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Kommentar Deutsch-russisches VerhältnisSignale der Entspannung

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Ohne Kompromisse geht es nicht. Es ist richtig, dass die SPD wieder ein Grundverständnis für die russischen Positionen demonstriert.

Annäherung scheint dringend geboten. Bei der Entfernung hört man sich ja kaum Foto: dpa

M anöver, Sanktionen und ein vergessener Jahrestag: Im Verhältnis zwischen Moskau und Berlin ballen sich in dieser Woche Jahrzehnte einer schwierigen Beziehung. Wer die Gemengelage zumindest halbwegs passend zusammenfassen möchte, kann dabei dreierlei feststellen.

Erstens: Vor 75 Jahren marschierten Deutsche in die Sowjetunion ein, auf einer Front von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Das ist ein Fakt. Zweitens: Jahrzehnte später haben Deutsche und Russen wieder ein schwieriges Verhältnis. Die SPD möchte das ändern und liegt damit richtig. Drittens: Die CDU beschimpft die Sozialdemokraten als Putin-Versteher, die östlichen Nato-Staaten sorgen sich um die deutsche Solidarität. Das ist verständlich und trotzdem falsch.

Es ist ja nicht so, dass die SPD keine Rücksicht auf die Sorgen der Osteuropäer nimmt. Für Ukrainer, Balten und Polen waren im Krieg nicht nur die Deutschen Gegner, sondern auch die Russen. Diese Erfahrung, die der Nachkriegszeit und die der vergangenen Jahre verursachen natürlich Ängste. Und die europäischen Nachbarn nehmen diese Ängste ernst: Die EU verlängert Sanktionen gegen Russland, die Nato übt im Osten und stockt ihre Truppen im Baltikum auf – all das mit Beteiligung der Sozialdemokraten.

Wer Verständnis für die eigene Per­spektive verlangt, muss Verständnis für die der Gegenseite zumindest ertragen. Nicht mehr als ein Grundverständnis für die russische Position bringt die SPD nun auf.

Der Einmarsch der Wehrmacht und die Millionen Toten in den Jahren darauf sind auch für Russen ein nationales Trauma. Dass daraus Angst vor neuen Aggressionen eines von Deutschen dominierten Europas entsteht, muss man nicht mal nachvollziehen – aber zumindest zur Kenntnis nehmen. So wie die ­Sozialdemokraten, die in diesen Tagen für jedes Signal der Abschreckung ein Signal der Entspannung nach Russland senden. Die Nato rückt nach Osten? Steinmeier warnt im Interview vor „Säbelrasseln“. Die EU verlängert Sanktionen? Gabriel fliegt zum Putin-Besuch nach Moskau.

Wer Verständnis verlangt, muss Verständnis für die Gegenseite ertragen

Solche Kompromisse befriedigen keine Seite vollends, das liegt in ihrer Natur. Ohne sie geht es aber auch nicht – und schon gar nicht auf einem Kontinent mit dieser Geschichte.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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17 Kommentare

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  • 1989/90 hat Gorbatschow die Politik der Perestroika eingeleitet. Dadurch wurde die Konfrontation Ost gegen West beendet. Das militärische Bündnis des Ostens, der Warschauer Pakt wurde aufgelöst, im Westen die Nato jedoch nicht.

    Allerdings hat die Nato der damaligen Sowjetunion zugesagt, dass die sie sich nicht nach Osten Richtung Russland ausweiten werde, das Russland dieses Verhalten als Bedrohung angesehen hat und auch heute noch so ansieht. Man vergleiche nun diese Zusage der Nato mit den tatsächlichem Handeln der Nato. Sie hat genau das Gegenteil von dem getan, was sie Russland zugesagt hat.

    Über Jahre hinweg wurde ein osteuropäischer Staat nach dem anderen Mitglied in dem Bündnis.

    Die seit 1990 junge Generation, die die Nato Zusage nicht erlebt hat, für sie waren diese Nato-Erweiterungen völlig normal. Für die russischen Bürger erhöhte sich mit jeder Aufnahme eines neuen osteuropäischen Staates die Bedrohung.

    Wie konkret die Gefahr für die Russen geworden ist, zeigte sich am Vorgehen der EU. Völlig ohne Not hat die EU die Ukraine gezwungen, sich für ein Abkommen mit der EU oder eine Zusammenarbeit mit Russland zu entscheiden. Eine klar antirussische Haltung der EU. Man hätte sich zu dritt zusammenfinden können, EU, Ukraine und Russland, um eine gemeinsame Lösung für die Probleme der Ukraine zu erarbeiten. Die EU hat aber auf einem Entweder-Oder bestanden.

    Die Ukraine hat sich für eine Zusammenarbeit mit der EU entschieden. Das hat Russland gezwungen, zu handeln um seinen Flottenstützpunkt auf der Krim nicht an die Nato zu verlieren, es wären sonst Nato-Kriegsschiffe in den russischen Flottenstützpunkt eingelaufen. Die Bedrohung, die die Russen immer wieder angesprochen haben, war wahr geworden. Es war der Versuch, sozusagen, durch die Hintertür den Stützpunkt zu übernehmen. Erreicht hat die Nato jedoch, dass in allen westlichen Medien von der Annexion der Krim gesprochen wird. Die Leute denken sofort: die bösen Russen.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Mind:

      „Allerdings hat die Nato der damaligen Sowjetunion zugesagt, dass die sie sich nicht nach Osten Richtung Russland ausweiten werde,[...] „

       

      Dies ist nachweislich falsch. Es gibt keinen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, der es der NATO verbietet sich zu erweitern bzw. der es souveränen Staaten Mittel- und Osteuropas verbietet der NATO beitzutreten.

    • @Mind:

      Das die Polen und Balten etc. ein elementares Interesse hatten in die Nato aufgenommen zu werden kann ich nachvollziehen. Die Nato Mitgliedschaft dieser Länder sollte man, wenn sie selber es nicht tun, auch nicht in Frage stellen.

       

      Die zweite Hälfte Ihres Beitrages sehe ich genau so.

      Hinzufügen möchte ich, dass das Opfer einer, zunächst vor allem durch die EU verkorksten Politik, die Ukraine ist. Das ist tragisch.

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    Viel wichtiger als die Nato-Manöverchen ist, dass die Sanktionen gegen Russland aufrecht erhalten werden. Noch immer hält Russland einen Teil der Ukraine besetzt. Solange dies der Fall ist, dürfen die Sanktionen nicht aufgeweicht werden. Steinmeier sollte sich hüten für ein paar Penunsen die territoriale Integrität der Ukraine zu verkaufen!

  • Die Nato ist vor 15 Jahren nach Osten gerückt - auf Wunsch der Länder Osteuropas und in Absprache mit Russland. Inzwischen rückt Russland nach Westen, mit militärischen Mitteln und Krieg gegen die Ukraine.

    Das Problem ist nicht, dass die SPD das Gespräch mit der russischen Regierung sucht. Das Problem ist, dass sie ein Ende der Sanktionen und eine Normalisierung der Beziehungen in Aussicht stellen, ohne dass Russland sich aus der Ukraine zurückzieht und völkerrechtliche Grundsätze wieder einhalten würde.

  • 3G
    33731 (Profil gelöscht)

    >>Momentan sieht der Kompromiss aus wie folgt: Die Sanktionen werden aufgehoben, die Krim bleibt russisch und die Ostukraine besetzt. Das ist ein Kompromiss sondern ein 100% Erfolg für Putin.

     

    ich rate ..gnade der späten geburt?

     

    entspannung fängt da an wo man russland als faktum akzeptiert. der olle w.brandt wusste das noch. und es geht auch nicht um gewinnen oder verlieren sondern um möglichst gute koexistenz. #ein-planet-und-das-alles

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @33731 (Profil gelöscht):

      Klar, wenn mensch im warmen Westen sitzt, ist es leicht das Verhalten Russlands als Faktum zu akzeptieren. Sind ja nicht unsere Kinder, die im Osten sterben!

       

      Wenn Deutschland und Russland sich über Territorialverschiebungen in Mittel- oder Osteuropa einig wären, sollten bei den Staaten dazwischen alle Alarmglocken klingeln. Die deutsch-russischen Beziehungen beginnen nicht erst mit Willy Brand.

  • Die Angst vor neuen Aggression eines von Deutschland dominierten Europas ist nichts weiter als das Ergebnis der nationalistischen russischen Propaganda, mit der die Regierung Putin die Bevölkerung vom eigenen Versagen ablenkt.

     

    Ganz ehrlich, wem will man hier weiß machen, dass irgendein russischer Entscheidungsträger tatsächlich Angst vor deutschen Aggressionen hat? Wieso man dann für russische Propaganda Verständnis zeigen sollte, ist mir nicht ganz klar.

    • @sart:

      In der Tat, der Artikel stellt die Fakten auf den Kopf. Es geht um die Anektion der Krim und den Einmarsch in der Osturkaine. Welche Rolle spielt hier eine angebliche Bedrohung durch DEU?

       

      Momentan sieht der Kompromiss aus wie folgt: Die Sanktionen werden aufgehoben, die Krim bleibt russisch und die Ostukraine besetzt. Das ist ein Kompromiss sondern ein 100% Erfolg für Putin.

  • Signale der Entspannung - finde ich gut!

    • @Waage69:

      Ein Signal der Entspannung wäre es, wenn Russland seine Truppen aus der Ukraine holt und das Land in Frieden lässt.

      • @Horst Horstmann:

        Das stimmt, das ist aber nur eine Seite der Medaille.

        Ein Signal der Entspannung wäre es daher, künftig darauf zu verzichten, die Nato bis an die russische Landesgrenze zu verschieben.

        • @Waage69:

          Ein Vorgang, der auf Initiative der mittel- und osteuropäischen Ländern geschah und geschieht, aus Furcht, es könnte mal in Russland wieder ein Größenwahnsinniger an die Macht kommen, der gerne wieder ein russischen Großreich hätte.

           

          Wie man jetzt sehen kann: Sehr vorausschauend.

          • @sart:

            Für die Lage und Sicherheitsbedürfnisse der Polen, der Balten, Ungarn etc. habe ich Verständnis.

            Deren NATO Mitgliedschaft ist Fakt und daran wird ja auch nicht gerüttelt.

             

            Man kann das "Spiel" aber auch überreizen wenn man noch weiter nach Osten geht und damit ist dann letztlich Niemandem gedient bzw. fängt es dann an richtig gefährlich zu werden.

  • Auch die Kapital- und liberalsozialdemokratische SPD-Führung der deutsch-europäischen Konzerne und deren Wirtschafts- und Monopolverbände hat ein"Grundverständnis" für die deutschen Rohstoff-Interessen an der Russischen Föderation: http://www.trend.infopartisan.net/trd0315/t260315.html

    • @Reinhold Schramm:

      Warum auch nicht. Gott sei dank könnte man sogar sagen: ohne die tiefen wirschaftlichen Verpflechtungen zwischen Ost und West wären wir einem großen Krieg schon wieder gefährlich nahe.

  • Mit der Säbelrasselei der NATO ist nichts zu gewinnen. Für Deutschland ist die Spionage seiner Verbündeten ein größeres Problem als die Frage, wer jetzt mal wieder über die Krim herrscht.