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Kolumne LiebeserklärungSkinny Love

Johanna Roth
Kolumne
von Johanna Roth

Zeit für den Abschied: Nach jahrelanger Modeherrschaft tritt die Skinny Jeans den Rückzug an. Protokoll einer unglücklichen Liebe.

Dann geh doch zu deinem Model! Foto: ap

L iebe Skinny Jeans, du hast mich tausendmal belogen, weißt du das? Jedes verdammte Mal, wenn ich versuchte, meine untere Körperhälfte – von der ich eigentlich dachte, sie sei eher durchschnittlich geformt – in dich hineinzuzwängen, endete es in grober Enttäuschung.

Entweder kam ich nur bis knapp über die Kniescheibe. Oder ich fiel wie ein Brett einfach um, weil du meine Knöchel umklammert hieltest. Oder aber ich kam tatsächlich hinein – um dann festzustellen, dass ich in dir aussah, als hätte ich ein eher durchschnittlich geformtes Stoppschild verschluckt.

Kurzum, mit uns beiden verhielt es sich wie mit den meisten verzweifelt Liebenden. Ich war sehr lange sehr unglücklich mit dir. Ich wusste, dass wir einfach nicht füreinander gemacht waren. Und trotzdem hörte ich nie auf, dich anzubeten. Nicht mal dann, wenn du, an eine andere geschmiegt, an mir vorübergingst und ihr offensichtlich viel besser zusammenpasstet, als ich es mir bei uns je hätte erträumen können.

Der Grund dafür ist ebenso simpel wie gewöhnlich: Du siehst einfach unfassbar gut aus. Und: Du bist ein Arschloch.

Denn ich bin nicht die Einzige, die du geblendet hast. Tausende junger und nicht mehr ganz so junger Frauen (und Männer!) himmelten dich in den letzten zehn Jahren an. Sie gaben ihr letztes Geld für dich aus und verdrängten deine schlechten Eigenschaften, etwa das Phänomen muffin top – Hüftfett, das über den Hosenbund quillt.

Vor allem Jüngere quälten sich mit Selbstzweifeln, ob sie schlank und cool genug für dich seien. Denn sah man dich einmal an deiner besseren Hälfte – dem Supermodel –, warst du so umwerfend, dass man alles für dich getan hätte. Wie das eben so ist mit jugendlicher Liebe.

Ja, es war eine bittersüße Zeit mit dir. Aber jetzt ist es vorbei: Bei der Fashion Week gab es kürzlich eine Podiumsdiskussion, die dich zum Thema hatte. Ein deutlicheres Zeichen, dass eine Mode zu Ende geht, gibt es nicht. Auch ich bin erwachsen. Zeit für einen Neuanfang: mit Boyfriend-Jeans. Denn die meint es wenigstens ernst.

Adieu, Schönheit!

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Johanna Roth
taz-Autorin
ist freie Korrespondentin in den USA und war bis Anfang 2020 taz-Redakteurin im Ressort Meinung+Diskussion. Davor: Deutsche Journalistenschule, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag, Literatur- und Politikstudium in Bamberg, Paris und Berlin, längerer Aufenthalt in Istanbul.
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1 Kommentar

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  • Hoppla! Sollte da mal wieder ein Trend zu Ende gegangen sein, bevor ich das zugehörige Wort überhaupt gelernt hatte? Tsss! Womöglich hatte ich ein derartiges Teil ja sogar am Körper bzw. im Schrank, ohne es zu ahnen - Skandal!

     

    Die Liebe scheint wirklich eine komplizierte Sache zu sein. Eine, die für mich entschieden zu schwierig ist. Zumindest dann, wenn sie von Insidern erklärt werden muss.