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Tierische Wende

DDR-Forschung Wo die Arbeitslosigkeit versteckt war, wie Fischadler, Biber und Kolkraben im Osten überlebt haben, wie Wissenschaftler weggegauckt werden und wo es heute Fahnenweihen gibt

Osttierpark Friedrichsfelde: Eine Nilgau-Antilopenmutter schaut in die Kamera, ihr Kind woandershin Foto: dpa

Von Helmut Höge

Übrigens wurde der für die DDR „tödliche Mauerfall“ („Feeling B“) nicht im DDR-Politbüro beschlossen, sondern von den USA und der UdSSR. Das Politbüro konnte ihnen nur die Selbstveröffentlichung der „sofortigen Maueröffnung“ abringen. Ich musste damals ein paar Mal in den Tiergarten und sah mehrmals, was mir erst später zu denken gab: Schon vier Tage vor Schabowskis TV-Auftritt hatte der US-Sender CBS angefangen, eine Aufnahmebühne an der Mauer vor dem Brandenburger Tor aufzubauen – und konnte dann „just in time“ loslegen. Von der Jungen Union standen ihnen Jubelnde zur Verfügung: Sie kletterten auf die Mauer, tanzten, tranken Sekt und grölten reaktionäres Liedgut.

In der ostdeutschen Betriebsräte-Initiative wurde uns 1992 klar: Die DDR ist nicht an zu viel Unfreiheit, sondern im Gegenteil an zu viel Freiheit – im Produktionsbereich nämlich – zugrunde gegangen. Dem Betriebsratsvorsitzenden des Eisenacher Opel-Werks, Harald Lieske, fiel dazu sofort seine eigene Instandsetzungs-Abteilung im früheren Automobil-Werk Eisenach ein, in der bis zu zehn Leute beschäftigt waren, aber nur für drei Arbeit da war.

Heute gehe die Tendenz bei der nach produktivsten japanischen Fertigungsmethoden funktionierenden Opel-Fabrik eher in die entgegengesetzte Richtung: Die sechs- bis siebenköpfigen „Teams“, mit ihren von außen bestimmten „Team-Sprechern“, die nebenbei noch als Springer fungieren, sollen durch die Selbstorganisation ihrer Arbeitspensa nebst ständigen Verbesserungsvorschlägen kontinuierlich die Schnelligkeit (Produktivität) steigern – bei mindestens gleichbleibender Qualität.

Schon jetzt seien die „Teams“ für das Schichtpensum oft zu klein. Zwar ziehe jeder mal einen mit, der an einem Tag verkatert ist, zu Hause Probleme hatte oder ganz einfach mal einen schlechten Tag erwischte. Aber jemand, der dauernd zu spät kommt oder dessen Einsatzfreudigkeit kontinuierlich nachlässt – und so die Team-Leistung drückt, wird von seinen Kollegen rausgedrängt. „Da können wir dann auch nichts mehr machen“, seufzt der Betriebsrat.

Zwei bei Narva ausgeschiedene und von Osram am Band eingestellte Arbeiterinnen klagten: „Nie hört der Nachschub auf!“ Die Teams hießen früher Brigaden und sollten zusammenhalten. Bekanntlich waren die Produktionsbetriebe so etwas wie „Lebensmittelpunkte“ für die Werktätigen, und das waren wegen der „Arbeitspflicht“ quasi alle, trotzdem mangelte es – scheinbar paradox – in der DDR an allen Ecken und Enden an Arbeitskräften.

Großflugtage der Treuhand

Die Hamburger Bankierstochter Birgit Breuel sah das als Treuhandchefin natürlich ganz anders, indem sie von einer in den DDR-Betrieben bloß „versteckten Arbeitslosigkeit“ sprach (um die von ihr verfügten Massenentlassungen – „Großflugtage“ von den Treuhandmanagern genannt – zu begründen). Der DDR-Dramatiker Heiner Müller erklärte lakonisch: „Wer Arbeitslosigkeit hat, braucht keine Stasi!“

Der Münchner Ökologe Josef Reichholf fragt sich in seinem Buch „Mein Leben für die Natur“ (2015), warum in der ökologisch so versauten DDR mit ihren vergifteten Flüssen und der vergifteten Luft im „mitteldeutschen Chemie-Dreieck“ trotzdem noch jede Menge Fischadler, Biber, Kolkraben und andere Tiere lebten, die in der BRD längst verschwunden waren – trotz aller Umweltschutzgesetze, Filter- und Kläranlagen, Naturschutzgebiete und zig Millionen DM teuren Renaturierungen dort. Diese Frage wirft Reichholf auch in Interviews und bei sonstigen Gelegenheiten auf. Ich habe jedoch nicht den Eindruck, dass er sie bisher bündig beantwortet hat.

Wenn man hingegen einen Ostler, irgendeinen, fragt, wie das möglich war, kommt sofort die Antwort: „Kein Geld!“ Gemeint ist damit, dass nicht alles, flächendeckend „kultiviert“ bzw. „verschönert“ werden konnte.

Im Friedrichsfelder Tierpark, dem ersten VEB in der DDR, in dem sich 1989 ein Betriebsrat gegründet hatte, wurden nach der „Übernahme“ als erstes Stechuhren (aus Schwaben auch noch, kein Witz!) für die Mitarbeiter installiert, sodann ein Hundeverbot ausgesprochen. „Das konnten wir aber abschmettern“, erklärte mir die Betriebsratsvorsitzende. Als Nächstes versuchte man, die wertvollsten Tiere in den Westen, den Zoologischen Garten, zu überführen. Bei den nicht besonders gut untergebrachten Menschenaffen sahen das die Tierpark-Beschäftigten ja noch ein, aber als auch noch die berühmte „Schlangenfarm“ rübersollte, und zwar nicht in Schauterrarien, sondern ins Magazin, organisierte der Betriebsrat und der Tierpark-Freundeskreis eine Protestbewegung, die sich gewaschen hatte, nicht zuletzt, weil der Tierpark ein „Aufbauwerk“ war, an dem sich einst viele Ostberliner – mit Schaufel und Spitzhacke – persönlich beteiligt hatten. Als sich dann auch noch der Betriebsrat des West-Zoos mit ihnen solidarisierte, nahm man wieder Abstand vom „Schlangenraub“, wie Die Zeit das nannte.

„Man“, das waren damals alles Ku’damm-Geschäftsleute, -Banker und -Senatsbeamte gewesen, die im Vorstand der zusammengefassten zwei Einrichtungen saßen. Der Zoo-Garten selbst befand sich zusammengedrückt mitten in der Innenstadt, der Tier-Park etwas außerhalb, anfänglich war er der weltweit größte gewesen. Kurz vor der Wiedervereinigung prophezeite sein erster und letzter Tierparkdirektor Professor Dathe: „Der Tierpark wird wahrscheinlich zu Gunsten des Zoos auf einen Hirschpark oder eine Art Rückhaltebecken reduziert werden.“ Um einen solchen „Rückbau“ zu verhindern, wurde die „Stiftung Hauptstadtzoos“ gegründet. Aber schon 2011 stellte Eberhard Diepgen, der im Vorstand der Stiftung sitzt, im Flußpferdhaus des Zoo-Gartens eine weitere Stiftung – nur für den Zoo – vor, mit den Worten: „Wir wollen dem Bürger die Chance geben, sich zu beteiligen. Die Stiftung soll eine Art Bürgerinitiative sein. Ein weiterer Schritt in die Zukunft.“

Traurig ist auch, dass nach der Niederlage so viel rückwärtsgewandtes Zeug im Eichsfeld passierte: Schützenvereinsgründungen, Traditionsumzüge und sogar FahnenweihenPastorin Christine Haas übe die Zeit nach dem Streik der kali-Bergarbeiter

Ohne Tiere kein Zoo

Er setzte sich dann auch noch in den Vorstand der Zoo-Stiftung. Zwar war klar: Sie sollte 22 Millionen Euro einsammeln für drei neue Tierhäuser. Aber warum das nicht auch durch die bereits bestehende Stiftung geschehen konnte, wurde nicht geklärt. Der Aufsichtsratsvorsitzende Bruckmann, Vorstandsvorsitzender der „Berlinwasser Holding AG“, gab abschließend nur noch zu bedenken: „Ohne Tiere gibt es keinen Zoo.“ Der Tierpark in Friedrichsfelde hatte einst oben auf der höchsten Erhebung seines Geländes eine Voliere mit zwei Kolkraben, sie befinden sich inzwischen weiter unten in einer anderen Voliere.

Als ich im Tierpark anrief und fragte, ob ich die für die Raben zuständigen Tierpfleger sprechen könnte, wurde ich mit dem Kurator verbunden, der meinte, da müsste ich die Pressesprecherin anrufen. Diese sitzt im Westen – im Zoo, sie antwortete mir auf meine Mail-Anfrage: „Da unsere Tierpfleger primär mit ihren Tieren zu tun haben, würde ich Sie bitten, uns Ihre Fragen per Mail zu schicken.“

Der Leipziger Philosoph Peer Pasternak berichtete auf einer Wissenschaftskonferenz in Ostberlin, seine Uni wurde evaluiert und dann gezwungen, 124 Stellen abzubauen. Als keiner ging, wurden alle Mitarbeiter auf Stasi-Kontakte geprüft – und danach genau 124 „rausgegauckt“. In seiner Doktorarbeit über die Hochschulkarrieren von West-68ern nach der Wende im Osten schreibt er, dass viele dabei nicht davor zurückschreckten, im Rahmen ihrer „Transformationsforschung“ in der „Politikberatung“ Drittmittel zur „Aufstandsbekämpfung“ zu akquirieren.

Damals begannen gerade die Bischofferöder Kalibergarbeiter ihren Hungerstreik. Der DDR-Dichter Volker Braun hat in seinem letzten Erzählband „Die hellen Haufen“ ausgemalt, wie eine Eskalation dieses Arbeitskampfes ausgesehen hätte, tatsächlich endete er jedoch mit einer Niederlage: Die profitable Grube wurde zugunsten der Westkonkurrenz „Kali & Salz“ geschlossen. Die in der Erzählung von Braun vorkommende Pastorin Christine Haas, die sich an den Aktionen der Bergleute beteiligte, meinte mir gegenüber: „Während der Auseinandersetzungen, so anstrengend sie waren, ging es fast allen gut. Danach fiel alles auseinander. Viele wurden krank, vier starben sogar. Traurig ist auch, dass nach der Niederlage so viel rückwärtsgewandtes Zeug im Eichsfeld passierte: Schützenvereinsgründungen, Traditionsumzüge und sogar Fahnenweihen. Zum Glück hat man so etwas noch nicht an mich herangetragen.“

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