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Antifaschismus in SachsenMit viel Geduld die Pegida bekämpfen

Albrecht von der Lieth, Sprecher des Bündnisses „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“, erzählt vom Widerstand gegen die Rechten.

„Die Auseinandersetzung mit Pegida soll nicht nur auf der Straße stattfinden“ Foto: dpa

Albrecht von der Lieth, Sprecher des „Bündnis Dresden Nazifrei“. Student d. Theologie, arbeitet seit einem Jahr im sozialen Bereich. Aufgewachsen u. Schulbesuch in Cottbus u. Dresden. Wollte eigentlich Gitarre studieren, dann aber Aufnahme eines geisteswissenschaftl. Studiums. Auslandsaufenthalte in Israel u. Graz. Danach Studium d. Theologie in Münster. Nach d. Abschluss Übersiedelung nach Dresden, dort Arbeit an seiner Dissertation u. politisches Engagement gegen rechte Aktivitäten. Er wurde 1979 in Berlin-Friedrichshain (DDR) geboren, sein Vater ist Bauingenieur, die Mutter Sozialpädagogin.

Albrecht von der Lieth ist von erfreulicher Pünktlichkeit, hat die erbetenen schriftlichen Materialien mitgebracht und beginnt nach einem Schluck Tee ruhig und sortiert von seiner politischen Arbeit zu erzählen:

„Anfangs habe ich mich jährlich am 13. 2. an den ‚Februar Blockaden‘ in Dresden zur Verhinderung der Naziaufmärsche beteiligt – anlässlich dieses Gedenkdatums gibt es ja immer Aufmärsche. Also ich ging da hin, aber sozusagen nicht konzentriert, eben immer wenn es passte. Das war relativ unverbindlich. In diesem Kontext der Blockaden ist dann im Oktober 2009 das Bündnis ‚Nazifrei – Dresden stellt sich quer‘ entstanden. Im Prinzip sozusagen als Angebot der Radikalen an die bürgerliche Gesellschaft. Letztlich als Versuch, mit einem breiten gesellschaftlichen Bündnis einen entsprechend großen und wirksamen Widerstand gegen rechts zu organisieren.

2010 gab es die erste Blockade. Meines Wissens war das zugleich die erste Blockade von Naziaufmärschen, also sozusagen eine Dresdner Errungenschaft, die sich etabliert hat inzwischen. Nein, ich war kein Gründungsmitglied. Ich habe aber im Laufe der Zeit mit einiger Entrüstung festgestellt, dass Leute auf einmal anfingen, noch mehr zu marschieren, und zwar auch außerhalb dieser jährlich wiederkehrenden Aufmärsche.

Im Oktober 2014 erschien Pegida. Ich habe das erst gar nicht so richtig ernst genommen, dachte – wie so viele Leute –, das sind irgendwie harmlose Spinner. Dann wurde aber schnell klar, dass die gefährlich sind und man dagegen Widerstand leisten muss. Mir war das eigentlich gar nicht recht, denn ich musste sozusagen jede Woche mindestens einen Tag von meiner Diss opfern.

Einen Dialog führen

Die URA (undogmatische radikale Antifa, Anm. G.G.), die haben in den ersten vier Wochen damals den Protest gemacht gegen Pegida. Die haben von Anfang an die Gefahr erkannt. Und ein paar Wochen später hat Dresden Nazifrei beschlossen, wir müssen was tun und darauf hinweisen, dass hier was brodelt. Wir müssen einen Dialog führen, zwischen den antirassistischen, weltoffenen Akteuren und Akteurinnen in der Stadt, die bereit sind, auch gegen Pegida und für die geflüchteten Menschen aktiv zu werden.

Ich bin dann fast zufällig bei einem Montagsprotest gewesen, den Dresden Nazifrei organisiert hatte. Und irgendwie ist mitten während der Demo die ganze Kommunikationsstruktur zusammengebrochen. Keine Ahnung, was da schieflief. Mit einem Mal rannten Gruppen von Menschen konfus durcheinander. Ich schrieb danach eine Mail an Dresden Nazifrei und habe meine Hilfe angeboten: Falls ihr jemanden braucht, der Twitter bedient oder so, dann mache ich das. Meldet euch.

Albrecht von der Lieth: „Im Oktober 2014 erschien Pegida. Ich habe das erst gar nicht so richtig ernst genommen“ Foto: Gabriele Goettle

Tatsächlich kam bald die Antwort: Ich soll doch einfach mal hinkommen. Und so fing das an, dass ich da reingerutscht bin. Jedenfalls habe ich mich dann im Bündnis engagiert, u. a. in der Pressearbeit, habe auch mitgeschrieben, und weil ich im Prinzip relativ viel Zeit zur Verfügung stellen konnte, habe ich mich um Dinge gekümmert, die sonst liegen geblieben wären. Und später war es dann so, dass der bisherige Sprecher ausgeschieden ist und ich seine Stelle übernommen habe.

Am Anschwellen der Pegida-Teilnehmerzahlen zeigte sich früh, dass das nicht so bald im Sande verlaufen wird. Am Anfang waren es wenige Hundert, aber es ging fix in die Tausenderzahlen. So um die Jahreswende 2014/15 waren es regelmäßig 10.000 und mehr. Ich glaube, die höchsten Zahlen waren so um 25.000. Neonazis waren von Anfang an mit dabei, aber damals fielen sie wegen der vielen Teilnehmer optisch nicht so auf. Das wurde auch relativ offen kommuniziert, dass sie Skins als Ordner benutzen wollen, als Schutz gegen die, wie sie sagten, ‚gewaltbereite Antifa‘.

Die Zahlen sind allerdings von der Polizei und waren relativ unzuverlässig. Das hat die Gruppe ‚Durchgezählt‘ gezeigt – eine wissenschaftliche studentische Forschungsgruppe der Uni Dresden, die seit März 2015 Zählungen macht und zu anderen, wesentlich niedrigeren Ergebnissen kam. Daraufhin war die Polizei beleidigt und hat gesagt, sie zählt nicht mehr.

Männer um die 50 aus der Mittelschicht

Aber ich denke, ob es jetzt 20.000 sind oder 25.000, ist eigentlich nicht der Punkt. Es gab diese Überlegung: Für jeden Demonstranten sitzen 10 Gesinnungsgenossen zu Hause. Und wenn man das bedenkt, dann sind ja 10.000 schon ein riesiges Problem, selbst 3.000 sind mehr als genug! Inzwischen hat es sich eingependelt auf zwei- bis dreitausend Teilnehmer. Im Frühsommer werden es erfahrungsgemäß weniger, wir vermuten, es liegt daran, dass mancher um diese Zeit lieber im Garten ist, zum Grillen oder so. Voriges Jahr wurden es im Herbst dann wieder mehr.

Es hat sich auch, was die Teilnehmer betrifft, etwas umgeschichtet. Am Anfang gab’s noch sozusagen den Opa, der gegen die GEZ, die Gebühren-Einzugszentrale, und ihre Zwangsgebühren protestiert hat. Aber viele von diesen zu Recht frustrierten Menschen sind im Laufe der Zeit weggeblieben, weil ihnen das zu sehr in eine unliebsame Richtung ging. Altersmäßig sind es jetzt weitgehend Männer so um die 50, durchaus in Arbeit, sozusagen Mittelklasse, mit Eigenheim und Auto vor der Haustür. Relativ wenige Frauen sind zu sehen.

Also übrig geblieben ist sozusagen der harte Kern, letztlich Leute, die kein Problem damit haben, dass irgendwelche Redner jeden Montagabend ihre rassistische Hetze und ihr Nationalitäts- und völkisches Ideologiegeschwurbel ins Mikro, in ihre Ohren brüllen. Das ist eine endlose Leier, da kommt nichts Neues mehr.

Jeden Montag sind sie wieder da

Es gibt so eine Art Abstumpfungsprozess. Auf allen Seiten. Aber das ändert nichts, jeden Montag sind sie wieder da. Voriges Jahr haben wir uns gesagt, es hat ja keinen Sinn, dieses Ritual jede Woche zu vollziehen, wir haben alles gesagt dazu, alles getan dagegen. Die, die da jetzt noch jeden Montag in der Stadt rumrennen, sind für kein Argument mehr erreichbar. Deshalb war der strategische Sinn eines wöchentlichen Protests, der beim politischen Gegner absolut nichts ausrichtet, für uns nicht mehr zu erkennen. Jetzt noch mehr Protest zu machen unsererseits, hätte ihnen nur noch mehr Aufmerksamkeit gegeben.

Und da haben wir uns entschlossen, wir stellen vorerst mal den Montagsprotest ein und widmen uns den Flüchtlingsheimen. In dieser Zeit nahm die Zahl der Übergriffe auf die Heime ständig zu. Naziaufmärsche zu blockieren, das war zwar unser Markenzeichen sozusagen, unser Aktionskonsens, es war das, was wir können, wofür wir eine Infrastruktur haben, aber das hat leider nicht gefruchtet. Also mussten wir uns Gedanken machen. Totschweigen war auch keine Option, denn das Problem existiert ja weiterhin. Also, was tun? Und wir sagten uns, wir brauchen Hilfe von außen, müssen irgendwie auf neue Formen des Widerstands kommen, und so entstand die Idee einer Strategiekonferenz.

Neue Vernetzungen

Die Strategiekonferenz war im Januar 2016 im Hörsaalzentrum der TU. Wir hatten als Teilnehmer ganz unterschiedliche Gruppen und Personen eingeladen. Also eben nicht sozusagen die Antifa-Gruppe aus Dortmund oder so, sondern lokale Bündnisse vor Ort. Natürlich niemanden von Pegida und dergleichen, wir sprechen nicht mit Rassisten! Aber sonst luden wir ein, was es so an gesellschaftlichen Initiativen gibt in Dresden, auch kirchliche Verbände, Sportvereine und sogar Wirtschaftsverbände – weil ja immer gesagt wird, Pegida wirkt sich negativ auf die Hotelübernachtungen aus. Die kamen natürlich nicht! Auch kaum Rückmeldungen von den Kirchengemeinden.

Es gibt relativ viele Menschen, die bereit sind, sich für etwaszu engagieren. Die Bereitschaft zu einem Engagement gegen etwas ist wesentlich geringer

Die Sportvereine haben ihr Couscous-Essen gemacht. Und die Wirtschaft gründete das so genannte City Management, eine findige Initiative von Geschäftsleuten, um die Shopping-Flaute in der Innenstadt zu bekämpfen. Unter dem Slogan ‚Dresden geht aus‘ soll nicht etwa demonstriert werden, nein, die Dresdner sollen künftig jeden Montag von 17 bis 20 Uhr mit speziellen Events, freiem Streichquartett und Rabattaktionen usw. dazu verlockt werden, zum Shoppen anzumarschieren, um den zwanzigprozentigen Umsatzverlust wieder auszugleichen.

Und ansonsten, die Bündnisse – besonders die Willkommensbündnisse, waren natürlich auf dem Kongress. Es bildeten sich viele Workshops, es ergaben sich spannende Diskussionen, neue Vernetzungen. Also alles in allem war der Kongress sehr erfolgreich. Aber es zeigte sich für mich, dass es relativ viele Menschen gibt, die bereit sind, sich für etwas zu engagieren, aber die Bereitschaft zu einem Engagement gegen etwas, die ist wesentlich geringer.

Das Problem ist eben, dass man beim Versuch einer stadtweiten Vernetzung natürlich immer auch mit Gruppen zusammen arbeiten muss, die nun nicht gleich das System stürzen wollen. Es gibt sehr viele, auch ganz konservative Gruppen und Einzelpersonen, die eine andere Vision von Gesellschaft haben als wir, die sich aber energisch für die Geflüchteten einsetzen. Die kommen dann plötzlich selbst unter Generalverdacht, werden als linke Chaoten tituliert, und das ist für die ein großes inneres Problem. Sie wollen einfach nur anderen Menschen in Not helfen. Und das ist vollkommen in Ordnung. Für uns greift das aber zu kurz, auch in Bezug auf das Problem Pegida.

Analyse von Pegida

Die Strategiekonferenz hat – grob zusammengefasst – für uns am Ende Folgendes ergeben: Es stand ja das jährliche Gedenken zum 13. 2. bevor, in diesem Zusammenhang wurde unser Erfolgskonzept, der ‚Mahngang Täterspuren‘, sozusagen wissenschaftlich erweitert. Zusammen mit einem Dozenten der Evangelischen Hochschule für Soziales wird ein Konzept erarbeitet für ein Studium-Generale-Angebot, das die Studenten mit dem Thema ‚Mahngang Täterspuren‘ vertraut macht. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie Vernetzung zu ersten konkreten Ergebnissen führen kann.

Und was unsere zukünftige Arbeit betrifft, so kristallisierte sich kurz Folgendes heraus: Die Auseinandersetzung mit Pegida soll nicht nur auf der Straße stattfinden. Zwar bleibt unser Anspruch auf jeden Fall weiterhin, Naziaufmärsche zu blockieren. Woran es aber bisher fehlte, ist eine genaue inhaltliche Analyse von Pegida und der Tatsache, dass sie ausgerechnet in Dresden derart groß werden konnte. Daran müssen wir arbeiten. Sehr wichtig auch, wir müssen Bildungsarbeit machen.

Generell muss sich das Bündnis durch breitere Vernetzung in der Stadt ausweiten und seine Kommunikation und seine Strukturen besser organisieren. Auch soll eine Demo-Beobachtungsgruppe eingerichtet werden, eine Gruppe von Leuten, die dafür sorgt, dass auch Polizeiverhalten konsequent und objektiv dokumentiert wird. Und nicht zuletzt soll der Schutz von Flüchtlingsheimen gegen jegliche Art von rechten Übergriffen verstärkt werden.

Wasserfeste gelbe Aufkleber

Damit hatten wir ja schon Erfahrungen gesammelt. Freital war der erste große Eklat, das war Mitte/Ende Juni 2015. Dort wurde im Prinzip von jetzt auf nun, mit einer Ankündigungsfrist von drei Tagen, in vollkommen chaotischer Art und Weise eine Erstaufnahmeeinrichtung für 350 Flüchtlinge etabliert. Man nutzte dafür das seit Kurzem leerstehende Hotel Leonardo am langen Rain, auf einem Hügel über der Stadt. Dagegen erhob sich dann in Freital massiver Protest. Typisch, die wasserfesten gelben Aufkleber die man überall, auch am Bahnhof platziert hat, sie tragen folgenden Text: ‚BITTE FLÜCHTEN SIE WEITER! ES GIBT HIER NICHTS ZU WOHNEN! REFUGEES NOT WELCOME!‘

Das ist nur eine der zahlreichen fremdenfeindlichen Aktivitäten ‚besorgter Bürger‘. Freital ist eine recht große Kreisstadt, mit knapp 40.000 Einwohnern, südwestlich von Dresden, 10 S-Bahn-Minuten entfernt. Es gibt dort mehrere größere Arbeitgeber, z. B. Stahlindustrie, ein Ziegelwerk usw. Freital trägt seinen Namen übrigens nicht zu Unrecht, es war mal Anfang des 20. Jahrhunderts, zu Beginn der Weimarer Republik, sozusagen eine Sozialistenhochburg. Man führte zahlreiche soziale Errungenschaften ein, besonders in der Gesundheitspolitik, im Schulsystem, im Bau von vorbildlichen Arbeitersiedlungen.

Die Stadt bekam deshalb den Spitznamen ‚Rotes Wien in Sachsen‘. Das ist dann im Nationalsozialismus – und auch in der SED-Zeit – vollkommen erodiert. Aber es gab auch nach 1933 in Freital noch sehr aktive Widerstandsgruppen gegen das Naziregime. Also die Stadt hat eine ganz andere Herkunft, als man heute vermuten möchte.

Hilfe für Freital

Heute herrscht dort eine erzkonservatives, ein schwarzbraunes Klima, von einigen Aufrechten mal abgesehen. Es ist ja viel berichtet worden in den Medien über die Vorfälle in Freital. Ich will mal versuchen, meine persönlichen Eindrücke zu schildern. Ich sah dort vor allem eins: eine grölende Menschenmenge, die ihrem Hass freien Lauf ließ. In Freital gibt es einen Pegida-Ableger, die nennt sich ‚Frigida‘. Es gibt Videoaufzeichnungen im Netz mit Interviews, da werden ‚besorgte Bürger‘ z. B. gefragt, ob sie nicht vielleicht mehr Angst haben müssten vor denen, die da grölen, Steine und Böller schmeißen, als vor den Flüchtlingen. Antwort: ‚Die schmeißen ja nicht auf Deutsche!‘ Also, das ist schon schlimm, wenn die Leute gar nicht mehr merken, was sie da sagen.

Es gibt allerdings, wie gesagt, auch die anderen. Zum Beispiel das ‚Willkommensbündnis Freital‘, bestehend aus etwa 5 Menschen. Die sind an uns herangetreten und sagten: Wir schaffen’s alleine nicht, bei uns gibt es kein Potenzial für eine Gegendemo, keine Gruppe, die sich vor das Flüchtlingsheim stellen würde. Wir brauchen eure Hilfe! Die haben wir natürlich zugesagt und angefangen, im Prinzip täglich zu mobilisieren nach Freital. Immer am Nachmittag um vier sind wir hin gefahren und standen dann dort vor dem Gebäude bis, na, sagen wir mal, bis abends um 10. So etwa zwei Wochen lang.

Das Hotel Leonardo liegt etwa 1 Kilometer vom Bahnhof entfernt, und da geht man dann eben als Gruppe im Außenbereich am Hang entlang, den ‚langen Rain‘ hoch. Man bewegt sich besser nicht durch den Ort. Bei der Ankunft vor der Unterkunft wird man dann sozusagen umgehend von der Polizei empfangen und einsortiert. ‚Protestbürger‘ waren auch schon da um diese Zeit, einige aus den umliegenden Wohnanlagen. Also, wir standen zwischen den ‚besorgten Bürgern‘ und dem Eingang des Heims. Mit der Zeit, so nach Betriebsschluss, wurden es mehr. Die Sprechchöre wurden lauter und richteten sich auch gegen uns.

Es gibt dort so ein kugeliges rechtes Mädel, mit zur Hälfte geschorenem Kopf und Ordnerbinde, die hat ziemlich schrille Vorgaben gemacht und die Menge hat brav wiederholt. Was da so skandiert wurde, war vollkommen abstrus, z. B.: ‚Volksverräter‘; ‚Ami go home‘ – ich muss mal überlegen, – ja, ‚Antifa, ha, ha, ha …‘; ‚Lügenpresse‘; ‚Raus aus der Nato‘; ‚Merkel muss weg‘. Sie trugen die üblichen seltsamen Fahnen und ein Spruchband mit der Aufschrift: ‚Kein Ort zum Flüchten!‘ Aber wir haben das einfach ignoriert und uns lieber den Geflüchteten zugewandt.

Diese kleine Freitaler Unterstützergruppe hatte schon ein gutes Verhältnis hergestellt zu einigen Familien, sodass die rauskamen uns auch vertraut haben. Sie haben schon gesehen, dass wir die ‚Guten‘ sind.“ Er lacht leise, streicht sich über die Glatze und fährt fort: „Bei uns gibt es übrigens signifikant mehr Frauen und junge Leute, die sehr kommunikationsfreudig sind. Wir hatten immer Spiele dabei, Federball, Frisbee, und haben mit Geflüchteten nicht nur gesprochen, sondern auch gespielt, das entspannte die Situation total. Da sind ja auch viele Kinder dabei. Mit ihnen kann man mit Malkreiden auf der Straße Hüpfspiele machen, das geht alles und macht allen viel Vergnügen. Ja gut, das war halt so Freital. Es war das erste Mal, dass sich diese böse Fratze sozusagen überregional so unverhüllt gezeigt hat.

Scharmützel mit Nazis

Danach gab es etwas, das in den Medien kaum Wellen geschlagen hat, das war im Juli 2015 in Dresden. Auch dort wurde Hals über Kopf auf einer Industriebrache ein Zeltlager für 1.000 Flüchtlinge vom THW und Roten Kreuz errichtet. Die NPD hatte zu einer Demo aufgerufen. Wir waren natürlich auch dort, und da gab es dann wirklich Scharmützel. Sogar Rotkreuzhelfer wurden tätlich angegriffen. Viel zu wenig Polizei war im Einsatz, die hatten nicht mal Helme dabei, standen da einfach nur rum, vollkommen unorganisiert.

Und dann kam schon bald Heidenau, erste Augustwoche 2015. Heidenau ist eine kleine Stadt mit etwa 16.000 Einwohnern, südöstlich von Dresden, zwanzig S-Bahn-Minuten entfernt. Dort war ebenfalls eine Erstaufnahmeeinrichtung eingerichtet worden, direkt an der Hauptstraße liegend im Gewerbegebiet, in einem ehemaligen Praktiker-Baumarkt. Und dort kam es durch die Rechten zu Blockadeversuchen von Bussen mit ankommenden Geflüchteten. Es gab in der ersten Nacht massive Ausschreitungen, das war wirklich wie ein Kriegsschauplatz, überall Rauchschwaden, die Nazis haben permanent diese hier bei uns verbotenen, sehr lauten Böller gezündet, mit Bierflaschen und Steinen geworfen. Sie hatten schon ordentlich Promille intus, man sah so gut wie keinen, der nicht eine Bierflasche in der Hand gehabt hätte.

Die Polizei schoss Tränengas ab. Die Rechten haben auch die Polizei angegriffen – worüber die sehr erstaunt war, denn normalerweise sind die Nazis ja sehr autoritätshörig. Am Ende gab es 30 verletzte Polizisten. Wenn die Polizei tatsächlich mal ihren Job macht, sozusagen Recht und Gesetz durchsetzt, um die Flüchtlinge zu schützen, dann sind sie natürlich nicht mehr die Guten, sondern nur noch die Feinde. Wir waren dort auf dem Parkplatz etwa 200 Leute, die Gegenseite wahrscheinlich doppelt so viele. Und wir hatten uns eigentlich verstanden sozusagen als moralischer Support. Die Scharmützel zogen sich über mehrere Nächte hin. Wir haben versucht, den Zugang zur Unterkunft gegen die Nazis zu blockieren, und fanden das total krank, gegen traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge, Familien und ihre Kinder, mit Böllern vorzugehen. Die haben ja Angst, dass sie jetzt vielleicht doch noch umgebracht werden.

Als Reaktion auf diesen Praktiker-Angriff haben wir, das ‚Bündnis Nazifrei‘, dann eine Woche später – zusammen mit der ‚Interventionistischen Linken Berlin‘ – ein Willkommensfest für die Bewohner des Baumarktes auf die Beine gestellt. Zwei Tage zuvor war übrigens Kanzlerin Merkel in Heidenau und hat zum ersten Mal eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete besucht. Sie wurde mit Hupkonzerten und dem Ruf: ‚Volksverräter, Volksverräter!‘ begrüßt von den ‚besorgten Bürgern‘. Zwei Tage später kamen dann wir, und bei uns geht es ja nicht um die Imagepflege, wir wollten wirklich etwas tun für die Familien und Kinder, mit Hüpfburg, Grill, Musik, Limonade, Kuchen und vielen Spielen. Es gab auch einen Neuntonner voller Spenden aus Berlin. Und auf diese Weise haben wir den Diskurs wieder so ein bisschen ins Lot gebracht und medial aufgefangen.

Fest in Heidenau

Es gab natürlich rechtliche Probleme, einen Konflikt mit dem Innenministerium, das unser Willkommensfest eigentlich verbieten lassen wollte, weil die Nazis gedroht hatten es zu sabotieren. Sicherheitsfragen, polizeilicher Notstand, das waren so die Begründungen. Die wurden dann aber vor Gericht abgeschmettert und das Fest konnte tatsächlich stattfinden. Aber nicht nur die Antifa war da, es kamen an diesem Tag auch anders denkende Heidenauer Bürger. Einige sagten: Schön, dass es euch gibt, ich denke genau so wie ihr! Cem Özdemir ist aus Berlin gekommen.

Es kam auch ein vollkommen ungebetener Gast, der sächsische Innenminister, der eben noch das Fest hatte verbieten lassen wollen. Er wurde aber, zusammen mit seinen Bodygards, ganz schnell vom Hof gescheucht mit resoluten Sprechchören, Buhrufen und Pfiffen. Er hatte nicht mal Gelegenheit, die Fotos für die Imagepflege machen zu lassen. Er sah sehr verlegen aus. Angesichts dieser peinlichen Situation ist er geradezu geflüchtet zu seiner Dienstlimousine. Und weg war er. Auf Nimmerwiedersehen, hoffentlich!

Ansonsten verlief das Fest vollkommen ungestört. Es waren so etwa 300 bis 400 Menschen da, überall Geflüchtete, die haben auf der großen Wiese Ball und Frisbee gespielt, miteinander getanzt, gegessen und waren fröhlich und entspannt. Besonders die Kinder, die in der Hüpfburg herumsprangen und mit den gespendeten Spielsachen spielten.

Das waren Freital und Heidenau, die beiden wichtigsten Auslöser dafür, dass Pegida wieder mehr Zulauf bekam. Und in diesem Kontext haben wir uns dann auch gesagt, jetzt müssen wir nachdenken und uns etwas einfallen lassen. Und wir müssen uns auf viel Geduld einrichten. Es ist einfach so, dass es langer, langer Arbeit bedarf, um so einen generellen Rechtsruck in der Gesellschaft irgendwie wieder aufzufangen.“

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2 Kommentare

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  • Gute, nüchterne Zusammenfassung. Der Schrecken und die Angst der Gegen-Rechts-Bewegung vor allem vor Rechten, aber auch Polizei und Justiz schwingt hier nicht mit.

     

    Als langjährige ("Neu")Bürgerin vor Ort vermute ich genauso, dass es ein sehr, sehr langer Weg sein wird, wenn er überhaupt gangbar ist, hier in Sachsen irgendwas zu ändern. Eine bittere Erkenntnis und die Frage

     

    "Should I stay or should I go"

     

    steht definitiv im Raum, nicht nur bei mir.

  • Danke. & - Gabriele Goettle - wer sonst!