: Mit Bums gen Nordosten
Wahlkampf Die Linke will nach den Schlappen der letzten drei Landtagswahlen zeigen, dass sie auch wieder zulegen kann. Ihr Ziel in Meck-Pomm: Regierungsbeteiligung
Aus Warnemünde Anna Lehmann
„Andere nennen es Wahlkampf, man kann auch Urlaub dazu sagen“, sagt Dietmar Bartsch. Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag ist gebürtiger Stralsunder. Zum Auftakt der schon traditionellen Ostseebäder-Tour seiner Partei kommt er auf die Strandpromenade von Warnemünde schon halb im Urlaubsmodus: gebräunt und guter Dinge. Der Himmel über dem Leuchtturm ist blau, die trüben Nachrichten aus München werden erst eintreffen, nachdem die Wahlkämpfer längst abgebaut haben.
Am 4. September wählt Mecklenburg-Vorpommern, das mit 1,6 Millionen Einwohnern eher dünn besiedelte Land im Nordosten Deutschlands, einen neuen Landtag. Der Tag der Abstimmung ist zugleich der letzte Ferientag, die Wahlkampagnen der Parteien in Mecklenburg-Vorpommern fallen diesmal also komplett in die Urlaubszeit.
Dabei wird der Wahlkampf für die Linke kein Strandspaziergang. Nach den Misserfolgen der letzten drei Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt, bei denen die Partei alle ihre Wahlziele verfehlt hat und in Sachsen-Anhalt zudem die Oppositionsführerrolle an die AfD abtreten musste, will die Partei im September ein Signal setzten. „Mit Mecklenburg-Vorpommern und Berlin werden wir zeigen, dass die Linke in Landtagswahlen wieder zulegen kann. Das ist das Hauptziel“, sagt Dietmar Bartsch.
Konkret heißt das: mehr als 18,4 Prozent in Meck-Pomm, über 19 Prozent in Berlin. Nur zwei Wochen nach der Wahl im Norden sind auch die Berliner aufgefordert, ein neues Abgeordnetenhaus zu wählen. Kandidaten aus Berlin haben sich der Bädertour deshalb gleich angeschlossen. Man hoffe, so die Berliner Ex-Senatorin und Kandidatin Katrin Lompscher, dass der erwartete Wahlerfolg in Mecklenburg-Vorpommern für Berlin „noch mal einen richtigen Wutsch gibt“. Ein gutes Wahlergebnis würde den Weg ebnen für den nächsten Schritt: „Wir wollen in beiden Ländern Regierungsverantwortung, ganz klar“, sagt Bartsch.
Der nördliche Spitzenkandidat Helmut Holter war bereits Arbeitsminister in der ersten SPD-PDS/Linken-Regierung in Schwerin von 1998 bis 2006. Die letzten zehn Jahre koalierte die SPD mit der CDU, die Beziehungen der Linken zu den Sozialdemokraten sind derzeit eher angespannt. Dennoch sieht Holter gute Chancen für einen Neustart mit den Sozis: „Erst kämpfen wir um eine starke Linke, und dann wäre ein rot-rot-grünes Bündnis eine Möglichkeit.“
Dabei geht es sowohl in Schwerin als auch in Berlin um mehr als um Landespolitik, das weiß auch Holter: „Was wir in den Ländern zustande bringen, hat Signalwirkung für den Bund.“ Wenn die Menschen rot-rot-grüne Landesregierungen akzeptierten, wäre eine gemeinsame Bundesregierung 2017 keine fixe Idee mehr, sondern eine Option.
Zunächst gilt es aber, um Stimmen zu kämpfen. Und zwar trotz des neuen Players im Parteienspektrum, der AfD. Die rechtspopulistische Partei will in Mecklenburg-Vorpommern ihre Wahl-Coups vom Frühjahr wiederholen; mehr noch, sie will hier stärkste Kraft werden, wie Parteichefin Frauke Petry 48 Stunden zuvor auf dem Rostocker Bahnhofsvorplatz verkündet hatte.
Wird die AfD der Linken wie in Sachsen-Anhalt das Wasser abgraben? In Umfragen liegt sie derzeit mit 19 Prozent leicht vor der Linken. „Wir werden am Wahltag vor der AfD liegen“, meint Bartsch selbstbewusst. Dass die AfD der Hauptgegner sei, verneint er jedoch energisch. Man wolle die Partei ja nicht unnötig aufwerten, indem man sie dämonisiere. „Wir sind nicht die Anti-AfD.“
Im Wahlkampf setzt die Partei auf Heimatverbundenheit. „Aus Liebe zu M-V“ lautet das Motto. Weil Liebe bekanntlich durch den Magen geht, gibt’s in Warnemünde Eintopf satt und Bananen. Von Les Bummms Boys, einer Band aus Rostock, gibt’s was auf die Ohren, im August wird noch ein Show-Truck dazustoßen. „Ja, das ist eine andere Art der Ansprache und etwas Neues“, bestätigt Spitzenkandidat Holter. Der 63-Jährige hat in Warnemünde ganz gegen seine Gewohnheit Schlips und Sakko weggelassen. „Die Leute haben den normalen Politsprech satt“, glaubt Holter.
Die Partei garniert alle ihre Wahlplakate – etwa für eine Einstellungsoffensive für Pflegekräfte, ein zusätzliches zehntes Pflichtschuljahr und kostenfreie Kitas – mit einem Herzchen. Aber ob das reicht?
Zumindest scheint die Flüchtlingspolitik, das Paradethema der AfD, derzeit erst einmal abgeräumt zu sein. Knapp 19.000 Geflüchtete leben in dem Flächenland, auf der Strandpromenade von Warnemünde ist Sonnenbrand nach wie vor die Regel, naturbraune Haut die absolute Ausnahme. „Die Bundespolitik schlägt schon durch“, berichtet Marcel Eggert, der trotz hochsommerlicher Temperaturen die Farbe Schwarz bevorzugt. Der Linken-Kandidat hat schon einige Termine in seinem Wahlkreis rund um die Sternberger Seenlandschaft absolviert. „Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei und die geschlossenen Grenzen haben die Leute befriedet. Sie interessieren sich jetzt auch wieder für lokale Themen.“
Der Soziologiestudent ist einer der jüngeren Kandidaten, die die Partei zur Wahl stellt. Das hohe Durchschnittsalter macht der Linken insbesondere in den östlichen Bundesländern zu schaffen. In Mecklenburg-Vorpommern sterben jährlich mehr Genossen als eintreten, die Mitgliederzahl ist zuletzt unter 4.000 gefallen.
Sie habe eigentlich nur Stimmen für die Linke sammeln wollen, doch dann sei sie vor zwei Jahren gleich in den Kreistag von Bad Doberan gewählt geworden, erzählt eine parteilose Abgeordnete, die mit ihrem Mann ebenfalls vor der Bühne Platz genommen hat. Aber sie gehe mittlerweile auf die achtzig zu, wer für sie nachrücken soll, sei offen. „Es wäre schade, wenn die Linke in Bad Doberan nicht mehr vertreten ist, weil keiner mehr da ist, der für sie antritt.“
In Warnemünde verbreiten Les Bummms Boys derweil jugendlichen Schwung und setzen zu einem letzten schweißtreibenden Trommelwirbel an. Der Platz hat sich gefüllt, selbst die Leute vom Bierstand haben sich umgedreht und johlen anerkennend. „Wenn die ersten nach drei Wochen an die Arbeit zurückkehren, werden die nächsten für drei Wochen in den Urlaub fahren. Wir müssen also den Wahlkampf verdoppeln“, sagt Holter. Es wird also noch ein sehr langer Sommer für ihn und die Partei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen