Das Ding, das kommt: Ein Kegel Trost
Sie sei „nicht mehr zeitgemäß“, stellte bereits 1932 Barbara von Treskow bezüglich der Schul- oder Zuckertüte klar: Sie sei „aus sozialen Gründen in unserer Einheitsschule nicht am Platz“, heißt es in ihrem mit Johannes Weyl verfassten „Lexikon der Hausfrau“. Zudem aber sollten „unsere Kinder nicht das Gefühl haben, sie müßten für den Schulbesuch getröstet werden“, so die 1972 in Wedel bei Hamburg gestorbene Publizistin und Frauenrechtlerin.
Offenbar müssen SchülerInnen doch getröstet werden, ganz besonders in Bremen. Das wird sich zeigen, wenn am Wochenende dort und in Niedersachsen die Einschulungsfeiern steigen. Denn einerseits werden so gut wie alle Kinder eine Schultüte bekommen. Und während bundesweit im Schnitt 71,70 Euro pro Zuckertüte ausgegeben werden – in Niedersachsen sogar nur 56,45 –, sind es in Bremen stolze 94! Und das lässt sich nicht als Stadtstaatenphänomen abtun: In Hamburg investieren die Eltern 30 Euro weniger in die Tüte, auch wenn 41 Prozent von ihnen laut einer repräsentativen Erhebung von 2015 mindestens einen Monat vor dem Stichtag – das ist dort der 3. September – zu planen begonnen haben, mit welcher Befüllung ihr Nachwuchs die KlassenkameradInnen so richtig beeindrucken kann.
Das war nicht immer so: Bekannt ist der Brauch, Kindern zur Einschulung Tüten mit Leckereien zu schenken, einzig in Deutschland und Österreich. Und wer sich für seine Ursprünge interessiert: Mindestens Hinweise darauf finden sich in insgesamt neun norddeutschen Schulmuseen. Wie genau der Brauch in den Norden kam, ist ungewiss: Als sicher gilt, dass er Anfang des 19. Jahrhunderts in Thüringen und Sachsen entstand.
Dass er beim bildungsbeflissenen städtischen Bürgertum schneller ankam als auf dem Dorf, lässt sich in Norddeutschland gut nachvollziehen: „Das erste Foto unserer Sammlung von einer Bremer Erstklässlerin mit Schultüte stammt von 1911“, sagt die Leiterin des Bremer Schulmuseums, Frauke Hellwig. „Ab 1930 haben nahezu alle Kinder, von denen wir ein Einschulungsfoto besitzen, in Bremen auch Schultüten.“
Anders beispielsweise in Ostfriesland: „Das fing hier eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg an“, so Wimod Reuer vom Schulmuseum Folmhusen. Didaktische Handreichungen zur Unterrichtsgestaltung hätten damals aber auch die Einschulungsfeier populär gemacht. Und für die wiederum „wurden auch Schultüten empfohlen“. Aber noch bis Ende der 1950er seien sie selten geblieben: „Wir haben Dorfschulklassenfotos aus der Zeit, da sind acht Kinder drauf zu sehen“, sagt Reuer. „Von denen haben zwei so einen typischen Papierkegel in der Hand, zwei irgendetwas, was wie eine Mehltüte aussieht – und die anderen nichts“. Erst Mitte der 1960er sei sie dann zur allgemein üblichen Grundausstattung geworden. bes
Schulmuseum Bremen, Auf der Hohwisch 61–63; http://schulmuseum-bremen.de
Ostfriesisches Schulmuseum Folmhusen, Leerer Straße 7,Westoverledingen; www.ostfriesisches-schulmuseum.de
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