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Marily Stroux über ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz„Ich werde kriminalisiert“

Die Fotojournalistin, die den Konflikt um die Hafenstraße begleitete, hat ihre Akte eingesehen und wundert sich über die Bewertungen des Geheimdienstes.

Vertraut Menschen jetzt weniger als vor der Überwachung: Marily Stroux Foto: Miguel Ferraz
Andrea Maestro
Interview von Andrea Maestro

taz: Frau Stroux, haben Sie je einen Verfassungsschützer ertappt?

Marily Stroux: Ja, natürlich. Vor allem während der Besetzung der Häuser in der Hamburger Hafenstraße in den 80er-Jahren. Ich habe dort zwar nicht gewohnt, aber ich gehörte zum UnterstützerInnenkreis. Wenn ich dort war, gab es Momente, in denen ich gemerkt habe, dass mir ein Auto folgt oder dass jemand unten an der Tür steht.

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe sie wissen lassen, dass ich es gemerkt habe. Meistens mit einem dummen Spruch.

Im Interview: 

65, ist in Athen geboren. Die Griechin ist mit 18 Jahren mit ihrer Familie in die Schweiz gezogen und später nach Deutschland. In Hamburg arbeitet sie als Fotojournalistin und hat auch schon Fotos für die taz.nord gemacht. Ihr Vater Jean Zacharakis erhielt das Bundesverdienstkreuz. Zu ihrer Familie gehörten zudem die beiden ehemaligen griechischen Ministerpräsidenten des Ersten Königreichs Griechenland (1832–1924), Spyridon Trikoupis und Charilaos Trikoupis.

Waren das Männer im Trenchcoat?

Es ist nicht das Äußere, das sie enttarnt hat. Ich finde, dass Menschen die so eine Arbeit machen, danach riechen. Du spürst sofort, ob jemand einfach vorbeigeht oder ob er herumschnüffelt.

Stand der Verfassungsschutz auch vor Ihrer privaten Haustür oder nur in der Hafenstraße?

Bei mir zu Hause habe ich niemanden bemerkt. Aber manchmal habe ich im Rückspiegel gesehen, wenn ich mit dem Auto zu einem Termin gefahren bin, dass mir ein Auto gefolgt ist. Das meiste kriegt man aber nicht mit. Die haben vielleicht Wanzen hier unter dem Schreibtisch installiert und hören alle Gespräche mit, über das Telefon sowieso. Sie brauchen heutzutage nicht mehr vor der Tür stehen. Auch wenn das jetzt ein bisschen nach Krimi klingt.

Sie glauben, dass Sie heute abgehört werden?

Ich gehe immer davon aus, dass das sein kann. Vor ein paar Jahren ist hier jemand ins Büro eingebrochen. Das schwarze Pulver der Spurensicherung klebt noch immer am Archivschrank mit den Negativen. Nachträglich denke ich, es könnte auch eine Aktion gewesen sein, um hier Wanzen anzubringen.

Warum sind Sie für den Verfassungsschutz so interessant?

Das frage ich mich auch. Vielleicht ist es, weil ich viel Kontakt zu Menschen aus der Szene habe, die sie interessieren. Wahrscheinlicher aber ist, dass ich unbequem bin, weil ich die Sachen, die mir politisch wichtig sind, in die Öffentlichkeit bringe. Als Fotojournalistin ist das mein Beruf. Das war zum Beispiel bei den Konflikten in der Hafenstraße nicht erwünscht. Auf meinen Fotos ist zu sehen, wie Polizisten die persönlichen Dinge von den BewohnerInnen einfach aus dem Fenster geworfen haben.

In den Daten, die der Verfassungsschutz über Sie gespeichert hat, steht, dass Sie bei der Räumung einer Wohnung in der Hafenstraße von der Polizei hinausgetragen werden mussten.

Es ist gelogen. Die Wohnung, die geräumt werden sollte, lag im ersten Stock. Ich war mit KollegInnen anderer Medien als Fotojournalistin vor Ort. Als uns gesagt wurde, dass wir die Wohnung verlassen sollen, sind wir gegangen. Ich fange da doch nicht an zu kämpfen. Das Treppenhaus war eng und auf jeder Treppenstufe stand ein Polizist in voller Montur. Als ich die Treppe hinunterstieg, haben die mich geschubst. Ich bin die steile Treppe hinuntergefallen. Natürlich gab es keine Zeugen.

Haben Sie sich verletzt?

Ich habe mir das Steißbein gebrochen und musste sofort ins Krankenhaus. Zwei Jahre lang konnte ich nicht lange sitzen. Das Interessante dabei war, dass einer der Einsatzleiter direkt Strafanzeige gegen seine eigenen Beamten gestellt hat, weil der verstanden hat, dass es nicht das Schlaueste war, mich als Journalistin zu verletzen. Die internen Ermittlungen dauerten so lange wie die Schmerzen. Aber sie haben den Täter nie gefunden. Da kann man sich schon ärgern, wenn der Verfassungsschutz schreibt, sie hätten mich rausgetragen.

Sind Sie denn Teil der linken Szene?

Ja. Das ist mir auch wichtig. Wenn KollegInnen für die Pharmaindustrie, das Militär oder politische Parteien arbeiten und dafür bezahlt werden, positive Artikel zu schreiben, interessiert das niemanden.

Ich würde sagen, dass es kein objektiver Journalismus ist.

Das stimmt, wird aber wenig kritisiert. Ich sehe mich, gleichen Rechten für alle verpflichtet, werde aber kriminalisiert. Würde ich für die Pharmabranche schreiben, wäre das anders.

Können Sie Kritik daran verstehen, dass Sie zu nah an der Szene sind, um objektiv darüber zu berichten?

Journalisten sind nie objektiv. Sie tun nur so. Ich finde es besser, wenn die Leute zeigen, was sie denken, zwischen den Zeilen kommt es so oder so durch. Jeder von uns hat eine Haltung, und es ist nicht die Sache von Behörden, zu entscheiden, ob es die richtige ist, um journalistisch arbeiten zu können. Alle Journalisten müssen die gleichen Rechte und den gleichen Zugang bekommen.

Ihr Antrag für eine Akkreditierung für den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm wurde abgelehnt.

Ja, aber ich habe mich vor dem Verwaltungsgericht in Berlin dagegen gewehrt und Recht bekommen. Dabei stellte sich heraus, dass sich der Verfassungsschutz eingemischt hatte und bestimmen wollte, wer berichtet und wer nicht. In meiner Auskunft taucht das jetzt wieder als Grund dafür auf, dass ich angeblich linksextrem bin. Das heißt, dass der Verfassungsschutz nicht einmal das Urteil eines Gerichts akzeptiert.

Die Liste über Aktionen und Versammlungen, die Sie besucht haben sollen, ist ziemlich lang. Woher hat der Verfassungsschutz diese Informationen über Sie?

Die waren vor Ort. Aber nehmen wir nur den ersten Termin. Der Mensch, der die Demonstration mit 35 TeilnehmerInnen beobachtet hat, war nicht einmal in der Lage, zu ermitteln, was das Thema war. Es war eine Aktion gegen Miethaie in Hamburg und ich war dort, um zu fotografieren. Genau wie bei allen anderen Punkten auf der Liste.

In Hamburg sind in den vergangenen eineinhalb Jahren drei verdeckte Ermittlerinnen der Polizei in der linken Szene aufgeflogen. Glauben Sie, dass die unrechtmäßig Informationen über Sie an den Verfassungsschutz weitergegeben haben?

Das ist offensichtlich. In der Liste stehen lauter Termine, bei denen die verdeckte Ermittlerin Maria B. dabei war. Das kann ich anhand der Fotos rekonstruieren.

Wie gut kannten Sie Maria B.?

Nicht richtig gut, aber ich habe sie manchmal auf Veranstaltungen getroffen und sie war auch einmal hier in meinem Büro, als wir eine Aktion zur Innenministerkonferenz vorbereitet haben.

Wie war sie denn so?

Ich fand die Beamtin Maria war eine sympathische, zuverlässige junge Frau, zuverlässig. Und sie war eher zurückhaltend.

Kannten Sie auch die anderen Ermittlerinnen?

Iris P., die erste aufgeflogene Polizistin, kannte ich nicht. Die Astrid mit ihrem Dackel habe ich kennengelernt, aber sie kam mir merkwürdig vor und war unsympathisch, deshalb hatte ich dann nie wieder etwas mit ihr zu tun.

Was macht das mit der Szene, wenn jeder ein verdeckter Ermittler sein könnte?

Ich kann nur für mich sprechen. Ich traue Menschen noch weniger als vorher. Privat habe ich mit Menschen zu tun, die ich schon lange kenne. Denen kann ich vertrauen, aber sonst mache ich mir schon Gedanken, mit wem ich rede. Es bestätigt etwas, das mir meine Mutter gesagt hat. Sie war immer der Meinung: „Erzähl den Leuten nichts Persönliches. Du weißt nie, wie es gegen dich genutzt wird.“

War Politik in Ihrem Elternhaus ein Thema?

Ich bin mit Politik aufgewachsen, aber nicht mit der Art von Politik, die ich heute mache. Ich war nicht politisch. Ich bin erst in Deutschland politisiert worden.

Warum sind Sie nach Hamburg gekommen?

Aus Liebe. Ich habe meinen Ex-Mann kennengelernt, der war ein deutscher Theaterregisseur. Im Theater habe ich auch angefangen zu fotografieren. Ich habe mich im Theater aber bald total gelangweilt. Ich wollte raus und auf der Straße mit dem echten Leben zu tun haben. Und als ich meine Tochter gekriegt habe, da fing ich an, mir Gedanken zu machen, was das für eine Welt ist, in die ich ein Kind setze.

Wie haben Sie die Welt damals wahrgenommen?

Es war die Zeit der Pershing-II-Raketen und von Tschernobyl. Da brauchtest du nicht sehr intelligent zu sein, um zu erkennen, dass sich etwas ändern musste. Dann habe ich bei Robin Wood angefangen und viele Aktionen fotografisch begleitet.

Es kann nicht lange gedauert haben, bis Sie dabei dem Verfassungsschutz aufgefallen sind. Warum wollten Sie nach so vielen Jahren Gewissheit?

Ich habe schon viele Jahre in Deutschland gelebt und wollte mich nun einbürgern lassen.

Und dann haben Sie gefragt, ob Informationen über Sie gespeichert sind?

Genau, mein Anwalt hat es mir geraten. Ich will diesen Schwachsinn löschen lassen. Deutschland verändert sich. Ich denke, dass Rechte und Faschisten auf alle Sachen, die über einen in Behörden gespeichert sind, Zugang haben.

Wie war es für Sie, diesen Brief zu öffnen?

Ich hatte den Antrag schon fast vergessen. Die Antwort kam ja erst drei Jahre später. Dann habe ich mich geärgert, weil es so lächerlich ist, wie sie bei mir einen Linksextremismus konstruieren. Aber ich habe eine Lösung gefunden, um mit meinem Ärger umzugehen. Ich werde den Brief als Broschüre veröffentlichen und jeden Vorwurf mit einem passenden Foto und einem Kommentar drucken – damit aus diesem Dreck etwas Inhaltliches wird.

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