtliche Arbeit bezahlt zu bekommen. Doch die Kulturbehörde hat einer dauerhaften Finanzierung eine Absage erteilt.
Ob das Viertel den Architekten weiter beauftragt, klärt sich erst, wenn die Planung weitergeht. Joachim Reinig steht vor dem „Nasch“ – ein veganes Café, das die AktivistInnen betreiben. Es gibt Quiche mit Salat, Wraps und Festpreise. Ein Anzugträger mit Schlips und glänzenden Schuhen geht telefonierend rein. „Wir leben in einer durchregulierten Welt, da ist die Sehnsucht nach Anarchie durchaus groß“, sagt Reinig. Andererseits sei das Verwalten von Häusern ein harter Job, der einen an die Realität heranführe. „Da ist es schwer, wenn man in der Protestkultur verharrt.“
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