Geplantes Heim mit Zwangsmaßnahmen: Fesseln inklusive
In einem Papier über ein geplantes Kinderheim erklärt Hamburg Zwangsmaßnahmen für rechtens – auch die Fixierung durch Klettbänder.
„Wir kommentieren das Papier nicht“, sagt Sozialbehörden-Sprecher Marcel Schweitzer. Es handele sich um ein erstes Papier aus dem Jahr 2013, das im Hamburger LJHA bereits im April 2014 „intern diskutiert“ worden sei. Gleichwohl räumt er ein: „Das Eckpunktepapier wird Hamburgs Grundlage für die Gespräche mit Bremen.“
Das seit 26. Mai in der Transparenzdatenbank als Anhang eines Protokolls publizierte Papier liest sich so, als ob die Behörde an die Praxis der Heime Feuerbergstraße und Haasenburg anknüpft. So heißt es zum Beispiel beim Punkt „Sicherheitskonzept“: „Zwangsmaßnahmen sind nur zur Durchsetzung des Erziehungsrechts zulässig.“ Sie sollten zwar „keinen Strafcharakter haben“, aber „der Neutralisierung von Fehlverhalten dienen“.
Schon diese Sätze erzeugen Diskussionsbedarf, legen sie doch nahe, dass Eltern Zwangsmaßnahmen erlaubt sind. Und dass es „Fehlverhalten“ von Kindern gibt, das diesen Zwang rechtfertigt.
Üblicherweise dient ein Sicherheitskonzept nur der Abwehr von Selbst- oder Fremdgefährdung. Der Begriff „Fehlverhalten“ ist viel weiter gefasst und lässt mehr Deutungsspielraum zu. Etwa, dass mit Zwang in Form von eines Griffs an die Schulter reagiert werden dürfte, wenn Betreute nicht am verbindlichen Tagesablauf teilnehmen. So zu lesen im Abschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Feuerbergstraße (PUA), der von 2005 bis 2008 die Zustände in dem damals von Hamburger Landesbetrieb Erziehung (LEB) betriebenen Heim untersuchte.
Da „Zwangsmaßnahmen“ mit Grundrechtseingriffen verbunden seien, so weiter im Eckpunkte-Papier, sei es „empfehlenswert“, eine Übertragung des Erziehungsrechts von den Sorgeberechtigten „auch im Hinblick auf Zwangsmaßnahmen vorzunehmen“. Sprich: Eltern sollen dem Heim eine Zustimmung erteilen.
Bremen und Hamburg planen ein Heim mit 32 Plätzen. Das Haus soll wie eine Burg mit Innengrünfläche zur freien Bewegung gebaut sein.
Geplant ist ein Drei-Phasen-Modell. In den ersten sechs Wochen dürfen die Kinder gar nicht raus.
Als Zielgruppe nennt das Eckpunkte-Papier 13 Kriterien. Kandidaten sind Kinder ab zwölf Jahren, die auffällig wurden, zum Beispiel Gegenstände zerstören, Schule verweigern oder auf der Straße leben.
Bremen möchte straffällige junge Flüchtlinge unterbringen.
Dabei ist strittig, ob Eltern das dürfen. Die Behörden-Autoren glauben sich im Recht. „Nicht vom Erziehungsrecht gedeckt“, so schränken sie ein, seien Maßnahmen, die verhindern sollen, dass ein Kind bei Aufenthalten außerhalb des Heims wegläuft. Das „erkennbare Tragen von Klettbändern“ zum Beispiel, stelle außerhalb des Heims eine „entwürdigende Maßnahme“ dar. Innerhalb eines Autos aber sei dies ausnahmsweise zulässig, etwa, wenn die Gefahr bestehe, dass das Kind ins Fahrgeschehen eingreift.
Nun kann man diese Gefahr bei einem jungen Menschen, der gegen seinen Willen in ein Heim gefahren wird, immer unterstellen. Die taz fragte, ob die Klettfesseln stets bei Autofahrten angelegt werden sollen. Die Frage wird von der Behörde nur „grundsätzlich“ beantwortet. „Klettbänder werden keinesfalls regelhaft eingesetzt“, sagt Schweitzer. Wenn aber andere Maßnahmen zur Beruhigung einer Situation fehlschlügen, und die Gefahr bestünde, dass der Betreute sich oder andere verletzt, könnten Klettbänber „als letztes Mittel erforderlich sein“.
Die Auskünfte legen die Frage nahe, ob die Fesseln nicht nur im PKW, sondern auch im Heim eingesetzt werden sollen, wie es schon einmal Praxis war. Der Skandal um die Feuerbergstraße, mit dem sich besagter PUA beschäftigte, wurde durch Berichte zweier Jungen ausgelöst, die sich über Misshandlung beschwerten. Man habe ihm die Füße „mit Klettband verschnürt“, sagte ein 15-Jähriger damals.
Klettbänder waren Bestandteil der Feuerbergstraße, das erwähnt der LEB in seinem Abschlussbericht. Sofern Mitarbeiter in Ausnahmesituationen nicht in der Lage gewesen wären, einen Jugendlichen mit Handgriffen zu halten, wurden „kurzfristig Klettbänder eingesetzt“, heißt es dort. Mit denen wurden „die Hände und ggf. zusätzlich auch die Füße fixiert“. In einer Dienstanweisung hieß es: „Jede Gruppe hält ein Klettband für den Notfall bereit.“
Der von damals von der CDU dominierte PUA führt in seinem Bericht zahlreiche Klettband-Einsätze auf. Er fand die Fesselung nur skandalös, wenn diese von Security-Männern ohne Beisein eines Pädagogen geschah. Die Diskussion könnte heute eine andere sein. Der Jugendhilfeausschuss in Bremen will sich mit dem Heim nach der Sommerpause beschäftigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen