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Mit högschder Flexibilität

Wieder Halbfinale Für den Sieg über Italien hat Joachim Löw die DFB-Auswahl komplett am Gegner ausgerichtet. Das 7:6 nach Elfmeterschießen gibt dem Bundestrainer recht

Unbeirrt zu jeder Anpassung bereit: Jogi Löw Foto: Arne Dedert/dpa

aus Bordeaux Johannes Kopp

Jonas Hector war bereits der 18. Spieler, der an diesem Samstagabend in Bordeaux den langen Weg vom Mittelkreis zum Elfmeterpunkt in Angriff nahm. Ein höchst unangenehmer Gang, bei dem einem schon ­peinigende Gedanken kommen können.

Aber Hector gewährte im Nachhinein wie stets nur einen sehr kleinen Einblick in sein Inneres. „Man macht sich so seine Gedanken, wo man hinschießt“, erklärte er zu dieser unbehaglichen Zeitspanne, bevor er dann die DFB-Elf ins Halbfinale schoss. Das immense Interesse, das er ausgelöst hatte, war ihm unheimlich. Er hoffe, dass man seinen Kollegen auch so viele Mikrofone entgegenstreckt, sagte er. So relativierte er das Geschehen mit einer altbekannten Floskel: „Elfmeterschießen ist immer ein Stück weit Glückssache.“

Das Glück schien sich an diesem Tag nicht entscheiden zu können, ob es auf die deutsche oder die italienische Seite fallen sollte. Ein jeder der sieben Fehlschüsse weckte große Hoffnungen.

Wobei der deutsche Torhüter Manuel Neuer nicht völlig unbescheiden auch auf den Faktor Können und sein Gespür für die richtige Ecke hinwies: „Ich habe immer aufs Neue versucht, die Schützen zu lesen. Alle, die gegen mich getroffen haben, haben in die Mitte gezielt.“ Er war sich schon unmittelbar nach der Partie der historischen Tragweite des Geschehens bewusst: „Es war wirklich ein Drama. Dass so viele Schützen angetreten sind, habe ich noch nie erlebt. Das wird uns immer im Gedächtnis bleiben.“

Von dem Gespür Neuers hätte sich Bundestrainer Joachim Löw gewiss lieber nicht abhängig gemacht. Mit seiner überraschenden taktischen Umstellung auf die Abwehrdreierkette wollte er die Partie schon vorher entschieden haben. Er war guter Dinge, eine Lösung gegen die im Turnier so unerwartet aufbegehrenden Italiener gefunden zu haben. „Das war mein erster Gedanke nach dem Spanienspiel“, erklärte er. Es wäre zu gefährlich gewesen, wie bisher zu agieren. Er stärkte das Abwehrzentrum, weil die italienischen Angriffe meist von den Außenseiten initiierend ins Zentrum getragen werden. Der Plan ging jedoch nur bedingt auf.

Italiens Trainer Antonio Conte, der nach der Niederlage von der Mannschaft Abschied nahm, um zum Chelsea FC zu wechseln, fasste die Maßnahme seines Kollegen nicht zu Unrecht als großes Kompliment auf: „Die Tatsache, dass der Weltmeister seine Spielweise extra für uns geändert hat, zeigt uns, wie sie uns respektieren.“

Vielmehr kann man dies aber als ein Zeugnis von Löws Unbeirrbarkeit werten. Schließlich wurde dem Bundestrainer in den letzten Tagen permanent in Erinnerung gerufen, wie er sich gegen Italien einst im EM-Halbfinale 2012 verzockt habe, weil er sich angeblich zu sehr am Gegner orientiert habe. Löw richtete sich am Samstagabend in Bordeaux erneut nach den Italienern aus – und sah sich durch den Verlauf der 120 Minuten ­bestätigt, richtig gehandelt zu haben.

Löw sprach von einem verdienten Sieg, den man schon vor dem Elfmeterschießen hätte erzielen können. Die DFB-Elf habe zwei, drei Chancen mehr gehabt. Und bis auf die unglückliche Situation, als Jérôme Boateng im Stile eines verteidigenden Basketballers seine Hände hochreckte und den Ball mit einem Arm im Strafraum stoppte, hätte er nicht das Gefühl gehabt, dass die Italiener ein Tor erzielen können.

Bei der mehrfachen Verwendung des Konjunktivs, der Möglichkeitsform, darf der Hinweis nicht fehlen, dass es dem deutschen Team realiter nicht möglich war, die Italiener jenseits des Elfmeterpunkts zu bezwingen. Das Konzept der Risikovermeidung ging 120 Minuten lang auf, bis man dann dem völlig unabwägbaren Risiko beim Elfmeterschießen ausgesetzt war.

„Die Tatsache, dass der Weltmeister seine Spielweise extra für uns geändert hat, zeigt uns, wie sie uns respektieren“

Italiens Trainer Antonio Conte

Klar, hätte Italiens Torwart Gian­luigi Buffon nicht mit einem unglaublichen Reflex das 2:0 durch Mario Gomez verhindert, würde Löw nun als großer Stratege gefeiert. Der Grat zwischen dem Deppen der Nation und ihrem Helden ist schmal.

Und der wie bereits vor vier Jahren wieder aufkeimende Vorwurf, Löw habe sich zu sehr nach den Italienern gerichtet, ist natürlich unsinnig. Den gegen Italien ausgeschiedenen Spaniern musste man nämlich zuletzt den umgekehrten Vorwurf machen, sich zu wenig mit dem Stil der Italiener beschäftigt zu haben.

Aber jede Entscheidung, und sei sie noch so risikoscheu, birgt bei diesem so schwierig auszubalancierenden Spiel wiederum Risiken in sich. Löws Entscheidung für die verstärkte Defensive schwächte die Flexibilität im deutschen Angriffsspiel. Der wunderschön herauskombinierte Führungstreffer durch Mesut Özil war eine Ausnahmeerscheinung. Thomas Müller bekannte: „Dadurch hat wir einen Mann weniger im Mittelfeld und mussten ab und zu schon hinterherlaufen, aber das haben wir eben in Kauf genommen.“

Das Lob von Teammanager Oliver Bierhoff birgt ebenso diese Ambivalenzen: „Mir hat gefallen, dass wir nicht den Kopf verloren haben, kein unnötig großes Risiko eingegangen sind und bis zum Ende versucht haben, die Chancen zu nutzen.“ Beinahe hätte diese Geduld maßgeblich dazu beigetragen, dass die deutsche Mannschaft die Heimreise hätte antreten müssen.

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