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Vor den Olympischen Spielen in RioSicherheitskräfte bedrohen Sicherheit

Gefahr geht angeblich von Drogenbanden und Islamisten aus. Sondergesetze schränken das Demonstrationsrecht ein und Gewalt gegen Arme nimmt zu.

Militärangehörige werden zur Sicherung der Spiele in Rio de Janeiro eingesetzt Foto: ap

Rio de Janeiro taz | Zwei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele ist in Rio de Janeiro bereits eine Art Ausnahmezustand zu spüren. Schwer bewaffnete Uniformierte stehen vor wichtigen Gebäuden, an Straßenkreuzungen und patrouillieren in den Vierteln, in denen Sportstätten liegen oder viele Touristen erwartet werden. Gerne lassen die eher berüchtigten Militärpolizisten ihre Gewehrläufe aus den Fenstern ihrer Einsatzwagen schauen, obwohl dies weder Einheimischen und noch weniger den Ausländern ein Sicherheitsgefühl vermittelt.

85.000 Sicherheitskräfte, davon fast die Hälfte Soldaten, sollen Tausende Sportler und Hunderttausende Besucher schützen – mehr als doppelt so viele wie bei den Spielen in London vor vier Jahren. Nach dem verheerenden Anschlag von Nizza ist die Sicherheitsstufe noch mal erhöht worden, zumal Warnungen aus Frankreich besagten, auch Olympia könne ins Visier von islamistischen Angreifern geraten.

Ende vergangener Woche gab es prompt den ersten Antiterroreinsatz. Bei Razzien in sieben Bundesstaaten nahm die Polizei zehn Verdächtige fest, nach zwei weiteren wird gefahndet. Alle sind Brasilianer, die sich laut Justizministerium in sozialen Netzwerken als Anhänger der Terrormiliz „Islamischer Staat“ ausgaben. Persönlich kannten sie sich nicht, sprachen aber von Attentaten und wollten Waffen auf dem Parallelmarkt kaufen.

„Eine völlig amateurhafte Gruppe“, urteilte Justizminister Alexandre de Moraes. Doch ein Eingreifen sei notwendig gewesen. Vorerst sitzen die Verdächtigten für einen Monat in einem Hochsicherheitsgefängnis. Es war die erste Polizeiaktion im Rahmen eines neuen Antiterrorgesetzes, dass die vorübergehend suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff Anfang des Jahres unterzeichnete. Kritiker halten es angesichts der Bedrohungslage in Brasilien für völlig überzogen, zumal es auch gegen Demonstranten angewendet werden kann – insbesondere gegen den sogenannten Black Bloc, der im Vorfeld der Fußball-WM 2014 von sich reden machte.

Regelmäßige Schießereien

Abgesehen von der Terrorwarnungen hatte sich die Sicherheitslage in Rio nach der WM wieder deutlich verschlechtert. Die umstrittene Befriedung von Favelas, die zumeist rein militärisch, aber ohne soziale Begleitmaßnahmen ablief, ist seit Monaten in der Defensive. In vielen Armenvierteln kommt es wieder regelmäßig zu Schießereien zwischen Drogengangs und der Polizei. Auch mehr Raubüberfälle auf Fußgänger und Autofahrer erhöhen das Unsicherheitsgefühl in der Stadt.

Doch die Klagen insbesondere aus der Mittelschicht über ein Klima der Gewalt treffen nicht zu. Die meisten Opfer von Gewalttaten kommen aus den ärmeren Gegenden, schwarze junge Männer sind am ehesten betroffen. Auch die Touristen gehören meist nicht zu denjenigen, die die Statistik in die Höhe treiben.

Das Erschießen von Verdächtigen ist keine Lösung

Maria Laura Canineu, HRW

Verschiedene Menschenrechtsorganisationen sehen einen direkten Zusammenhang zwischen einem Megaevent wie den Olympischen Spielen und zunehmender Gewalt, just durch diejenigen, die eigentlich davor schützen sollten. Allein im Jahr 2015 haben Polizisten im Bundesstaat Rio de Janeiro 645 Menschen bei Einsätzen erschossen, erklärte Human Rights Watch (HRW) Anfang Juli. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres waren es bereits 322 Todesfälle. Oft handele es sich um regelrechte Hinrichtungen. Im Schnitt werden bei Polizeieinsätzen fünfmal mehr Menschen getötet als verletzt.

Übermaß an polizeilicher Gewalt

„Das Erschießen von Verdächtigen ist keine Lösung für das Kriminalitätsproblem in Rio de Janeiro“, erklärte Brasiliens HWR-Direktorin Maria Laura Canineu. Ein solches Vorgehen bringe die Menschen in Armenvierteln gegen die Sicherheitskräfte auf und gefährde die öffentliche Sicherheit aller Bewohner, so die Menschenrechtlerin. HRW kommt in der Studie zu dem Schluss, dass aufrichtige Polizisten Angst haben, Übergriffe oder Hinrichtungen seitens ihrer Kollegen anzuzeigen. Die Täter „würden nicht eine Sekunde zögern, mich oder meine Familie zu töten“, erklärte ein Beamter.

Bereits im Juni kritisierte Amnesty International ein Übermaß an Gewalt mit tödlichen Folgen seitens der Sicherheitskräfte. Wie schon bei der WM 2014 setze der Staat im Vorfeld von Olympia in übertriebenem Maß auf Gewalt. Die Opfer seien zumeist junge Männer dunkler Hautfarbe, die aus den Armenvierteln stammen.

Besserung ist nicht in Sicht. Schlagzeilen machte die Polizei vor allem mit Protestaktionen gegen ausstehende Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen, in denen sie anreisende Touristen von „höllischen Zuständen“ warnten. Spezielle Olympiagesetze fördern sogar noch die Straffreiheit der Uniformierten: Entsprechend der Leitlinien des IOC wird das Demonstrationsrecht eingeschränkt und zahlreiche Regionen der Stadt werden schlicht zu Privatgelände erklärt. Und sollte es zu Übergriffen seitens der Soldaten kommen, werden diese nur von der Militärjustiz verfolgt.

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3 Kommentare

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  • Die Grundursache des Gewaltproblems in Rio ist die Präsenz von stark bewaffneten kriminellen Banden (untereinander verfeindete Drogengangs und Milizen) in den meisten Favelas der Stadt. Der Staat hat daraus bislang keine Antwort gefunden. Die aktuelle Pazifizierungsstrategie – eine gute Idee – ist leider an mangelnden Ressourcen gescheitert; große Favelas mit bis zu 100.000 Einwohnern können nicht mit 300 Polizisten gesichert werden. Die Banden sind inzwischen in jede „pazifizierte“ Favela zurückgekehrt und verteidigen ihr Territorium mit AK 47s. Dabei kommt es zu intensiven Schießereien mit der Polizei, bei der tödliche Querschläger regelmäßig Unschuldige treffen.

    Rios Polizei hat ein Gewaltproblem. Man darf aber auch nicht vergessen, dass in Rio seit Jahresanfang mehr als 50 Polizisten erschossen wurden (mehr als in den USA). Die Polizei ist nicht das richtige staatliche Instrument, um die Favelas zu sichern, das kann nur das brasilianische Militär. Viele Cariocas fragen sich, warum es nur zu Großveranstaltungen wie Olympia und WM zum Einsatz kommt. Die Touristen genießen den Schutz des Militärs und die Bewohner werden nach 3 Wochen wieder alleine gelassen mit einer dramatischen Kriminalitätslage. Der Autor muss ein hartgesottener Kerl sein, wenn er behauptet „die Klagen insbesondere aus der Mittelschicht über ein Klima der Gewalt treffen nicht zu“. Ein Blick in die Kriminalstatistik wird ihm sicher weiterhelfen. Brasilien hat weltweit die höchste absolute Anzahl an Tötungsdelikten (gut 60.000 im Jahr) und auch gemessen an der Bevölkerung liegt der Wert auf einem lt. UNO epidemischen Niveau (30/100.000); der Staat Rio liegt mit 32 sogar über dem Landesdurchschnitt; der Wert für Deutschland liegt bei 0,8. Die Wahrscheinlichkeit ermordet zu werden, ist für einen Bewohner Rios vierzig Mal so hoch wie für einen Bewohner Deutschlands, von Überfällen, Entführungen etc. ganz zu schweigen.

  • "Sicherheitskräfte bedrohen Sicherheit" - In jedem Land dieser Erde nennen sich die einschlägigen Truppen "Sicherheitskräfte", auch und gerade, wenn sie dazu dienen, das jeweilige Volk zu unterdrücken. Und die deutschen Medien nennen diese Unterdrücker ebenfalls "Sicherheitskräfte".

  • Das gewaltsame Durchdrücken olympischer Spiele,gerade in Ländern,die sich diese eigentlich überhaupt nicht leisten können,oder die Vergabe in Länder,die diktatorisch und Menschen verachtend sind,kostet den Sport noch die letzten Sympathien.

    Es kommt nicht von Ungefähr,dass in Deutschland diese Zwangsbeglückung von der Bevölkerung überall abgelehnt wurde.