piwik no script img

Die Choreographie weiblicher Arbeit

Proletarischer Feminismus Mit „Women at Work“ präsentiert das Oldenburger Edith-Russ-Haus eine janusköpfige Ausstellung, die auf sehr poetische Art die Benachteiligung arbeitender Frauen und deren Wegrationalisierung anprangert

Druck, sexuelle Belästigung und wenig Rechte: koreanische Textilarbeiterinnen in Im Heung-Soons „Factory Complex“ Foto: Im Heung-Soon

von Radek Krolczyk

Eine alte und eine junge Frau begegnen sich in einem noch im Bau befindlichen Gebäude in Rio de Janeiro. Die erste, eine Schauspielerin, wurde berühmt durch Rollen in brasilianischen Telenovelas. Während der Militärdiktatur war sie dann im bewaffneten Kampf aktiv, später in der Arbeiterbewegung. Die Machthaber bestraften sie für ihr Engagement mit mehreren Jahren Haft.

Die zweite Frau wuchs in einer Favela in Rio auf und wurde durch ihre feministischen Funk-Carioca-Songs bekannt. Sie besingt darin sehr klar ihre sexuellen Erfahrungen. Die britische Künstlerin Wendelien van Oldenborgh brachte die beiden 2012 für ihren Film „Bete & Diese“ zusammen.

Zu sehen ist der Film in der Ausstellung „Women at Work“ des Oldenburger Edith-Russ-Hauses. Die Schau zeigt Werke mehrerer Künstlerinnen und Künstler, die sich mit weiblicher Arbeit befassen. Dabei spielt nicht nur die Arbeit selbst, sondern auch der Arbeitskampf eine wichtig Rolle.

Die beiden Frauen aus Oldenborghs Video, Bete Mendes und Diese Tigrone, bleiben – bei aller Verschiedenheit – Vertreterinnen derselben politischen Fraktion: eines proletarischen Feminismus. Aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung als Künstlerinnen sind sie gleichzeitig deren Sprachrohr.

Die 1962 geborene Videokünstlerin, die beide zusammenbrachte, interessiert sich für die Geschichte linker Kämpfe und ihrer Bedeutung heute. Viele ihrer Videos gestaltet sie als Reenactment: Sie inszeniert historische Kämpfe mit heutigen Protagonisten. In „Bete & Diese“ wird Betes Kampf mit Jetztzeit aufgeladen, um es mit Walter Benjamin zu sagen: Die Kämpfe sind nach wie vor aktuell.

Der Südkoreaner Im Heung-Soon wiederum ist der einzige männliche Künstler. Präsentiert wird sein Film „Factory Complex“, mit dem er 2015 den silbernen Löwen der Biennale in Venedig gewann: Zu sehen sind Interviews mit koreanischen Textilarbeiterinnen sowie Pflegerinnen und Flugbegleiterinnen. Die Frauen sprechen sehr offen über den Druck, dem sie ausgesetzt sind, über die Armut trotz Arbeit, über den Zwang, immer zu lächeln und über sexuelle Übergriffe. Archivbilder erzählen zudem von den Werkkämpfen der südkoreanischen Näherinnen der 1960er-Jahre.

Diese alten Bilder wiederholen sich in aktuellen Aufnahmen aus Kambodscha. Man sieht rennende Demonstrantinnen, prügelnde Polizisten, kreisende Helikopter. Heung-Soon baut zwischen die dokumentarischen Szenen fiktives Material. Da steht zum Beispiel eine junge Frau allein und mit verbundenen Augen auf dem bepflanzten Dach eines Hochhauses. Zwei Frauen – den Kopf in weißen Stoff eingepackt – drücken zärtlich ihre Wangen aneinander. All diese Episoden sind nicht unbedingt symbolisch. Sie knüpfen an die realen Bilder an und tragen sie in eine andere Welt – und umgekehrt.

Verlassen: „Sofa-Seller“ von Olga Chernysheva, geboren 1962 in Moskau Foto: Marcus Schneider

Bei der Berlinerin Annette Rose dagegen gibt es zwar noch weibliche Arbeit, aber keine Arbeiterin mehr. In ihrer „Enzyklopädie der Handhabungen“ untersucht sie in Film und Bild Choreografien weiblicher Arbeit. Wand- und Bodenprojektionen zeigen die Anspannung der Handmuskulatur beim Nähen. Die stark beanspruchten Punkte sind rot markiert und wandern wie Sternschnuppen.

An zwei gegenüberliegenden Wänden sieht man ein riesiges Rad, an dem Greifarme Webarbeiten fertigen. Die Maschine imitiert eine komplizierte Arbeit, die traditionellerweise Frauen erledigen. Die Maschine erlernt ihre Handgriffe von den Arbeiterinnen – bevor sie sie überflüssig macht.

Der Autor ist Betreiber der Galerie K’ in Bremen (www.k-strich.de).

„Women at Work“: bis 24. Juli, Edith-Russ-Haus, Oldenburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen