Linkspartei und AfD: Angriff und Verteidigung
Am Wochenende tritt in Magdeburg der Bundesparteitag der Linken zusammen. Wie hält es die Partei mit der AfD und deren Wählern?
Kleis sitzt im Ortsbüro, das in einem Zweigeschosser untergekommen ist. Die Bundesgeschäftsstelle der Partei im schicken Berlin-Mitte ist keine 40 Kilometer entfernt, gefühlt aber sehr viel weiter. Kleis selbst stammt aus Baden-Württemberg. Im Februar 1990 kündigte er seinen Job und ging in die DDR. Erst 2005 trat er in die damalige PDS ein. Ein Linker war er jedoch schon immer, betont Kleis. Heute leitet er eine IT-Firma, die ihm viel Zeit lässt für die politische Arbeit.
Auf Kleis’ Schreibtisch stapeln sich Papiere, dazwischen Armbinden für Demo-Ordner. Der wuchtige 50-Jährige hat die Arme vor dem Bauch verschränkt, über dem sich ein schwarzes T-Shirt mit rotem Stern spannt. Kleis sagt: „Wir müssen die AfD mit ihrem eigenen Programm schlagen. Die potenziellen AfD-Wähler wollen einen Großteil der AfD-Programmatik nicht“, glaubt Kleis.
Statt den Kopf einzuziehen und zu hoffen, der Spuk werde vergehen, will Kleis mit der 25-köpfigen Ortsgruppe aus überwiegend jungen Parteimitgliedern die Sympathisanten und Anhänger der AfD inhaltlich stellen. Sie zu schmähen, habe nicht funktioniert. Außerdem will Kleis die Linke zu neuen Gipfeln führen: „Bei der Bundestagswahl wollen wir hier das stärkste Ergebnis erzielen, das die Linke je erreicht hat.“
Genossen unter sich
Auf dem Marktplatz im sächsischen Grimma ist Kerstin Köditz weniger angriffslustig. Die sächsische Landtagsabgeordnete und Sprecherin für antifaschistische Politik ihrer Fraktion steht vor einem Stand und blinzelt in die Sonne. Zwischen den Wurst- und Kleidungsständen sind kaum Menschen zu sehen. Seit fast einer Stunde hat kein Einziger am Stand vorbeigeschaut. „Das wichtigste ist, dass wir Präsenz zeigen. Das tut ja sonst keiner“, sagt die 49-Jährige und pustet den Rauch ihrer Cabinet in die Luft.
Auf den zwei Klapptischen liegen Flyer und Broschüren. „Fakten gegen falsche Vorurteile“ steht dort und „Handeln gegen Hass und Hetze“. Andere Zettel beschäftigen sich mit linken Argumenten gegen Vorurteile, Rassismus und den einfachen Antworten der AfD. Inhaltlich ist die Partei gut aufgestellt, gerade hier. Köditz leitet die Arbeitsgemeinschaft des Parteivorstands zur AfD, ihr Mann und Büromitarbeiter Volkmar Wölk arbeitet seit Jahrzehnten zur extremen Rechten.
Kerstin Köditz, Linke Sachsen
Doch an diesem Vormittag fragt niemand in Grimma, etwa 30 Kilometer südöstlich von Leipzig, danach. Nur eine Handvoll Menschen werden heute den Weg zum Linken-Stand finden, allesamt Bekannte, Sympathisanten – Kaffeeverabredungen und Gespräche über Katzen.
Die AfD ist die neue Protestpartei
Dabei wäre es für die Partei wichtig, wenn sie von jenen gehört wird, die ängstlich, vorurteilsbeladen und wütend sind. Vor allem im Osten hat die Linke bei Wahlen massiv an die Rechtspopulisten verloren und den Rang als Protestpartei eingebüßt. Umfragen sehen sie inzwischen hinter der AfD, die mit 19 Prozent zweitstärkste Partei ist, nur noch auf Platz 4 der Wählergunst.
Worin die Gefahr der AfD besteht, ist innerhalb der Linken umstritten. Bei der letzten Sitzung der parteiinternen AfD-AG im April im Berliner Karl-Liebknecht-Haus wurde darüber diskutiert, ob die Linke den Rassismus der AfD, ihre marktliberale Ausrichtung oder ihre Ablehnung der Moderne besonders in den Fokus nehmen solle. Für Köditz steht fest, dass der letzte Punkt der entscheidende ist. Die Sympathisanten der AfD „haben keine Angst vor dem Untergang des Abendlands durch den Islam, sondern durch Conchita Wurst“, sagt sie.
In aufgesetztem Sächsisch karikiert Köditz, was sie so zu hören kriegt: „Wir wollen nicht so werden wie der Westen. Wir wollen nicht dieses Kuddelmuddel bei Patchworkfamilien. Der eine Ali beim Döner reicht doch.“ Dahinter stecke die „Sehnsucht nach den guten fünfziger Jahren“, vor allem aber auch Uninformiertheit. Dieser möchte sie mit einer veränderten Ansprache entgegentreten. „Wir müssen den Politikersprech aufbrechen“, fordert Köditz. Statt „Homoehe“ müsse den Menschen gesagt werden, „wie schön es ist, wenn sich zwei Menschen lieben“.
Ein Flashmob, der ins Wasser fiel
In Königs Wusterhausen springt Thorsten Kleis plötzlich von seinem Stuhl und läuft ins Nebenzimmer. Dort liegen auf Tischen etwa zwei Dutzend selbst beschriebene Plakate. „Wollt ihr Vergewaltigungsopfer zwingen, das Kind des Täters zu bekommen?“ – „Wollt ihr wirklich eine Steuerobergrenze für Reiche?“ – „12-Jährige in den Knast! Echt?“ Unter jeder Frage findet sich ein Verweis auf die entsprechende Stelle im AfD-Programmentwurf.
In einem Flashmob wollten die Linken eine AfD-Kundgebung im Ort einkreisen und die Fragen präsentieren. Doch die Aktion fiel ins Wasser, auf die Schnelle waren nicht genug Plakatträger zu mobilisieren. Es ist das Dilemma der demokratischen Parteien in der Provinz. Jetzt verbreitet Kleis seine Fragen auf Facebook. Darüber hinaus organisiert er mit seiner Parteigruppe in der 35.000-Einwohner-Stadt Fortbildungen, Diskussionen und Proteste auf der Straße, auch weil die anderen Parteien vor Ort „weder willens noch in der Lage“ seien, der AfD zu begegnen, wie er sagt.
Mit Blick auf die Linkspartei ist Kleis selbstkritisch: „Es ist uns bisher nicht gelungen zu vermitteln, dass wir das Gute nicht explizit für Geflüchtete wollen, sondern für alle.“ Der Leitantrag für den Bundesparteitag der Linken am Wochenende in Magdeburg tue aber genau das. Kleis wedelt zufrieden mit dem Antragsheft. Weil es dennoch wichtig ist, den Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen zu begegnen, baut sich Kleis vor jeder AfD-Veranstaltung der Region auf. Dann steht er vor dem Eingang und verteilt Broschüren der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. „Na klar hab ich jedes Mal Angst. Aber es kann auch nichts Besseres passieren, als dass mir einer von denen auf die Fresse haut.“ Auf Anraten des Staatsschutzes hat er sich einen Hund angeschafft.
Die Abgrenzung bröckelt
Die Abgrenzung nach rechts bröckelt vielfach auch innerhalb der Linken. Einige Funktionäre haben bereits die Seite gewechselt. In Kusel in Rheinland-Pfalz lief der einst erfolgreichste Mitgliederwerber Patrick Hoffmann mit einigen Getreuen zur AfD über, in Berlin-Neukölln das Bezirksvorstandsmitglied Franziska Lorenz-Hoffmann. In Dresden rief die ehemalige Parteichefin Christine Ostrowski zur Wahl der AfD auf. Darüber sprechen will keiner von ihnen.
Dass Linke nicht vor Ressentiments gefeit sind, weiß auch Köditz. „Viele unserer Wähler haben rassistische Stereotype; die wählen uns trotz unserer antirassistischen Einstellung“, vermutet sie. „Oder haben uns gewählt.“ Es dürfte diese Klientel sein, die Sahra Wagenknecht im Sinn hat, wenn sie mit Sprüchen provoziert wie „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt“.
Wie viele in der Partei rollt Köditz mit den Augen, als sie darauf angesprochen wird. „Wagenknecht treibt meinen Blutdruck nach oben.“ Viele Mitglieder seien „entsetzt“. Oder wie Kleis es sagen würde: „Wer sich auf das Feld des politischen Gegners begibt, läuft Gefahr, denen ins Messer zu laufen.“
Entsetzen über Wagenknecht
In der Ablehnung von Wagenknechts Aussage ist sich die Partei einig – im Umgang mit der AfD werden unterschiedliche Töne angeschlagen. „Wir müssen den faschistischen Flügel der AfD isolieren“, sagt etwa Christine Buchholz, Bundestagsabgeordnete vom linken Flügel.
Die 45-Jährige ist der Einladung des Ortsverbands Berlin-Kreuzberg zu einer Veranstaltung zum Thema „Wie können wir die AfD stoppen?“ gefolgt. Trotz der Werbung sind gerade einmal ein Dutzend Personen in das mit Bildern und Blumen dekorierte Café am Mehringplatz gekommen – allesamt Parteimitglieder.
Mit krächzend-erkälteter Stimme spricht Buchholz von den achtziger Jahren, als eine „breite antifaschistische Mobilisierung“ den Republikaner-Chef Franz Schönhuber dazu brachte, ehemalige NPDler aus seiner Partei auszuschließen. Diese Unruhe möchte Buchholz auch heute in die AfD tragen. Richtig sei es daher, wenn Menschen, die zu AfD-Veranstaltungen wollen, durch ein Spalier von Gegendemonstranten müssten.
Der Plan der Trotzkistin
Eine Bewegung möchte die 45-jährige Trotzkistin und Bewegungspolitikerin begründen. Dafür hat sie das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus mit ins Leben gerufen. Auf der ersten Konferenz im April kamen 500 Menschen nach Frankfurt am Main. Sie einigten sich auf Aktionen vor den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in diesem Herbst und die Ausbildung sogenannter StammtischkämpferInnen.
Doch so einfach wird es nicht. Das zeigt Gerd Wiegel, Referent der Bundestagsfraktion, der mit Buchholz auf dem Podium sitzt. Er wirft ein: „Ich bin mir nicht sicher, ob es funktioniert, die AfD als Nazipartei anzugreifen. Das entspricht nicht der Wahrnehmung vieler Leute.“ Während Christine Buchholz ungerührt bleibt, meldet sich in der Publikumsrunde fast jeder zu Wort. Viele sind ratlos. Ein Gast spricht angesichts der rechten Erfolge gar von der „Existenzgefährdung der Linken“.
Einen Schritt weiter ist da vielleicht Thorsten Kleis, der mit seiner Basisorganisation 42 eine Veranstaltung im Kulturzentrum von Königs Wusterhausen zum Thema Kriminalität plant. Kleis bekräftigt: „Wir reden nicht mehr über die AfD, sondern über ihre Inhalte.“
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