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Die tragische Figur des „Sommers des Zorns“

PortrÄt David Brown, Polizeichef von Dallas, war lange ein gefeierter Bürger-Cop. Jetzt muss er die Tötung des Todesschützen Micah Johnson begründen

WASHINGTON taz | Als er in Dallas anfing, erinnerte sich David Brown neulich, hatte er noch volles Haar und eine Afrofrisur. „Und nun, Sie sehen ja selber“, fügte der Polizeichef der texanischen Metropole ironisch lächelnd hinzu und strich sich mit der Hand über die Glatze.

Brown, 55, ist die tragische Figur des „Sommers des Zorns“, wie US-Kolumnisten die heiße Jahreszeit 2016 charakterisieren. Als er vor sechs Jahren seinen Posten antrat, kam er als Reformer, der dazu beitragen sollte, Dallas’ Image aufzupolieren. Die Stadt war lange nicht mehr die „City of Hate“, wie sie 1963 nach dem Mord an John F. Kennedy genannt wurde. Doch man wollte endgültig mit dem Klischee aufräumen, das Leben in Texas sei besonders rau. Dazu gehörte, dass die lokale Polizei zum Beispiel für geschickte De-eskalation werden sollten.

Während andere Kommunen gepanzerte Fahrzeuge bestellten und ihre Polizeieinheiten zu Armeen ausbauten, hielt Brown seine 3.600 Beamten an, sich im Zweifel zurückzuhalten. Er befahl Bürgernähe, Streifen zu Fuß – und die Dienstwaffe, wenn irgend möglich, stecken zu lassen. Die Bilanz gab ihm recht. Hatten die Bewohner von Dallas noch 2009 fast 150 Fälle exzessiver Polizeigewalt beklagt, so sank die Zahl der Beschwerden bis vor Kurzem auf 13. Die Mordrate fiel auf den niedrigsten Stand seit den 1930ern.

Umso härter wurde Dallas getroffen, als Micah Johnson vergangenen Donnerstag im Stile einer Einmannbürgerkriegsmiliz gezielt fünf Polizisten erschoss und fünf weitere sowie zwei Zivilisten verletzte. Es sei bittere Ironie, dass „dieser Verrückte“ sich ausgerechnet Dallas ausgesucht habe, so Chuck Wexler, Direktor eines Polizeiforschungsinstituts in Washington. Tatsächlich muss nun Brown, der gefeierte Bürger-Cop, unter anderem begründen, warum er einen mit Sprengstoff beladenen Roboter zum Einsatz brachte, um den Todesschützen zu töten.

„Ich habe es genehmigt. Und ich würde es wieder tun, wenn ich mich noch einmal in so einer Lage befände“, hält Brown Kritikern entgegen. In seinem Parkhausversteck habe Johnson die Polizeitruppe verhöhnt, während Unterhändler ihn zum Aufgeben bringen wollten. „Er hat gelacht und gesungen, er hat gefragt, wie viele er schon getroffen hat, er hat gesagt, dass er noch mehr von uns töten wolle.“ Er, Brown, habe geglaubt, Johnson werde noch einmal angreifen, verteidigt Brown seine Entscheidung für den Bombenroboter: Zudem seien die Ermittler „überzeugt davon, dass er größere Pläne hatte und sich dabei noch im Recht glaubte“.

Es hat auch persönliche Gründe, dass der Mann mit der blank polierten Glatze Deeskalation trainieren lässt. Vor sechs Jahren erschoss Browns Sohn, David junior, einen Polizisten und einen Zivilisten, ehe er selber von einem Beamten getötet wurde. Der schockierte Vater führte lange Gespräche mit den Familien der Opfer, bevor er vor laufenden Kameras bekannte: „Das tut so weh, dass ich die Trauer, die ich in meinem Herzen trage, nicht annähernd mit Worten beschreiben kann.“ Wenn jemand in diesen Tagen absolut glaubwürdig zur Besinnung aufrufen könne, so der Tenor der US-Medien, dann sei es David O’Neal Brown.

Ob Browns Appelle wirken? Die Demonstrationen in der Nacht zum Montag deuten eher darauf hin, dass es der Sommer noch zorniger wird. In Baton Rouge, wo zwei Polizisten vier Pistolenkugeln auf den wehrlos am Boden liegenden Afroamerikaner Alton Sterling abfeuerten, stürmten Beamte sogar den Garten eines Privathauses, um Protestierende festzunehmen.

Um zur Deeskaltation beizutragen, wird Präsident Barack Obama an der Trauerfeier für die in Dallas getöteten Polizisten teilnehmen – genauso wie Vizepräsident Joe Biden und der Expräsident und ehemalige Gouverneur von Texas, George W. Bush. Frank Herrmann

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