Selbsthilfe in Griechenland: Ein Hotel nur für Flüchtlinge
Seit dem 22. April ist das ehemalige City Plaza Hotel in Athen von Anarchisten besetzt. 400 Menschen aus aller Welt dient es nun als Unterkunft.
Nour spricht leise, während gefühlt 185 Kinder – so viele leben tatsächlich hier – um sie herum toben: „Ich habe Maschinenbau studiert, aber in meiner Universität sind ständig Bomben eingeschlagen.“ Schließlich sei sie mit ihrer Mutter, ihrer Schwägerin und deren Kindern geflohen. „Sechs Mal sind wir bis zur Grenze gekommen, aber die Polizei hat uns mit Gewehren bedroht und zurückgeschickt“, erzählt Nour. Das siebte Mal hatten sie Glück.
Um nach Griechenland zu gelangen, hätten sie 1.700 Dollar pro Person an Schlepper gezahlt: „Das Boot füllte sich mit Wasser und die Schlepper hatten unsere Westen geklaut.“ Die Küstenwache habe sie gerettet. „Doch das Härteste war: hier anzukommen und nichts vorzufinden.“
Auf Umwegen hat die Familie vom City Plaza gehört, vor einem Monat sind sie eingezogen: „Wir fühlen uns hier endlich sicher.“ Neben Nour sitzt ihre Mutter am Tisch und hilft ihrem Neffen in einen Spiderman-Anzug, den sie aus der Kleiderkammer des City Plaza von „Solidarys“ – so nennen sich die Aktivisten und freiwilligen Helfer – ergattert hat. Sein Freund präsentiert einen neuen Haarschnitt, den er im improvisierten „Barbershop“ im Eingangsbereich des Hotels bekommen hat.
Nothilfe trotz Krise
Im Café herrscht ein Stimmengewirr aus Griechisch, Arabisch, Englisch und Farsi. Die 27-jährige Lina Theodorou, eine der Aktivistinnen der „Solidaritätsinitiative für Flüchtlinge“, die das 2010 in Konkurs gegangene und seitdem ungenutzte City Plaza besetzt hat, sagt: „Als die Grenzen geschlossen wurden, wollten wir ein Exempel statuieren und zeigen, dass man trotz Krise Menschen in Not versorgen kann. Wir wussten, dass dieses Hotel das notwendige Inventar wie Betten und Küchenausstattung hat.“ Also haben sie am 22. April das Hotel besetzt und für Flüchtlinge geöffnet.
Seit der Grenzschließung sind 55.000 Flüchtlinge in Griechenland gestrandet, laut UNHCR sind 60 Prozent davon Frauen und Kinder. Die staatlichen Flüchtlingslager sind überbesetzt, die Unterkünfte bestehen meist aus Zelten. Oft gibt es nur gut zehn Bäder für mehrere hundert Einwohner und nur unzureichendes Essen.
Im City Plaza leben nun 400 Menschen aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Pakistan, Palästina sowie Kurden. Die Gruppen seien anfangs unter sich geblieben, so Lina. Denn in den staatlichen Lagern wurden einige Nationalitäten benachteiligt. „Bei uns wird jeder gleich behandelt. Und das gemeinsame Arbeiten führt dazu, dass Menschen sich näherkommen.“ Alle essen zusammen im Speiseraum, und sich abwechselnde Köche bereiten jeden Tag Frühstück und 900 warme Mahlzeiten zu.
Keine offizielle Unterstützung
An den Wänden der Lobby hängen neben Putz- und Kochplänen auch Kurspläne. Solidarys geben Sprachkurse in Griechisch, Englisch, Arabisch und Farsi. Da viele Bewohner noch kein Englisch sprechen, läuft viel Kommunikation über die Übersetzer. Rabee Abotara, 25, aus Damaskus, ist einer von ihnen – und den ganzen Tag auf Achse. Soeben übersetzte er in der „Klinik“, einen zum Behandlungszimmer umfunktionierten Raum für die Kinderärztin, jetzt kommt der syrische Koch auf ihn zu: Die Familie, die heute mithelfen sollte, sei nicht gekommen. „Jeden Tag müssen einige Zimmer putzen, andere kochen“, erklärt Rabee. Wer sich nicht daran halte, müsse das Hotel verlassen.
Im Gegensatz zu den meisten hier ist Rabee als Flüchtling registriert. Mittlerweile können sich Flüchtlinge nur noch an bestimmten Tagen über Skype registrieren. Eine nervenzehrende Prozedur, die Monate dauern kann. Umso wichtiger ist es, dass sie in dieser Zeit unter menschenwürdigen Bedingungen leben.
In der Lobby werden jetzt Tische und Sofas verschoben. Gleich beginnt eine Versammlung, auf der Bewohner und Solidarys das Zusammenleben und politische Aktionen planen. Das City Plaza bekommt weder vom Staat noch von NGOs finanzielle Hilfe. Alles wird durch individuelle Spenden gedeckt. Doch trotz Krise teilt man hier. Statt Menschen in Not in Camps an den Rand der Gesellschaft zu verbannen, werden sie hier in das Herz der Stadt integriert. „Ich habe so viel gelernt“, sagt Lina, „offener sein, besser zuhören – und was gelebte Solidarität ist.“
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