Die Bikerinnen Cäthe Pfläging und Irene Kotnik hatten keinen Bock mehr auf doofe Sprüche und gründeten The Curves, eine Motorradgruppe für Frauen. Ein Gespräch über Klischees, den richtigen (Fahr-)Stil und das Schrauben: „Wir sind jetzt eine Gang“
Interview Anne HaemingFotos Julia Baier
taz: Frau Pfläging, Frau Kotnik, wir sind hier in Ihrer Werkstatt in Kreuzberg, ich zähle etwa 30 Motorräder. Welche gehören Ihnen?
Cäthe Pfläging: Hier stehen viele teure Schätzchen rum. Irene und ich teilen uns die Werkstatt mit etwa zehn anderen, lauter Männer, jeder von uns hat mindestens zwei Maschinen. Meine stehen hier: eine Kawasaki, eine Honda, Batman und Robin.
Irene Kotnik: Meine Enduro, der „Dominator“, steht zu Hause, er braucht dringend neue Reifen! Die 70er-Jahre-Honda da hinten habe ich jetzt seit drei Jahren. Sie heißt Azumi, benannt nach meiner besten japanischen Freundin aus New York. An der schraube ich gerade, das ist momentan mein Bastelprojekt.
Azumi, Batman? Ihre Motorräder haben Namen?
CP:Das haben sie oft. Und meist sind es weibliche Namen – fand ich immer komisch. Meine hieß bis vor ein paar Wochen immer nur „die W“, von Kawasaki W650: ein modernes Motorrad mit Retro-Touch. Die habe ich seit 2008, bin 80.000 Kilometer gefahren, quer durch Europa. Davor hatte ich unter anderem eine MZ TS 250, den DDR-Klassiker: ein knubbeliges Teil mit Spritzschutz, eine ganz schlimme Rüttelplatte. Und nun habe ich mir im Februar die Kawasaki ZRX 1100 zugelegt. Ich stand vor diesem bulligen 250-Kilo-Gerät und war überwältigt. Alle sagten: „Boah, die sieht echt aus wie das Batmobil.“ Und da Batman als Sidekick nur Robin hat, haben die beiden nun eben Namen.
Seit wann fahren Sie Motorrad?
IK: Ich habe meinen Motorradführerschein erst 2008 gemacht, in Amerika. Mein erster Motorradtrip war gleich die Route 66 mit Harley Davidson, volle Möhre, eben das, wonach sich alle sehnen. Mein Vater wollte das unbedingt machen. Also habe ich gesagt, ich mache den Schein, dann fahren wir zusammen.
CP:Ich habe meinen Schein seit 1996. Ein Auto hatte ich noch nie. Meine komplette Verwandtschaft fährt Motorrad. Das steckt in den Genen.
So weit wollte ich gar nicht gehen …
CP:Doch, würde ich schon sagen. Im Bergischen Land hat jeder Bengel eine „Sportmaschine“ im Stall stehen. Wirklich jeder.
Die Frauen nicht?
CP:Doch, meine Cousinen auch. Die eine hat gerade eine neue Ducati 900 Supersport gekauft. Beide sehen richtig scharf zusammen aus.
Apropos scharf: Wenn man „Frauen“ und „Motorräder“ googelt, spuckt die Suchmaschine erst mal nur Pin-up-Fotos aus.
CP:Wir haben diese Bilder ja auch alle im Kopf. Eine herrliche Fantasie – Frauen mit wenig an. Deswegen habe ich vorhin beim Fotografieren darauf bestanden, dass der Ständer bei den Maschinen nicht unten ist: Das sieht man immer auf Fotos, auf denen Frauen sich zum Deppen machen und so tun, als würden sie total schnell fahren. Es gibt einfach immer noch genug Leute, die es uns nicht abnehmen, was wir draufhaben.
IK:Aber mittlerweile ist das auch egal.
Welche Klischees nerven denn besonders?
IK:Du wirst einfach nicht auf Augenhöhe behandelt, ich war bei Motorradtreffen nie wirklich willkommen. Ich war immer nur das Mädchen: klein, blond, die, die zu wild daherkam. Du wirst schon ganz schön angeflirtet – oder einfach nicht ernst genommen.
CP:Ich find’s schon okay, wenn man sich über Technik unterhält. Machen wir ja auch. Aber manchmal wünsche ich mir ein bisschen mehr als „Motor aufgebohrt, scharfe Nockenwelle, Vergaser eingestellt“. Blablabla! Einmal habe ich drei Jungs gefragt, ob wir mal zusammen ausfahren, da sagten die doch glatt: „Na, aber wir fahren schon ein bisschen schneller, ne?“
Die Frauen: Cäthe Pfläging, 42, wuchs im Bergischen Land auf, kam im Jahr 2000 nach Berlin und hat eine Agentur für Corporate Design. Irene Kotnik, 33, lebte acht Jahre lang in New York. 2012 zog die Kommunikationsdesignerin nach Berlin. Die beiden lernten sich vor zwei Jahren auf einem Classic Enduro Cup kennen.
The Curves: Den Motorradclub für Bikerinnen aus Berlin haben Pfläging und Kotnik im vergangenen Jahr gemeinsam gegründet. 10 bis 20 Frauen treffen sich regelmäßig für Ausfahrten und einmal im Monat für den Schrauber-Workshop „Pony-Wrench“. Termine stehen auf Facebook unter: www.facebook.com/thecurvesberlin. Mehr Infos: http://thecurves.de
Das Festival: Vom 29. bis 31. Juli organisieren die „Curves“ ein Bikerinnentreffen in der Nähe der Zitadelle Spandau, mit Campen und Rennen. Kommen können Frauen über 18 mit allem, was Räder hat. Ein Ticket fürs ganze Wochenende kostet 25 Euro. http://petrolettes.com
IK:Oder du wirst nicht mitgenommen, weil die Freundin von irgendeinem eifersüchtig ist. Die sagen: „Wir gehen in die Garage, das ist unser Männerding.“
Auch deshalb haben Sie beide im vergangenen Jahr „The Curves“ gegründet. Was war der Auslöser?
IK:Es gab einfach niemanden, der war wie wir. Als ich 2012 aus den USA – wo ich eine Menge Motorradfahrer kannte, die tickten wie ich – nach Berlin kam, fragte ich mich: Wo haben die sich denn hier versteckt?
CP:Das ging mir auch so. Ich habe ein paar coole Jungs bei den Rock-’n’-Rollern gefunden. Aber ohne eine Maschine aus den 1960ern kann man da nichts reißen. Sonst gibt es hier halt vor allem die Treffen an der Spinnerbrücke, „Sportler“-Clubs und Typen, die sich für 25.000 Euro’ne Harley gegen den Midlifeblues kaufen.
Moment, ist so eine Harley nicht das Nonplusultra?
IK:Das ist schon ein schönes Motorrad. Aber es hat ein bestimmtes Image: Zu diesen Harley-Fahrern, die ihre Kutten anziehen und ihren Bart ölen, passen wir nicht. Und es sind immer nur Jungs unter sich. Um genau dieses Gefühl habe ich diese Typen immer beneidet: Die fahren in der Gruppe irgendwohin, haben Abenteuer und sind füreinander da.
CP:Aber dann hatten wir ein Aha-Erlebnis: auf dem „Wheels and Waves“-Festival in Frankreich. Das ist erst vor vier Jahren entstanden: Ein paar Leute haben einen Grill angeschmissen und sind ein paar Runden gefahren. Dieses Jahr werden 12.000 Menschen erwartet. Da kommen zwei Szenen zusammen, die Surfer und die Motorradfahrer. Dieses Lockere gab es vorher nicht: Jeder macht sich ein olles Bike fit, da ist keiner streng auf Motorradtypen fixiert, und es waren viel mehr Frauen dabei.
Wie haben Sie die anderen Bikerinnen in Berlin gefunden?
CP:Weil wir zu zweit eben noch keine Crowd waren, wollten wir einen Mädelsclub, um als Gruppe besser wahrgenommen zu werden. Also haben wir einen Film gedreht, bei Facebook gepostet, uns jeden Mittwoch um 18.30 Uhr für Ride-outs getroffen. Dann haben sich zuerst fast nur Jungs gemeldet. Klar sind die mitgefahren, aber wir wollten wenigstens ein Verhältnis von 40:60. Und wir merkten: Die Jungs sind Multiplikatoren. Sie haben zu ihren Freundinnen gesagt: Fahr doch mal mit denen. Wir sind jetzt eine Gang. Der feste Kern sind mittlerweile zehn Frauen, darunter eine Ärztin, eine Journalistin, eine Chemikerin. Dazu noch mal zehn andere, die ab und an mitkommen.
Was lässt die meisten Frauen zögern?
CP:Das Dauerargument ist: „Ich traue mich nicht, ist bestimmt total gefährlich, ich fahre lieber hinten drauf mit, mämämä.“
IK:Es gibt übrigens auch ein paar Männer, die gerne hinten mitfahren. Am Samstag hatte ich erst einen jungen Herrn dabei. Der hat das geliebt.
Weg von der Rolle, nur hintendrauf mitfahren zu dürfen?
CP:Genau. Die Frauen fahren jetzt selber. Bei vielen Männern in der Szene kommt da ein Gefühl von Kontrollverlust auf – aber wir nehmen ja niemandem etwas weg. Klischeehaft kommt auch immer die Lesbenfrage. Da müssen wir immer lachen. Niemand käme auf die Idee, dass Bikertreffen automatisch Schwulenevents sind!
Sie organisieren nun selbst eins: das „Petrolettes“-Festival im Juli. Wieso?
CP:Es gibt einfach noch wenige Netzwerke oder Veranstaltungen für Bikerinnen.
IK:Und eben weil diese Szene gerade noch mitten in der Entwicklung steckt, würden wir gern erst mal unter uns bleiben. Wir wünschen uns, dass sich Frauen angesprochen fühlen und sie es in Zukunft einfacher haben, im Bereich Motorräder, Mechanik und Ausstattung mitzuwirken.
Sie haben Kappen und Westen mit „The Curves“-Aufdruck, auf Ihrem Instagram-Account gibt es Selfies mit Helm, einer davon mit Goldglitzer. Wie wichtig ist der Style?
IK:Style ist ganz wichtig. Da stehen wir drauf, natürlich wollen wir auch gut aussehen.
CP:Mit dem Jethelm und meiner Einpackroutine kann ich meine Frisur sogar über den Tag retten (lacht). Vor allem muss der Helm zur Jacke passen. In meinem Flur musste ich eine Schwerlaststange anschrauben, damit ich meine Kombis hinhängen kann: eine schöne, eine sichere, eine dicke, eine dünne.
IK: Mein Helm ist mehr wert als meine Maschine. Ich habe mir lange geschworen, nur mit Integralhelm zu fahren, das ist mir mein Gesicht wert. Aber jetzt fahre ich halt doch hier und da mit einem Jethelm, weil man so aufkommenden Regen riechen kann.
Und der Style Ihrer Maschinen? Ihrem Batman haben Sie Gaffer-Tape-Streifen in Neonfarben verpasst.
CP:Ja, das war das wohl schnellste und günstigste Umstyling der Welt. Ich brauche ein wenig Anarchie. Aus dem gleichen Grund habe ich auch das „Bikeini“-Projekt gestartet.
Was ist das denn?
CP:Ich habe Überzüge für meinen Tank gehäkelt und gestrickt. Das ist der schnelle Klamottenwechsel fürs Bike. Und ein Augenzwinkern in Richtung „Customizing“, was ja ehrlicherweise Produktdesign und Ingenieurleistung ist.
Haben Sie bei Ihren Maschinen auch etwas gemacht?
CP:Ja. Hinten an meiner Kawasaki war eigentlich ein Riesenlicht, das hat mir überhaupt nicht gefallen. Das habe ich alles weggemacht und stattdessen kleine LED-Lichter angebracht, die zugleich Blinker sind. Ich hatte auch mal Ochsenaugen drauf.
Ochsenaugen?
CP:Das sind seitliche Blinker am Lenker.
Sie machen also viel selbst. Organisieren Sie darum auch Ihre monatlichen Werkstatt-Workshops?
IK:Ich habe total Bock, an meinem Motorrad was zu machen, und will das alles lernen – aber eben vielleicht nicht so, wie die Typen es gewohnt sind. Wir wollen einfach nicht der Norm entsprechen, die andere uns vorgeben.
CP:Ich nenne das „betreutes Schrauben“. Ich möchte möglichst viel Durchblick haben, schließlich geht es um unsere Sicherheit. Ich kann Ölwechsel machen, Bremsen überprüfen, das habe ich alles drauf. Und ich werde sowieso ernst genommen, weil ich super Motorrad fahre.
Woran macht man das fest: an Schönheit oder Schnelligkeit?
CP:Daran, ob man eine gute Linie fährt, also wie man eine Kurve an- und durchfährt. Gerade trainiere ich meine Rennlinie. Am Wochenende haben wir auch wieder geübt, wie man sich in einer Gruppe verhält: Eine fährt vor, die anderen versetzt in Zweierreihen. Wir sind halt eine Gang.
IK:Cäthe ist eine wahnsinnig gute Frontfrau: Sie fährt vorneweg und gibt den Ton an.
Welche Strecken können Sie in Berlin für Ausfahrten empfehlen?
CP:Ich bin ein bisschen traurig, dass das Berliner Umland nicht so spannend ist. Das Bergische Land, wo ich herkomme, ist einfach das Paradies: Du bist schnell in der Eifel und im Westerwald, es gibt viele Kurven, und du kannst 300 Kilometer ohne Ampel fahren. Hier in Berlin gibt es nur: geradeaus.
IK:Meist sagt man ja, der Weg ist das Ziel – im Sommer fahren wir gern einfach an einen der Seen. Und wenn auf dem Rückweg die Abendsonne am Himmel steht, nehmen wir gern mal noch einen Umweg von einer Stunde.
CP:Auf den Landkarten sind die weißen Straßen die besten: die, die zwischen den Dörfern mäandern. Überall sonst ist zu viel Verkehr. Die grauen sind auch gut – das sind Ackerwege, das schaffen wir mittlerweile auch.
Was ist denn der größte Kick?
IK:Man ist der Natur einfach mehr verbunden als in einer Kiste wie dem Auto. Als ich zum ersten Mal Motorrad fuhr, war es, als könnte ich zum ersten Mal seit Langem wieder frei atmen – als würde man eine muffige, alte Decke von sich reißen.
CP:Ich mag es, so richtig durch die Stadt zu ballern. Vor allem bei komplizierten Verkehrsverhältnissen. Ich weiß, das ist ein bisschen irrsinnig, aber von Prenzlauer Berg nach Kreuzberg in zehn Minuten: Das ist zu unterbieten … (lacht).
Und im Berliner Alltag?
CP:Da reicht es, kurz neben der Rushhour auf die Maschine zu steigen und zur Arbeit zu düsen.
IK:Deswegen habe ich extra einen Job in Potsdam gesucht: Damit ich tagein, tagaus fahren kann.
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